Wer Bilder aus Syrien, dem Irak und jüngst aus Paris betrachtet, wo im Namen „des Islam“ Andersgläubige ermordet werden, mag zunächst voreilig dazu neigen, für Bewegungen wie Pegida Verständnis zu empfinden. Doch die Aussagen der Mehrheit der Demonstranten in Dresden legen den Schluss nahe, dass es „der Bewegung“ nicht nur um eine berechtigte Islamismuskritik geht. Vielmehr wird an ihr deutlich, worauf manche Soziologen schon wiederholt aufmerksam gemacht haben. Dass nämlich die Islam(ismus)kritik dazu instrumentalisiert wird, einer allgemein rassistischen Grundstimmung Ausdruck zu verleihen.
Doch was für Kriterien der Kritik gälte es anzuwenden, damit aus einer berechtigten Islamismuskritik keine pauschale Islamfeindlichkeit oder ein antiorientalischer Rassismus wird? Und wie sollten sich liberale Muslime in diesem Weg konstruktiv einbringen? Hier fünf Kriterien zur Unterscheidung:
Wie Kritik möglich ist
Erstens: Indirekt ist schon in der Frage das erste Kriterium angelegt. Zwischen Islamist und Muslim ist zu differenzieren. Hierin sollten liberale und säkulare Muslime seitens der Öffentlichkeit und der Politik sowohl gefördert, als auch gefordert werden. Die Trennlinie heißt dabei Scharia. Wenn Islamisten meinen, Andersgläubige als minderwertig betrachten zu müssen, sind sie Rechtsextremen gleichzusetzen. Dabei ist es aber zugleich wichtig, einen Determinismus in der Debatte auszuschließen. Islam führt natürlich nicht automatisch zu Islamismus, Schariaismus und Jihadismus – auch wenn manche selbsternannte Islamkritiker und natürlich Islamisten das gerne hätten. Denn mit einem solchen Automatismus werden jegliche Liberalisierungsbewegungen von Muslimen unmöglich gemacht. Daher das Plädoyer, von Islamismuskritik statt Islamkritik zu sprechen.
Zweitens: In der Islamismuskritik hat Biologismus à la Thilo Sarrazin nichts verloren. „Der Islam“ hat keine DNS. Muslime sind genetisch nicht dümmer als Nicht-Muslime. Solche Mystifizierungen sind rassistisch, kontraproduktiv und falsch – Universalgelehrte wie Avicenna oder Al-Chwarizmi, den Namensgeber des Algorithmus, lassen grüßen. Dabei ist Rassismuskritik übrigens auch seitens der Muslime notwendig, etwa in Bezug auf den Konflikt zwischen türkischen und kurdischen Muslimen.
Drittens: „Der Islam“ an sich darf nicht pauschal mit Faschismus gleichgesetzt werden. Sicher ist „der Islam“ – wie auch die anderen monotheistischen Religionen – kein pazifistischer Glaube. Je nach Lesart sind hier (Fehl)interpretationen – auch in Richtung Faschismus – möglich. Doch der Faschismus liegt im Auge des Interpreten. Das ist der Unterschied. Wenn Geert Wilders in den Niederlanden ein Verbot des Korans wie des Hitler-Werkes „Mein Kampf“ fordert , dann ist das in Zeiten des Internets nicht nur unrealistisch, sondern auch selbst Beleg für ein starres ideologisches Weltbild.
Denn natürlich muss der historische Kontext des Korans berücksichtigt werden – ebenso wie dies mit der christlichen Heiligen Schrift geschieht. Liberale und säkulare Muslime in Europa sollten sich an entsprechenden Neuinterpretationen wie durch Bassam Tibi, Mouhanad Khorchide, Lale Akgün, Lamya Kaddor, Yasar Nuri Öztürk oder Navid Kermani beteiligen. Und Islamismuskritiker sollten aufhören, den Muslimen die Liberalisierungsunfähigkeit ihrer Religion zu erklären.
Und Islamismuskritiker sollten aufhören, den Muslimen die Liberalisierungsunfähigkeit ihrer Religion zu erklären.
Viertens: Dämonisierungen „des Islams“ sind nicht statthaft. Wenn christliche Extremisten wie der US-Pfarrer Terry Jones Bücher wie „Islam is of the Devil“ verfassen und zu öffentlichen Verbrennungen des Korans aufrufen, verhindert dies einen rationalen und konstruktiven Diskurs. Auf der anderen Seite muss es in der muslimischen Welt, sowohl in Europa als auch in anderen Teilen der Welt, zu einem pädagogischen Umdenken kommen, auf religiöse Provokationen nicht mit Gewalt zu reagieren wie in den Fällen um die sogenannten Mohammed-Karikaturen.
Fünftens: „Der Islam“ sollte nicht als monokausaler Sündenbock für gesellschaftliche Probleme herangenommen werden. Hier spielen wirtschaftspolitische, sozialpolitische und sozialpsychologische Ursachen häufig eine größere Rolle.
Eine Kritik, die diese fünf Pauschalisierungen – ähnlich der Antisemitismus-Arbeitsdefinition des European Monitoring Centers against Racism and Xenophobia – vermeidet, kann durchaus wichtige Impulse setzen. Doch wie können diese fünf Kriterien in westlichen Gesellschaften realisiert werden? Es bedarf einer solidarischen Kooperation zwischen säkularen Muslimen und humanistischen Nicht-Muslimen. Die säkularen Muslime müssen die Auseinandersetzung mit den Islamisten suchen und für liberale sowie säkulare Positionen plädieren. Eventuell aufbauend auf einer Islamosophie bzw. einer islamischen Philosophie in der Tradition von Averroes, Al-Farabi und Al-Ghazali. Zugleich sollten sich humanistische Nicht-Muslime den fremdenfeindlichen Pauschalisierern entgegenstellen.
Es geht um individuelle Freiheiten, doch die Freiheit bringt auch Verantwortung mit sich. Verantwortung zur Solidarität mit den Toleranten, aber auch zur Kritik an den Intoleranten – welcher politischen Richtung auch immer. Lasst uns zusammenhalten und gemeinsam gegen Menschenverachtung und Extremismus vorgehen. Egal unter welchem Namen sich dieser äußern sollte.
10 Leserbriefe
Ein Verbot, über die DNS konkret nachzudenken, möchte ich nicht akzeptieren. Ich halte es da allerdings lieber mit Akif Pirincci als mit Thilo Sarrazin. Die These des erstgenannten wird mit Autoren, die im achten bzw. im 10. Jahrhundert gezeugt wurden, im 21. Jahrhundert nicht mehr widerlegt. Ich mag einfach keine Denkverbote.
Bitte nicht falsch verstehen, Herr Asgari, ich halte Sie für einen klugen "Muslim", wenngleich es mir widerstrebt, Sie auf "Ihre" Rückbindung an "Ihre" Stifterzeit festzunageln, mithin auf das, was "wir" Bekenntnis nennen, aber die Form der re-ligio von Christen und Muslimen ist wohl nicht zu vergleichen. Was ich sagen will ist: Sie sind ja nicht nur Mann bzw. Muslim mit einer bestimmten Ahnenreihe, sondern Sie sind auch Sozialarbeiter, Forscher, Vereinsmitglied, vermutlich ein für seine Kinder sorgender Familienvater, usw.
Wenn ich Sie richtig verstehe, ist der Islamist einer, der kein Wort des Trostes übrighat und die Passagen, die mit "Krieg" und "Strafe" zu tun haben, aus dem Zusammenhang jener Passagen im Heiligen Qur'an reißt, die von der göttlichen "Gnade" getragen werden. Der "Muslim" aber ist dann einer, der Gut und Böse unterscheiden kann bei der Hingabe an "Krieg <o> Frieden". Lies: Djihad <o> Islam. Sie mögen aber entschuldigen, wenn ich in der islamischen Geschichte und namentlich der Zeitgeschichte, kaum Ansätze einer Hinwendung "zum Guten" erkennen kann, geschweige denn zum summum bonum. Familie, heißt es, rauft sich zusammen. Aber mir kommt es als Außenstehender immer so vor, als ob sich in trostloser Wiederkehr des Gleichen nur miteinander verfeindete Sippen gegenseitig die Köppe einschlagen. Wenn der Islam zu Deutschland gehören will, dann fände ich eine Beteiligung muslimischer Denker an der Debatte um das Spannungsfeld zwischen ethnos und demos, ius sanguinis und ius soli auch mal ganz erfrischend.
Auch vermisse ich den Hinweis, dass der Koran schon immer auch historisch gelesen wurde. Schon immer wurde gewusst, wann welcher Vers in welchem Kontext offenbart wurde und das ist auch Bestandteil der traditionellen Ausbildung, die sich über viele Fachgebiete erstrecken kann (und über die auch die hiesigen Uniprofessoren leider kaum verfügen, was aber leider auch gerne verschwiegen wird). Statt "islamistisch" als Unterscheidungskriterium zu nehmen würde ich daher lieber sagen: Wer die Zusammenhänge bewusst verschweigt (oder vielleicht mangels fundierter islamischer Bildung möglicherweise gar nicht kennt!), der sollte kritisch gesehen werden - und vielleicht in bester islamischer Tradition aufgeklärt werden.
Insgesamt vermisse ich eine Diskussion über die Qualität der islamischen Bildung - diese ist hierzulande doch sehr sporadisch verfügbar und leider spielt "Scheich Google" bei vielen daher ein große Rolle.
Die Leitlinien für die innerreligiöse und gesellschaftlich nach außen gerichtete Ausgestaltung, ob für den Islam oder jede andere Religion müssen genau genommen nicht einmal diskutiert werden, sie liegen allesamt vor in den Chartern, den Konventionen, den Regelungen zu den universellen Menschenrechten: bei den Vereinten Nationen, bei der EU, in New York, in Genf, in Straßburg, in Den Haag – alles liegt vor. Es muss nicht mal mehr diskutiert werden über Gleichberechtigung der Geschlechter, über menschenrechtliche Bestimmungen, auch hinsichtlich der Unversehrtheit und der Wahrung der Integrität im Strafsystem. Eine Glaubenslehre gehört zu einem demokratischen, der Toleranz verpflichteten Land dann, wenn sie das Politische vom Religiösen trennt, wenn sie keine Quelle der Angst ist, wenn sie die politisch-demokratischen Standards – bei aller menschenrechtlich zu vereinbarenden legitimen kulturell-religiösen Färbung – erfüllt. Vergleiche zwischen den Religionen, ihren Sonderformen fundamentalistischer Weltbilder, ihren bösen Taten der Vergangenheit sind historisch von Interesse, aber für die Diskussion zählt der Erkenntnisstand der Gegenwart, nur er verpflichet. Das ist kein Eurozentrismus, sondern das Ergebnis eines konsequent beschrittenen Wegs seit griechischer Logiklehre bis zu heutigen Erkenntnissen aus internationaler Rechtslehre, aus Sozialpsychologie oder Religionspädagogik. Asgaris Beitrag ist ermutigendes Beispiel für einen vor allem hochnotwendigen innerislamischen Diskurs, der den Blick auch auf die universell verbindlichen Werte richtet – auch der von Asgari erwähnte Avicenna verpflichtet dazu.
In Deutschland gibt es wenige Terroristen, die sich zur Legitimation auf den Islam beziehen (und ihn damit missbrauchen, auch wenn sie selbst das nicht so sehen). Es gibt jedoch, einer Studie des WZB zufolge, eine erhebliche Zahl an muslimischen Fundamentalisten, Mitbürger/innen denen das religiöse Gebot über dem weltlichen steht und die im Zweifelsfall Gesetze misachten würden um ihrem Glauben zu folgen - bis zur Hälfte unserer türkischstämmigen Mitbürger/innen denkt lsut WZB so. Das ist nicht gut für die Integration in den demokratischen Staat.
Nicht zu vergessen ist aber, dasses nach der selben Studien in Deutschland insgesamt mehr christliche als muslimisische Fundamentalist/innen gibt.
Der Balken im eigenen Auge: wie können wir Fundamentalismus bei allen Einwohnergruppen zurückdrängen? Reicht Toleranz, eintreten gegen den ubiquitären Alltagsrassismus, echte Chancengleichheit, oder was sonst muss getan werden? Und da sind nicht nur - wie es vor wenigen Minuten der Präsident des Zentralrats der Juden in Berlin gefordert hat - die muslimischen Gemeinden gefordert, sondern die christlichen und jüdischen ebenso, genau wie Politik und Zivilgesellschaft...
aus Köln,
Ihr Satz
"... mag zunächst voreilig dazu neigen, für Bewegungen wie Pegida Verständnis zu empfinden. Doch die Aussagen der Mehrheit der Demonstranten in Dresden legen den Schluss nahe, dass es „der Bewegung“ nicht nur um eine berechtigte Islamismuskritik geht. Vielmehr wird an ihr deutlich, worauf manche Soziologen schon wiederholt aufmerksam gemacht haben. Dass nämlich die Islam(ismus)kritik dazu instrumentalisiert wird, einer allgemein rassistischen Grundstimmung Ausdruck zu verleihen. "
ist leider unglaubwürdig, da nicht belegbar und wohl schablonenhaft von den Erfahrungen in Ihrer nordrheinischen Provinz einfach 1:1 auf die Provinz Elbthal mit völlig anderen Menschen fälschlich geschlußfolgert.
Es sei denn, Sie belegen hier die betreffenden (es sollen ja mehrere sein) Soziologen und Studien exakt mit Quellenangaben.
Bis dahin halten wir das mal für eine Ihrer nichtbeweisbaren Vermutungen und damit nicht für eine seriöse Ausführung, sondern nur Wiedergabe des gegfenwärtig voneinander abschreibenden mainstreams.
Dessen ungeachtet finde ich Ihren Artikel hochinteressant, obwohl er leider nur eine Zentralperspektive bedient: Die eines längst integrierten gläubigen Moslems, welches auch immer.
Nichtgläubige Moslems bzw. damit ehemalige Moslems sehen da bekanntlich die Sache viel anders, und sind trotz ihres anderen Glaubensverhältnisses dennoch sozial gleichermaßen betroffen und wie es aussieht in ebensolcher Zahl in Deutschland, wie gläubige Moslems.
Darüber hinaus wäre Ihre Sicht interessant zu dem Verhältnis der Begriffe Islam - Islamismus - Islamisierung unter der Einbeziehung der Tatsache, daß einmal von Religion und ein anderesmal von ideologisiertem Islam, also einer Pervertierung zur Staatsreligion mit erxtremistischer Zielrichtung die Rede ist, deren praktische Umsetzungsvollzug die Islamisierung wäre.
Weiterhin wäre es interessant, zu erfahren, wieso in Ihren Überlegungen
"Eine Kritik, die diese fünf Pauschalisierungen – ähnlich der Antisemitismus-Arbeitsdefinition des European Monitoring Centers against Racism and Xenophobia – vermeidet,", und warum das vermieden werden sollte.
Anmerkung:
Ich teile diese im Link gegebene "Kurzfassung" vvon Prof. Bergmann nicht, da das eine reine zweckkonstruktion ist, die den realen historischen und gegenwärtigen Verhältnissen nicht nur Hohn spricht, sondern auch keinen praktischen Wert, sprich keine Nutzbarkeit aufweisen kann, außer der akademisch aufgeplusterten oder politisch tendenziös einsetzbaren Vorwurfswaffe. Sie kann in keiner Weise zur Veränderung von Judenhass beitragen, sondern diesen nur weiter erhalten ("Was ist, wenn es keinen Antisemitismus mehr gibt? - Dann ist der Zionismus am Ende")
"... aber für die Diskussion zählt der Erkenntnisstand der Gegenwart, nur er verpflichet"
Ja, nur der.