25 Jahre nach dem Ende der Apartheid steht Südafrika wirtschaftlich, sozial, politisch und moralisch mit dem Rücken an der Wand. Die Arbeitslosenzahlen sind die höchsten aller Schwellenländer, das Wirtschaftswachstum ist zu niedrig, Versäumnisse in der Bildungspolitik verschlimmern die Situation. Eine wirkliche Diversifizierung der Industrie hat nicht stattgefunden: Rohstoffe bleiben die wichtigsten Wachstumsfaktoren. Zugleich klagt die kleine mittelständische Unternehmerschaft über Bürokratie, fehlende Investitionen und Fachkräftemangel. Die komplexen Umverteilungs- und Partizipationsprobleme aus der Zeit des Apartheidregimes sind längst nicht überwunden. Die Folgen der Rassenpolitik wirken weiterhin fort. In der Konsequenz geht die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander.

25 Jahre nach dem Ende der Apartheid steht Südafrika wirtschaftlich, sozial, politisch und moralisch mit dem Rücken an der Wand.

Die jüngste Eskalation: Seit Monaten sind Arbeiter, die weiterhin unter den Bedingungen eines ausbeuterischen Wanderarbeitersystem in den Minen und auf den Farmen arbeiten,  im Dauerausstand. In drei der größten Platinminen wird seit Januar ununterbrochen gestreikt. 2012 endeten wilde Bergarbeiterstreiks in einem Massaker. Über 30 Arbeiter wurden zum Teil durch Rückenschüsse von der Polizei getötet. Der eingesetzten Untersuchungskommission wird vorgeworfen, die Verantwortung der Regierung zu vertuschen. Der Vorfall entwickelt sich zum Trauma, erinnert er doch an das Sharpville-Massaker, in dem das Apartheidregime mehr als 69 friedlich demonstrierende Schüler und Studenten im Township erschoss.

Auch international ist der Respekt für Südafrika und die politische Führung, die friedlich das Apartheidsystem überwand, weitgehend verblasst. Im internationalen und regionalen Kontext enttäuscht Südafrika immer wieder die Erwartungen, die an eine Zivilmacht in Sachen Menschenrechte, Multilateralismus und Entwicklung gestellt werden.

ANC: Von der Befreiungs- zur Krisenpartei

Bisher war der Parteichef, Staatspräsident und erneuter Präsidentschaftskandidat Jacob Zuma vor allem bei den ANC Anhängern aus den ländlichen Gegenden populär. Die linken Kräfte, allen voran die Gewerkschaften hatten ihn 2009 ins Amt gehoben. Doch aktuelle Umfragen sagen dem African National Congress (ANC) bei den Wahlen am 7. Mai einen Stimmenverlust von bis zu fünf Prozent voraus. Mit vermutlich rund 60 Prozent wäre es das bisher mit Abstand schlechteste Wahlergebnis seit 1994. In Folge der heftigen Auseinandersetzungen im Gewerkschaftsdachverband COSATU zwischen Anhängern und Gegnern Präsident Zumas, hat die größte Metallgewerkschaft NUMSA mit ihren 350 000 Mitgliedern zuletzt dem ANC die Unterstützung entzogen. Ein Novum: Bisher standen die Mitgliedsgewerkschaften des größten Dachverbands stets geschlossen hinter dem ANC und bildeten einen wichtigen Mobilisierungsfaktor.

Verantwortlich für den erwarteten Stimmenverlust ist die derzeitige Regierungs- und Parteiführung des ANC, allen voran der 72-jährige Zuma. Bereits vor seiner Amtsübernahme 2009 war er wegen Vergewaltigung und Korruption angeklagt. Beide Verfahren wurden vor seiner Amtsübernahme ausgesetzt. Doch während seiner fünfjährigen Amtszeit gingen die Skandale weiter. Während sich unter den Präsidenten Mandela und Mbeki die Selbstbereicherungsmentalität noch auf wenige Politiker beschränkte, die aufgrund ihrer politischen Kontakte zu reichen Unternehmern wurden, breitete sich diese unter Zuma auf alle Regierungsebenen aus. Täglich werden neue Skandale aufgedeckt. Patronage, Korruption und Missmanagement in der öffentlichen Verwaltung treffen vor allem die mehrheitlich schwarze Bevölkerung, die nicht auf den privaten Dienstleistungssektor ausweichen kann.

Die Skandale erreichten ihren Höhepunkt im sogenannten Nkandlagate. Dabei geht es um 25 Millionen Euro Steuergelder, die in das private Anwesen des Präsidenten investiert wurden. Eine auf Antrag der Opposition durchgeführte unabhängige Untersuchung ergab, dass der Präsident und seine Familie privat von den Investitionen profitieren und die Kosten durch Missmanagement in die Höhe getrieben wurden. Der Aufforderung, Steuergelder zurückzuzahlen, ist der Präsident nicht nachgekommen. Regierungsvertreter um Zuma, allen voran der Sicherheitsapparat, versuchen vielmehr, die für den Bericht verantwortliche Ombudsfrau durch eine Diffamierungskampagne zu diskreditieren.

Analysten sehen in dieser Entwicklung ein Symptom  für das weitverbreitete Problem politischer Eliten, die aus einer Befreiungsbewegung hervorgingen und nach langer Unterdrückung durch Kolonisation und Apartheidsystem, die Macht nun als Möglichkeit zur schnellen Akkumulation von Reichtum nutzen.

Bisher schützten Zuma seine hohen Popularitätswerte  in der mehrheitlich schwarzen Wählerschaft. Innerparteilich wird er von seiner Unterstützern, die er mit wichtigen Schlüsselpositionen in Regierung und Verwaltung versorgt hat, geschützt. Doch die sich häufenden Skandale  und die brutalen Reaktionen des Sicherheitsapparates auf Proteste wecken selbst bei seinen größten Anhängern Zweifel. Deutlich wurde dies nicht zuletzt auf der weltweit ausgestrahlten Begräbnisfeier für Nelson Mandela. Während US-Präsident Obama Jubel entgegenschallte, wurde Zuma vor aller Welt ausgebuht. Eine Ursache dafür, dass der Präsident mittlerweile auch in seiner Partei umstritten ist. Obwohl die ANC-Führung nach außen weiterhin Geschlossenheit demonstriert, wird hinter den Kulissen bereits heftig über die mögliche Nachfolge debattiert.

Doch kann es die Opposition besser?

Doch der Opposition geht es nicht unbedingt besser. Die führende Oppositionspartei Democratic Alliance (DA), die die Provinz Westernkap seit 2009 regiert, bleibt für viele traditionelle ANC-Anhänger noch immer unwählbar. Die Partei bemüht sich das Image einer Partei der weißen Minderheit loszuwerden, indem sie zunehmend junge Schwarze in Parteifunktionen hebt. Sie ist dennoch lediglich für eine kleine, junge neue schwarze Mittelklasse vor allem in der wirtschaftlich stärksten Provinz Gauteng eine mögliche politische Alternative.

Doch auch andere, neue Parteien, die sich 2013 zum Teil durch Abspaltung vom ANC gebildet haben oder wie die Partei Agang im vergangenen Jahr von einer Befreiungskampfikone und ehemaligen Managing Director der Weltbank neu gegründet wurden, stehen vor enormen Herausforderungen. Ihnen fehlt nicht nur eine breite Parteibasis, sondern auch ein alternatives und überzeugendes Programm. Von der Entzauberung des ANC dürfte vor allem die vom geschassten ANC-Jugendligaführer gegründete Economic Freedom Fighters (EEF) profitieren. Vor allem junge Männer ohne berufliche Perspektiven und Teile der Landbevölkerung, die die Nase von der Korruption und miserablen Verwaltung der ANC-Mandatsträger auf kommunaler Ebene voll haben, könnten ihnen die Stimme geben.

Doch diese Alternativen dürfte die Mehrheit des Wahlvolkes kaum überzeugen. Zudem Julius Malema, der durchaus charismatische Führer der EEF, für einen luxuriösen Lebensstil bekannt ist und wegen Steuerbetrug und Korruption unter Anklage steht.  Vielmehr wird insgesamt eine niedrige Wahlbeteiligung erwartet. Viele, vor allem junge Wähler, haben sich gar nicht erst registrieren lassen. Andere werden der „Vote No“- Kampagne ehemaliger ANC-Führer folgen, die eine moralische Erneuerung der Partei fordern und zur Protestwahl gegen Zuma und seine Mitstreiter aufrufen.

Umstrittene Regierungspolitik

Die Regierung unter der Führung des ANC ist sich der Probleme des Landes durchaus bewusst. Doch überzeugende Regierungsführung sieht anders aus. Der 2013 beschlossene Entwicklungsplan soll bis 2030 Millionen von Arbeitsplätzen und eine grundlegende Verbesserungen im Bildungs-, Wohnungs-, und Gesundheitssektor bringen. Der ehrgeizige Plan basiert auf einer umfassenden Analyse der gesellschaftlichen Schieflage in Südafrika. Dennoch ist der Glaube an die erfolgreiche Umsetzung gering. Vor allem der wirtschaftspolitische Kern ist umstritten. Je nach politischer Couleur befürchten die einen staatlichen Interventionismus, die anderen zu wenig Staat. Vor allem die Linke kritisiert den im Kern neoliberalen Ansatz, der Wirtschaftswachstum und Finanzstabilität als oberstes Ziel verfolgt und damit erneut in erster Linie die Interessen der Wirtschaft und der Investoren im Blick hat. Und das obwohl sich trotz rigider Anti-Inflations- und Haushaltspolitik die Wirtschaft in Südafrika bisher nicht wie erhofft entwickelt hat.

Die Regierung unter der Führung des ANC ist sich der Probleme des Landes durchaus bewusst. Doch überzeugende Regierungsführung sieht anders aus.

Während Südafrika 1994 noch eine Chance hatte, die strukturellen Probleme durch eine umfassende Infrastruktur- und Industriepolitik zur Diversifizierung und Modernisierung anzugehen, sind die Bedingungen heute aufgrund der raschen globalen Entwicklung deutlich schlechter.

Die Entscheidung der Mandela-Regierung, von einer Umverteilungspolitik auf einen letztendlich neoliberalen Wirtschaftskurs umzuschwenken, wurde entgegen aller Forderungen seitens der Gewerkschaften auch unter Zuma beibehalten. Ein Umschwenken ist vom ANC auch künftig nicht zu erwarten. Zu eng sind politische mit wirtschaftlichen Interessen - auch personell - verwoben. Für einen notwendigen und vielbeschworenen Sozialvertrag fehlt die Vertrauensbasis.

Trotz allem: Der ANC als Sieger

Dennoch dürfte der ANC erneut die Wahlen gewinnen. Der Grund: Für die Mehrheit der Bevölkerung gibt es auch weiterhin keine politische Alternative. Sie hat dem ANC bei allen Wahlen seit Einführung der Demokratie treu ihre Stimme gegeben und so dafür gesorgt, dass die Partei seit 20 Jahren mit einer satten, zeitweise sogar mit einer Zweidrittelmehrheit, auf Bundes- und Landesebene regiert. Dabei kommt die Unterstützung nicht von ungefähr. Die schwarze Mehrheit hat die seit 1994 regierende Allianz aus dem ANC, dem COSATU und der South African Communist Party (SACP) Einiges zu verdanken.

Dennoch dürfte der ANC erneut die Wahlen gewinnen. Der Grund: Für die Mehrheit der Bevölkerung gibt es auch weiterhin keine politische Alternative.

Der ANC hat der Bevölkerungsmehrheit nicht nur die politische Freiheit gebracht, sondern sie auch mit Strom, Wasser und Wohnungen versorgt. Immerhin die absolute Armut wurde durch ein umfassendes Sozialtransfersystem erfolgreich bekämpft. Die Regierung ist gerade dabei, ein umfassendes Krankenversicherungssystem einzuführen. Die Ansteckungs- und Sterberate durch HIV/AIDS wurde seit der Amtsübernahme Zumas drastisch reduziert. Die 30 Prozent der Bevölkerung, die von den Transferleistungen des Staates abhängen, glauben nicht, dass diese sozialen Leistungen unter einer anderen Regierung weitergeführt werden. Und die ANC-Wahlkämpfer schüren diese Ängste.

Es fehlt links vom ANC eine wählbare politische Alternative. Somit dürfte die Mehrheit erneut die ehemalige Befreiungsbewegung wählen – trotz der Skandale und der politischen Fehlleistungen, die dem ANC und seiner derzeitigen Führungselite angelastet werden.