Das anhaltende Blutvergießen in Syrien ist nicht nur die mit Abstand größte humanitäre Katastrophe weltweit, sondern auch eine der gravierendsten geopolitischen Gefahren. Und der aktuelle Ansatz der Vereinigten Staaten – nämlich einen Zwei-Fronten-Krieg gegen den Islamischen Staat und das Regime von Präsident Baschar al-Assad zu führen – ist kläglich gescheitert. Die Lösung der Syrien-Krise und damit auch der sich verschärfenden Flüchtlingskrise in Europa muss über den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen erfolgen.  

Die Syrien-Strategie der USA gründet in einer seltsamen – und erfolglosen – Vereinigung zweier Plattformen amerikanischer Außenpolitik. Die eine umfasst den etablierten amerikanischen Sicherheitsapparat, einschließlich Militär, Geheimdienste und deren getreue Anhänger im US-Kongress. Die andere Plattform hat ihren Ursprung in der Menschenrechtsgemeinschaft. Die eigentümliche Fusion der beiden wurde in zahlreichen US-Kriegen im Nahen und Mittleren Osten sowie in Afrika deutlich.  Leider waren die Ergebnisse bisher durchwegs verheerend.

Das Sicherheits-Establishment bezieht seine Motivation aus der Tatsache, dass die politischen Entscheidungsträger der USA ihr Heil seit langem in militärischer Gewalt und verdeckten Operationen zum Sturz von Regimen suchen, die man als abträglich für amerikanische Interessen betrachtet. Angefangen bei dem Sturz der demokratisch gewählten Regierung von Mohammad Mossadegh im Iran im Jahr 1953 und dem „anderen 9/11“ (dem von den USA unterstützten Militärputsch gegen den demokratisch gewählten chilenischen Präsidenten Salvador Allende 1973) über Afghanistan, Irak, Libyen und mittlerweile auch Syrien: die Devise des US-Sicherheitsapparates lautete Regimewechsel.

Gleichzeitig unterstützten Teile der Menschenrechtsgemeinschaft die jüngsten Militärinterventionen der USA auf Grundlage der „Schutzverantwortung”. Diese von der UN-Generalversammlung im Jahr 2005 einstimmig verabschiedete Doktrin besagt, dass die internationale Gemeinschaft zur Intervention verpflichtet ist, eine von ihrer eigenen Regierung massiv attackierte Zivilbevölkerung zu schützen. Angesichts der Brutalität von Saddam Hussein, Muammar al-Gaddafi und Assad machten einige Menschenrechtsaktivisten gemeinsame Sache mit dem amerikanischen Sicherheits-Establishment, während China, Russland und andere argumentierten, die Schutzverantwortung diene als Vorwand für die von den USA angeführten Regimewechsel.  

Die Menschenrechtsaktivisten hätten schon vor langer Zeit erkennen sollen, dass das vom amerikanischen Sicherheits-Establishment propagierte Modell des Regimewechsels nicht funktioniert. Was wie eine „rasche Lösung“ zum Schutz der lokalen Bevölkerungen und der US-Interessen aussieht, schlägt oftmals in Chaos, Anarchie, Bürgerkrieg und aufkeimende humanitäre Krisen um, wie in Afghanistan, dem Irak, Libyen und mittlerweile auch in Syrien zu sehen ist. Die Gefahr eines Misserfolgs vervielfacht sich, wenn der UN-Sicherheitsrat als Ganzes den militärischen Teil einer Intervention nicht unterstützt. 

Die US-Intervention in Syrien kann auch auf Entscheidungen des Sicherheits-Establishments vor 25 Jahren zurückgeführt werden, die damals von der Sowjetunion unterstützten Regime im Nahen und Mittleren Osten zu stürzen. Der damalige stellvertretende Verteidigungsminister Paul Wolfowitz erklärte gegenüber General Wesley Clark im Jahr 1991: „Wir fanden heraus, dass wir in der Region ungestraft intervenieren konnten, ohne dass die Sowjets etwas unternahmen, um uns aufzuhalten… [Uns stehen nun] etwa fünf bis zehn Jahre zur Verfügung, um diese alten sowjetischen „Stellvertreterregime” – Irak, Syrien und andere  – auszuschalten, bevor die nächste Supermacht [China] auf den Plan tritt, um uns in der Region herauszufordern.”

Ebenso wie die USA hat auch Russland ein starkes Interesse an Stabilität in Syrien und an einer Niederschlagung des Islamischen Staates, aber man hat kein Interesse, den USA zu erlauben, in Syrien ein Regime ihrer Wahl zu installieren.

Als die Al-Kaida am 11. September 2001 die USA attackierte, wurde dieser Anschlag vom etablierten US-Sicherheitsapparat als Vorwand für den von ihr lang ersehnten Krieg zum Sturz Saddams benutzt. Als ein Jahrzehnt später die Proteste des Arabischen Frühlings ausbrachen, betrachtete das Sicherheits-Establishment die plötzliche Verwundbarkeit der Regierungen Gaddafis und Assads als ähnliche Gelegenheit, in Libyen und Syrien neue Regime zu installieren. So jedenfalls lautete die Theorie.

Im Falle Syriens forderten auch Amerikas regionale Verbündete die Administration von Präsident Barack Obama auf, gegen Assad vorzugehen. Saudi Arabien wollte Assad eliminiert wissen, um einen Klientelstaat des Iran - des Erzrivalen Saudi Arabiens um die regionale Vorherrschaft - zu schwächen. Israel wollte Assad eliminiert wissen, um die Versorgungslinien des Iran zur Hisbollah im Südlibanon zu schwächen. Und die Türkei wollte Assad eliminiert wissen, um ihre strategische Reichweite auszudehnen und die südliche Grenze zu stabilisieren. 

Die humanitäre Gemeinde stimmte in den Chor des Regimewechsels ein, als Assad auf die Forderungen der Demonstranten des arabischen Frühlings nach politischer Liberalisierung mit dem Einsatz der Armee und paramilitärischer Verbände antwortete. Von März bis August 2011 töteten Assads Truppen etwa 2.000 Menschen. Zu diesem Zeitpunkt erklärte Obama, dass Assad „weichen“ müsste.

Das volle Ausmaß der danach erfolgten amerikanischen Operationen in Syrien ist unbekannt. Auf diplomatischer Ebene organisierten die USA die hauptsächlich aus westlichen Ländern und ihren Verbündeten im Nahen Osten bestehende Gruppe der „Freunde Syriens“, die sich zum Sturz Assads bekannte. Die CIA begann verdeckt mit der Türkei zusammenzuarbeiten, um Waffen, Geld und nicht tödliche Unterstützung für die so genannte „Freie Syrische Armee“ und andere Aufständische zu organisieren, die Assad stürzen wollen.

Herausgekommen ist eine einzige Katastrophe. Während von März bis August 2011 etwa 100.000 Zivilisten getötet wurden– also ungefähr 3.200 pro Monat – erreichte die Zahl der Todesopfer, einschließlich der Kämpfer, zwischen September 2011 und April 2015 einen Wert von etwa 310.000, monatlich also 10.000. Und angesichts der Tatsache, dass der Islamische Staat und andere brutale extremistische Gruppen Kapital aus der Anarchie aufgrund des Bürgerkriegs schlagen, ist die Aussicht auf Frieden weiter entfernt als je zuvor.  

Von den USA angeführte oder unterstützte militärische Interventionen in Afghanistan, dem Irak und Libyen haben zu ähnlichen Debakeln geführt. Der Sturz eines Regimes ist eine Sache; es durch eine stabile und legitimierte Regierung zu ersetzen, eine ganz andere.

Wenn die USA bessere Ergebnisse anstreben, sollte man die Alleingänge beenden. Die USA können ihren Willen anderen nicht unilateral aufzwingen und die entsprechenden Versuche haben lediglich andere mächtige Länder, einschließlich China und Russland, gegen sie aufgebracht. Ebenso wie die USA hat auch Russland ein starkes Interesse an Stabilität in Syrien und an einer Niederschlagung des Islamischen Staates, aber man hat kein Interesse, den USA zu erlauben, in Syrien oder anderswo in der Region Regime ihrer Wahl zu installieren. Aus diesem Grund sind bisher auch alle Bemühungen des UN-Sicherheitsrates, eine gemeinsame Position zu Syrien zu finden, gescheitert.

Doch der Weg über die UNO kann und muss wieder eingeschlagen werden. Das Nuklearabkommen zwischen dem Iran und den fünf ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates (USA, China, Frankreich, Russland und Großbritannien) plus Deutschland, bot gerade eine eindrucksvolle Demonstration der Führungsfähigkeit des Sicherheitsrates. Diese Führungsqualität kann man auch im Hinblick auf Syrien an den Tag legen, wenn die USA von ihrer unilateralen Forderung nach einem Regimewechsel abrücken und mit dem Rest des Sicherheitsrates, einschließlich China und Russland, hinsichtlich eines gemeinsamen Ansatzes zusammenarbeiten.

In Syrien führt nur Multilateralismus zum Erfolg. Die UNO bleibt die größte – und eigentlich einzige – Hoffnung der Welt, das Blutbad in Syrien zu beenden und die Flüchtlingsströme nach Europa einzudämmen. 

(c) Project Syndicate