Die 2014 vom Westen gegen Russland verhängten Sanktionen waren eine natürliche Reaktion auf die Annexion der Krim und die russische Intervention im Osten der Ukraine, die fast das gesamte letzte Jahr andauerte. Den USA und der EU blieb gar nichts anderes übrig, als auf das russische Vorgehen zu reagieren. Die Wirtschaftssanktionen waren die einzige vernünftige Option, da eine militärische Intervention gegen eine Atommacht ausgeschlossen war und die UNO keine Sanktionen gegen ein ständiges Mitglied des Sicherheitsrats aussprechen konnte.

Die europäischen und amerikanischen Sanktionen treffen Russland in vierfacher Hinsicht.

 

Russlands prekäre Finanzlage

Besonders schmerzhaft sind erstens die Finanzsanktionen. Anfang 2014 schuldeten russische Unternehmen ausländischen Gläubigern mehr als 678 Milliarden Dollar (oder 22,4 Billionen Rubel), wohingegen sie nur 19,3 Billionen Rubel von russischen Banken geliehen hatten. Die meisten dieser Auslandskredite wurden immer wieder durch neue ersetzt, doch ihr Gesamtbetrag stieg von 2009 bis 2013 stetig um 60 bis 70 Milliarden Dollar im Jahr an.

Das vom Westen verhängte Verbot, großen russischen Banken und einer Reihe staatseigener Unternehmen neue Kredite zu gewähren, brachte diese in eine sehr schwierige Lage. Bis Ende 2016 müssen sie rund 270 Milliarden Dollar an Krediten und Zinsen begleichen, von denen sie mindestens 200 Milliarden Dollar eigentlich refinanzieren wollten. Folglich gingen Neuinvestitionen deutlich zurück; die Unternehmen standen beim Staat Schlange, um aus den Rücklagen Kredite zu erhalten. Noch gefährlicher aber war, dass der vermehrte Kauf von Dollars für die Rückzahlung der Kredite einen ständigen Wertverlust des Rubels mit sich brachte. Die Zentralbank gab von März bis Dezember letzten Jahres aus ihrer Währungsreserve von 390 Milliarden Dollar 70 Milliarden für die Stützung der Staatswährung aus, ehe sie von dieser kostspieligen Politik abrückte und den Rubel sich selbst überließ, der daraufhin eine deutliche Abwertung erfuhr, von 32 Rubel pro Dollar im Februar auf 56 Rubel pro Dollar im Dezember. Der Schuldendienst wurde dadurch noch problematischer: In Rubel umgerechnet, erhöhten sich die Auslandsschulden um 9 Billiarden Rubel, eine Summe, die 40 Prozent über dem Gesamtgewinn des Unternehmenssektors im gesamten Jahr 2013 liegt. Russische Unternehmen müssen ihre Investitionen 2015 daher noch radikaler zurückfahren, und sie werden auch die Belegschaft und die Kosten reduzieren, während der Staat, dem nichts anderes übrig bleibt, als ihnen aus der Zwangslage zu helfen, mindestens die Hälfte seiner Reserven abzweigen muss. Im nächsten Winter wird er daher in seiner finanziellen Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt sein.

 

Fehlendes High-Tech

Zweitens haben auch die branchenspezifischen Sanktionen schwerwiegende Folgen. Die russischen Kommunikationssatelliten bestehen zu 60 Prozent aus importierten Teilen, Hightech-Ausrüstung des Militärs zu über 60 Prozent, und in der Halbleiterindustrie liegt die Quote bei über 70 Prozent.

Russland wird, sobald die bestehenden Liefervereinbarungen auslaufen, nicht in der Lage sein, seine militärischen Verträge zu erfüllen. Auch kann das Land keine moderne militärische Ausstattung importieren, wie der Streit um die französischen Mistral-Schiffe illustriert. Auch so gut wie alle neuen russischen Öl- und Gasfelder konnten nur mit Technologie in Betrieb genommen werden, die von Firmen wie Halliburton oder Schlumberger geliefert wurde. Diesen aber wurde die Beteiligung an Bohrungen in arktischen Gewässern und der Gewinnung von Schiefergas untersagt.

Russland wird, sobald die bestehenden Liefervereinbarungen auslaufen, nicht in der Lage sein, seine militärischen Verträge zu erfüllen.

Da die nunmehr versiegenden Lagerstätten in den 1970er und 1980er Jahren in Betrieb gingen, muss Russland dringend neue Ressourcen erschließen, und das ist im Moment mit einem dicken Fragezeichen versehen. Die Sanktionen werden daher eine spürbare Reduzierung (um mindestens 6 bis 10 Prozent) der Öl- und Erdgasproduktion im Jahr 2016 nach sich ziehen. Vor dem Hintergrund, dass 2013 die Einkünfte aus der Öl- und Gasförderung im russischen Staatshaushalt fast 52 Prozent der Einnahmen ausmachten, sollte man diesen Faktor keinesfalls unterschätzen.

 

Steigende Preise

Drittens zeichnet sich eine ausgeprägte Störung des Konsummarktes ab, die sowohl von der finanziellen Zwangslage durch westliche Sanktionen als auch durch russische „Gegensanktionen“ verursacht wird. In Russland, wo 40 Prozent der Nahrungsmittel, 60 bis 70 Prozent der Kleidung und Schuhe, 75 Prozent der medizinischen Ausrüstung und nahezu 100 Prozent der elektronischen Hardware, Bürogeräte und Mobiltelefone importiert werden, folgt der Abwertung der Landeswährung der Preisanstieg auf dem Fuß. Lokale Produzenten nutzen die Lage aus und heben ihre Preise den importierten Waren entsprechend an. Dass der Wechselkurs des Dollars zwischen Juli und Dezember um 50 Prozent anstieg, hat noch nicht vollständig auf die Preise durchgeschlagen, weil der Abschluss und die Ausführung von Verträgen vier bis sechs Monate in Anspruch nimmt, doch ab Februar dürfte die Wirkung sichtbar werden.

Russische „Gegensanktionen“ verschärfen das Problem nur, weil das Importverbot für Lebensmittel die Preise weiter steigen lässt. Für Nahrung gibt der Durchschnittsrusse schon jetzt rund 32 Prozent seines Einkommens aus. Bis zum Ende dieses Jahres dürfte der Anteil auf mindestens 40 Prozent angewachsen sein; das entspricht der Lage in Weißrussland im Jahr 2014. Mit dem Versuch, die USA und die EU zu „bestrafen“, trifft die russische Regierung die Bedürftigsten in ihrer eigenen Bevölkerung besonders hart.

 

Streit in der Zollunion

Viertens belasten Sanktionen die russischen Beziehungen zu den Verbündeten in der Zollunion und der neu gebildeten (seit 1. Januar 2015 in Kraft befindlichen) Eurasischen Wirtschaftsunion. Die EAWU ist ein seltsames Konstrukt, das für den (Öl- und Gas-)Handel noch keine gemeinsamen Zollregelungen getroffen hat. Mit der Entscheidung, dem EAWU-Gericht nur eine empfehlende Funktion zuzugestehen, wird das System wohl nur bis zum ersten größeren Streit funktionieren.

Die Sanktionen haben erhebliche Kontroversen unter den Zollunionsmitgliedern ausgelöst. Einerseits haben Weißrussland und Kasachstan den Zusammenschluss mit Russland vor allem deshalb gesucht, weil Russland ein Mitglied der Welthandelsorganisation ist und die Allianz mit Russland ihnen daher den Zugang zum Weltmarkt erleichterte ‒ genau das aber steht nun mit der zunehmend ablehnenden Haltung des Westens gegenüber Moskau mehr als in Frage. Andererseits erweist sich der gemeinsame Wirtschaftsraum als brüchig, da Russland mit seiner Lieferblockade für Nahrungsmittel aus der EU auch Kasachstan von der Versorgung abgeschnitten hat, weil man in Moskau (nicht völlig grundlos) befürchtete, dass die Fracht auf russischem Gebiet entladen oder reexportiert werden könnte, was gegen die Restriktionen verstoßen hätte. Die Grenze zwischen Weißrussland und Russland, die viele Jahre offen war, hat sich seither in eine strenge Demarkationslinie mit strenger Überwachung und Grenzkontrollen verwandelt. Man kann wohl sagen, dass Ende 2014 die Zollunion faktisch nicht bestand, da der russische Anteil des kasachischen Außenhandels (der hätte wachsen müssen, wie es auch im Rahmen der europäischen Integration geschah) ein historisches Tief von 6,9 Prozent erreichte.

Die Sanktionen entfalten somit eine enorme Wirkung sowohl auf die russische Wirtschaft als auch auf Putins geopolitische Projekte.

Die Sanktionen entfalten somit eine enorme Wirkung sowohl auf die russische Wirtschaft als auch auf Putins geopolitische Projekte. Man darf jedoch nicht vergessen, dass die vom Westen verhängten Sanktionen zwar fundamental sind, sich aber nur schrittweise auswirken: Sie sind sinnvoll, fruchten aber erst nach und nach.

Die Auswirkungen der Finanzsanktionen werden erst nach mindestens einem Jahr sichtbar sein, wenn die Reserven deutlich geschrumpft sind. Bis die Wirkung der Sanktionen auf die Ölindustrie spürbar wird, vergeht noch mehr Zeit. Die Folgen der „Gegensanktionen“ für Nahrungsmittelimporte sind spürbarer, werden sich aber erst im Zusammenspiel mit den finanziellen Auswirkungen deutlich abzeichnen. Ich würde daher den Schluss ziehen, dass die Auswirkungen der Sanktionen frühestens Mitte 2015 bewertet werden können. Dies, würde ich sagen, ist das wichtigste Argument dafür, sie aufrechtzuerhalten.