Diesmal hat es nicht geklappt. Im Oktober scheiterten zwei nordkoreanische Raketenstarts. Am 9. September 2016 dagegen führte Nordkorea seinen bislang größten Nukleartest durch. Scheinbar unaufhaltsam beschleunigt das Regime von Kim Jong-un sein Atomwaffenprogramm: Allein im Jahr 2016 testete Nordkorea zweimal Nuklearsprengsätze (im Januar und September), und trotz der Verurteilung durch die Vereinten Nationen und der Verschärfung von Sanktionen schoss es mehrfach ballistische, U-Boot-gestützte oder Mittelstreckraketen ab (neben den gescheiterten Versuchen im Oktober, im Februar, April, Mai, Juni, August und September). Weitere Atomtests und Abschüsse ballistischer Raketen noch in diesem Jahr, unter dem Beifall einer manipulierten nordkoreanischen Öffentlichkeit, wären keine Überraschung.

Die Regierung Kim scheint unbeeindruckt von den internationalen Reaktionen. Offiziell orientiert sich die Regierung Kim Jong-un zwar an der „Pyongjin“-Linie, die – im Gegensatz zur Priorität des Militärischen unter Kims Vater Kim Jong-il – wirtschaftliche und nukleartechnologische Entwicklungen gleichgewichtig verfolgt. De facto hat das Nuklearprogramm eindeutig Priorität. Zwar führte die Regierung vorsichtige Wirtschaftsreformen durch, doch politisch-propagandistisch dominiert das Atomprogramm nach innen wie nach außen.

Was sind die Motive für diese bellizistische Strategie, die das Land immer weiter in die Isolation treibt?

Was sind die Motive für diese bellizistische Strategie, die das Land immer weiter in die Isolation treibt? Der Hauptgrund für die riskante Politik am Abgrund ist, das Überleben des Regimes zu sichern. Bislang kann sich Kim und seine Clique diesen abenteuerlichen Balanceakt nur leisten, weil das komplexe amerikanisch-chinesische Verhältnis in dieser Region den Nordkoreanern Handlungsspielräume eröffnet hat. Der von Präsident Barack Obama angekündigten Verschärfung der Sanktionen gegen Nordkorea begegnete Nordkoreas Machthaber Kim mit Spott und ließ den Sprecher des Außenministeriums verkünden: Das „Gerede über bedeutungslose Sanktionen von Obama und seinen Leuten ist höchst lachhaft.“ Und tatsächlich haben die USA die Sanktionskarte bereits jetzt fast völlig ausgereizt; weiter kann die Sanktionsschraube kaum angezogen werden. Ob Technologieexporte, Nahrungsmittellieferungen, Schifffahrtswege nach Nordkorea, Reisemöglichkeiten für die politische, wirtschaftliche und militärische Führung oder internationale Finanztransaktionen, dies alles ist bereits komplett oder auf ein Minimum heruntergefahren.

Das wirtschaftliche und damit auch politische Überleben des Regimes in Pjöngjang liegt heute weitgehend in den Händen der chinesischen Regierung. Denn sämtliche Öl- und Nahrungsmittelimporte kommen heute aus China. Auf den jüngsten Atomtest Nordkoreas reagierte die chinesische Regierung zunächst mit Schweigen, obwohl die Provokation für die Schutzmacht eine peinliche Desavouierung bedeutete. Warum aber reagiert China nicht oder nur zögerlich, zumal die chinesische Regierung immer wieder glaubhaft und plausibel verkündet hat, das nordkoreanische Atompotenzial nicht tolerieren zu können? Die Antwort hierauf ist simpel: China kann und will sich den Kollaps der nordkoreanischen Regierung nicht leisten. Weder ein chaotischer Zusammenbruch Nordkoreas noch eine geordnete Wiedervereinigung von Nord- und Südkorea sind eine für Peking akzeptable politische Perspektive. Bei einem Kollaps des nordkoreanischen Regimes würden vermutlich Flüchtlinge in zweistelliger Millionenzahl nach China strömen und ein Vakuum hinterlassen, in das Südkorea mit seinem Verbündeten USA bis an die chinesische Grenze vorrücken würde. Dieses Vordringen würde auch bei einer politisch sorgfältig orchestrierten Wiedervereinigung passieren – ein Horrorszenario für die chinesische Führung. Das von Konflikten und Interessengegensätzen im gesamten asiatischen Bereich geprägte schwierige Verhältnis zwischen China und den USA würde sich an einer entscheidenden geopolitischen Position zugunsten der USA verschieben.

China wird keine wirtschaftlichen Maßnahmen ergreifen, die die Kim-Regierung destabilisieren.

Die USA können also in ihrem Bestreben, das nordkoreanische Atomprogramm zu stoppen und zu revidieren zwar mit der verbalen Zustimmung Pekings rechnen, nicht aber mit Schritten, die das Regime in Pjöngjang gefährden. Die chinesische Regierung wird keine wirtschaftlichen Maßnahmen ergreifen, die die Kim-Regierung destabilisieren. Damit wird das Raketen- und Atomprogramm Nordkoreas zu einer Lebensversicherung für Kim Jong-un und seine politische Elite. Denn international muss man sich um diese Entwicklung kümmern, damit die Regierung Kim nicht zum völlig unberechenbaren Hasardeur wird und innenpolitisch kann die Führung in Pjöngjang immer wieder auf eine Bedrohung von außen verweisen, um die Bevölkerung zum ökonomischen Verzicht für größere Militäranstrengungen zu mobilisieren.  

Zwei weitere Hindernisse stehen einer konstruktiven Lösung dieses vertrackten Dilemmas im Wege. Würde China tatsächlich den Handel mit Nordkorea einschränken oder gar beenden, dann ist nicht ausgeschlossen, dass Russland diese Lücke füllen würde. Bislang ist die russische Regierung als Mitglied der sogenannten Sechsparteiengespräche zur nuklearen Rüstungskontrolle in Nordkorea stiller teilnehmender Beobachter. Für die russische Regierung würde eine härtere Gangart Chinas gegenüber Nordkorea neben Europa und Syrien ein Feld eröffnen, seine eigenen Ansprüche als Weltmacht, gerade gegenüber den USA, zu artikulieren.

Bedeutsamer aber noch ist, dass Südkorea und die USA mit militärischem Muskelspiel Nordkorea immer wieder Anlass geben, auf seine eigene militärische Stärke zu pochen, um sich „als kleines Land, von Atommächten umzingelt“, – wie Offizielle in Pjöngjang gerne betonen – zu verteidigen. Der jüngste Stein des Anstoßes ist die Stationierung des Raketenschilds THAAD (Terminal High Altitude Area Defense) in Südkorea. Laut Meldungen des Pentagon beschlossen die Republik Korea und die USA, THAAD als Verteidigungsmaßnahme gegen Massen­vernichtungswaffen und ballistische Raketen Nordkoreas einzurichten. Diese Entscheidung hat nicht nur zu geharnischten Kommentaren und Reaktionen in Pjöngjang geführt, sondern auch die amerikanisch-chinesische Kooperation in Sachen nordkoreanisches Atomprogramm zunächst de facto auf Eis gelegt, wenn nicht gar beendet. Die chinesische Regierung interpretiert THAAD als einen weiteren amerikanischen Versuch, den Einfluss Chinas einzudämmen. Washington behauptet zwar, das für 2017 geplante System sei ausschließlich zur Verteidigung Südkoreas gegen nordkoreanische Raketenangriffe konzipiert und würde, so Obama, „die strategische Balance zwischen den Vereinigten Staaten und China nicht verändern.“ Doch das sieht die chinesische Regierung naturgemäß anders. Die Konsequenz sind die für Rüstungswettläufe seit jeher typischen Aktionen und Reaktionen mit gegenseitiger Schuldzuweisung bei den Akteuren in dieser volatilen Weltregion.

Eine konstruktive amerikanisch-chinesische Politik zur Eindämmung des nordkoreanischen Atomprogramms bleibt dabei auf der Strecke, und es scheint lediglich eine Frage der Zeit, bis der nächste Atomsprengsatz in Nordkorea gezündet wird und die Menschen in Pjöngjang ihrer Führung wieder applaudieren.

In den letzten Jahren sind Verhandlungen zur Beendigung des Programms stark in den Hintergrund gerückt, vor allem mangels wirklich handfester Optionen. Diese internationale Zurückhaltung bedeutet aber nicht, dass sich die Hauptakteure und Gegenspieler (vor allem die USA, China und Südkorea, aber auch Russland und Japan) mit der Existenz der nordkoreanischen Nuklearwaffen abgefunden haben. Nach wie vor geht es nicht um die stillschweigende Duldung dieses Programms, sondern um schwierige und oft aussichtslos scheinende Verhandlungen. Zwar sind die Aussichten, die nordkoreanische Führung zum Einlenken zu bewegen, nicht rosig; doch Verhandlungsbereitschaft hat Nordkorea schon oft kategorisch aus­geschlossen, um dann bei entsprechendem internationalem Druck doch wieder an den Verhandlungstisch zurückzukehren.

Nach wie vor geht es nicht um die stillschweigende Duldung dieses Programms, diplomatische Bemühungen sind nach wie vor vonnöten.

Diplomatische Bemühungen sind also nach wie vor vonnöten. Um Bewegung in die verfahrene Situation mit Nordkorea zu bringen und möglicherweise gar das nordkoreanische Atomprogramm doch noch zu revidieren, sind einige grundsätzliche, nicht einfach zu realisierende politische Veränderungen nötig.

Erstens ist es erforderlich, eindeutig und glaubhaft zu machen, dass in Washington und Seoul kein Regimewechsel in Nordkorea geplant ist.

Zweitens müssten China und die USA ihre diversen Konfliktlinien in Asien (beispielsweise die territorialen Ansprüche Chinas im Südchinesischen Meer) ausklammern, um trotz der Differenzen hinsichtlich Nordkorea zu kooperieren.

Drittens sollten Südkorea und die USA einseitig auf vertrauensbildende Maßnahmen setzen, auf provokative Militärprogramme (zumindest zeitlich befristet) verzichten und beispielsweise die jährlichen umfassenden Militärmanöver deutlich reduzieren oder aussetzen.

Viertens sollte Peking Nordkorea verdeutlichen, dass es Grenzen der Zumutbarkeit gibt und restriktivere Wirtschaftssanktionen ins Auge fassen. Um dies glaubhaft zu machen, ist fünftens erforderlich, Russland in dieses Konzept einzubinden, trotz der Irritationen im russisch-westlichen Verhältnis in Europa.

Fünftens sollte Nordkorea mit der Ankündigung weitgehender Technologie- und Wirtschaftshilfe gelockt werden. Dieses Hilfsangebot muss so umfassend sein, dass Nordkorea kaum ablehnen kann. Voraussetzung hierfür ist natürlich, dass die Regierung Kim sich bereit erklärt, über nukleare Deeskalation und Abrüstung zu verhandeln. Letzteres ist der vielleicht schwierigste Schritt.

Eine derartig weitgehende Strategie erfordert Zugeständnisse und Abrücken von lang gepflegten Positionen bei allen Beteiligten. Ob ein solches Konzept erfolgreich sein wird, kann angesichts diverser, letztlich gescheiterter Verhandlungsrunden seit Anfang der 1990er Jahre niemand voraussagen. Aber die vorherigen Verhandlungsrunden sind immer daran gescheitert, dass eine der beteiligten Seiten (und nicht nur Nordkorea) mit gezinkten Karten gespielt hat. Um bei der Abrüstung des nordkoreanischen Atomprogramms zum Erfolg zu kommen, ist es an der Zeit, mit offenen Karten zu spielen.