Der Islamische Staat (IS) und sein selbsternanntes Kalifat haben die gesamte freie Welt mit ihrer neuen Art der dschihadistischen Bedrohung herausgefordert. Die internationale Gemeinschaft war höchst alarmiert von dem Erfolg der Islamisten in der Levante zu Beginn des Jahres. Als Folge begann die „Koalition der Willigen“, die von den USA und ihren europäischen und arabischen Alliierten formiert wurde, im August 2014 mit Luftschlägen gegen den IS. Nach drei Monaten Krieg zeichnet sich jedoch ab, dass die Dinge für die Koalition nicht gut laufen. Der IS ist immer noch stark und lebendig und die Lage im Irak dramatisch. Der Grund liegt auf der Hand – um das Kalifat wirksam zu zerstören, sind sehr viel mehr militärische Mittel nötig als nur Luftschläge. Die amerikanische Devise des „no U.S. boots on the ground“ ist nun das größte Hindernis für die Anstrengungen der Koalition. Luftschläge müssen immer von geeigneten Bodentruppen unterstützt werden. Die US-Strategie baut in dieser Hinsicht auf die irakischen Kurden, die irakische Armee und syrische „moderate“ Rebellen. Leider sind diese Kräfte zurzeit schwach und schlecht organisiert.
Als Verbündete ungeeignet
Die kurdischen Peschmerga sind zwar zahlreich – etwa 100.000 Mann – haben aber jahrelang als reine Selbstverteidigungstruppe zur Verteidigung des kurdischen Territoriums fungiert. Es könnte Monate dauern, bis die Peschmerga zu einer militärisch so gut ausgebildeten Angriffsarmee werden, dass sie große Teile des nördlichen Irak zurückerobern könnten.
Die irakische Armee befindet sich ihrerseits im Zustand völliger Auflösung. Nach einer Reihe von Niederlagen zwischen Juni und Oktober 2014 hat der Irak faktisch keine reguläre Armee mehr. Trotz der amerikanischen Pläne sind die irakischen Streitkräfte nicht länger kampffähig – Moral und Kampfeswille der Soldaten wanken. Sie sind noch nicht einmal in der Lage, Bagdad zu verteidigen: Diese Aufgabe wird von irregulären Kräften wahrgenommen, hauptsächlich schiitischen Freiwilligen aus der gesamten Region.
Die Strategie der Koalition gegenüber dem syrischen Kriegsschauplatz ist ebenfalls verfehlt. Der Plan, eine militärisch starke und politisch akzeptable Kraft unter den syrisch-sunnitischen Rebellen zu schaffen, hat sich gleich zu Beginn in Luft aufgelöst. Nach drei Jahren Krieg gibt es in Syrien keine „moderaten“ Rebellentruppen. Die Freie Syrische Armee (FSA) – die größte zumindest formell liberale und säkulare Gruppierung innerhalb der syrischen Rebellen – ist in den letzten Monaten stark marginalisiert und geschwächt worden. Bei anderen vermeintlich „moderaten“ Gruppen wie der „Bewegung der Standhaftigkeit“ (Al-Harakat al-Hazz’m) hat sich kürzlich herausgestellt, dass sie direkt mit der Al-Nusra-Front, dem offiziellen Ableger von Al-Qaida, kooperieren. Sind sie also wirklich glaubwürdige Verbündete unserer Sache?
Die Strategie der Koalition gegenüber dem syrischen Kriegsschauplatz ist ebenfalls verfehlt.
Vor kurzem haben sogar die syrischen Kurden den inoffiziellen Status als „Bodentruppen der Koalition“ erhalten. Die Koalition hat ihnen direkte Militärhilfe geleistet. Die syrischen Kurdenmilizen gehören allerdings größtenteils zu den „Volksverteidigungseinheiten“ (YPG), einem syrischen Ableger der Kurdischen Arbeiterpartei PKK. Die PKK liegt seit 30 Jahren im Krieg mit der Türkei und wird von den USA als terroristische Vereinigung eingestuft. Ankara hat demzufolge nicht die Absicht, sich militärisch am Kampf gegen den IS zu beteiligen.
Die Anti-IS-Koalition hat demzufolge ganz klar im Moment keine Bodentruppen. Was also tun, um diesem großen Manko in ihrer Strategie abzuhelfen?
Ausweg aus der Not
Es gibt nur zwei Auswege – sofern wir tatsächlich beabsichtigen, das Kalifat zu zerstören.
Zum einen könnte die US-Regierung ihren Unwillen, amerikanische Bodentruppen im Krieg gegen den IS einzusetzen, überdenken und ein ausreichendes Truppenkontingent in den Irak schicken. Ein solcher Schachzug könnte, auch wenn er angesichts der bisherigen Politik Obamas unbequem ist, Bagdad relativ schnell retten. Aber er wird den Krieg nicht beenden, weil der IS in Syrien überleben wird.
Es gibt jedoch eine zweite Möglichkeit. Als Alternative zum direkten Einsatz von US- (oder möglicherweise auch europäischen) Bodentruppen sollte man eine fundamentale Änderung der westlichen Politik gegenüber Damaskus und Teheran in Betracht ziehen. Dieser Wandel wäre schmerzhaft für den Westen, würde jedoch in die strategische und operative Lage in der Levante passen, wo die syrische Armee und iranische „Freiwillige“ seit Monaten den IS bekämpfen. Sie sind die einzigen regionalen Kräfte, die fähig sind, das Kalifat zu bezwingen.
Bisher haben wir sie als Teile der „Achse des Bösen“ und unsere schlimmsten Feinde angesehen, die Demokratie und Bürger- und Menschenrechte nicht achten. Daher haben wir die Möglichkeit einer engen Zusammenarbeit mit ihnen gar nicht in Betracht gezogen. Und deshalb versuchen wir immer noch, diese mysteriösen „moderaten“ Rebellen in Syrien oder das offen undemokratische Regime in Bagdad zu unterstützen.
Die geopolitische Lage im Mittleren Osten hat sich in den letzten Monaten gewandelt.
Aber die geopolitische Lage im Mittleren Osten hat sich in den letzten Monaten gewandelt. Der IS ist genauso wie Syrien und der Iran ein tödlicher Feind für uns geworden. Wir alle haben deshalb ein gemeinsames Interesse daran, diese Bedrohung zu entschärfen. Der Westen braucht buchstäblich alle Alliierten, um diesen Teufel zu stoppen – selbst die regionalen Regime mit zweifelhafter Haltung gegenüber Demokratie und Menschenrechten. Auch Russland und China, undemokratische Staaten mit Einfluss und Ressourcen in der Levante. Für ideologischen und politischen Purismus ist jetzt keine Zeit. Jetzt kämpfen wir um die Sicherheit des Mittleren Ostens und unser wichtigstes Ziel ist, den Status quo ante bellum wieder zu erreichen. Wenn wir Erfolg haben, bleibt noch genug Zeit, sich um Demokratie in der Region zu bemühen. Wenn wir allerdings den Krieg mit dem Kalifat verlieren, verlieren wir nicht nur die Chance, unsere Werte im Mittleren Osten zu verbreiten. In diesem Szenario stünden sie selbst in unseren eigenen Ländern auf dem Spiel.
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