In dieser Woche wird das Europäische Parlament (EP) in einer Plenarsitzung einen Entschließungsantrag zum Gedenken an die Rana Plaza Katastrophe verabschieden, die Bangladesh vor nunmehr zwei Jahren erschüttert hat.  Die sozialdemokratische Fraktion des EP, die die Resolution initiiert hat, begrüßt  in ihrer Version die Maßnahmen der Regierung in Bangladesch, regelmäßig Kontrollen der Bau- und Sicherheitsstandards in den Fabriken durchzuführen. Doch diese Schritte gehen noch nicht weit genug. Die Sozialdemokratische Fraktion fordert die Bangladescher Regierung deshalb mit Recht auf, endlich Gewerkschaften und Kollektivverhandlungen zuzulassen – eine der ILO-Kernarbeitsnormen.

Die Sozialdemokraten appellieren gleichzeitig an die verantwortlichen Unternehmen, die immer noch ausstehenden Kompensationszahlungen in Höhe von 9 Millionen US-Dollar an die Verletzten und Hinterbliebenen zu zahlen. Einige Unternehmen haben ihre Kompensation voll bezahlt, andere zum Teil. Manche aber haben sich noch nicht einmal verpflichtet, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Dabei machen sie einen Milliardengewinn auf dem Rücken von unterbezahlten Fabrikarbeitern.

Es ist unumgänglich, dass Unternehmen, die in den G7-Staaten ansässig sind, ihre Lieferketten kontrollieren. Bislang können viele Unternehmen die Lieferketten noch nicht einmal wirklich nachverfolgen. Nicht zuletzt aus diesem Grund haben viele Unternehmen das von Entwicklungsminister Gerd Müller initiierte Textilbündnis im Oktober 2014 abgelehnt. Daraufhin setzte ein intensiver Diskussionsprozess ein. Es ist erfreulich, dass es vergangene Woche zu einer Einigung zwischen den Textilverbänden, dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und den Unternehmen gekommen ist.

Ein weiteres Argument der Unternehmen zur Ablehnung des Textilbündnisses war, dass eine Regelung nur auf EU-Ebene zielführend sei. Dass diese Fragestellung nicht nur national, sondern auch europäisch behandelt und angegangen werden muss, ist nicht nur eine Forderung aus der Wirtschaft, sondern wird auch im politischen Raum Europas diskutiert. Neben weiteren nationalen Initiativen wie in Dänemark oder den Niederlanden plant die Europäische Kommission ein Textilbündnis auf EU-Ebene. Im Lissaboner Vertrag wird ein kohärenter Ansatz für Entwicklungspolitik verfolgt. Das heißt, dass Entwicklungspolitik nicht von Handels-, Agrar-, Umwelt- und Sozialpolitik entkoppelt werden kann. Deshalb ist eine gemeinsame europäische Initiative die richtige Antwort, um den Druck auf die großen Konzerne zu erhöhen. Gleichzeitig schafft sie Bedingungen und Möglichkeiten für kleine und mittlere Unternehmen, bestehende Standards einzuhalten, ohne den Wettbewerb zwischen den Nationalstaaten zu verzerren.

 

„Gute Arbeit weltweit“ als Thema der G-7

Neben dem europäischen stehen die Unternehmen auch in einem globalen Wettbewerb. In diesem Zusammenhang ist es zu begrüßen, dass die Bundesregierung das Thema "Gute Arbeit weltweit" auf die Agenda des G7-Gipfels im Juni setzen will. Wirtschaftlicher Erfolg hängt nicht nur von den Standards der Industrieländer ab, sondern vor allem von den Sozial- und Arbeitsstandards der Produktionsländer. Wir können nicht so tun, als gingen uns die globalen Wertschöpfungsketten nichts an und als wären die Arbeitsbedingungen in den Fabriken ausschließlich die Zuständigkeit der Länder, in denen die Ware produziert wird. Auf dem Dialogforum der Gewerkschaften am 23. März 2015 übernahm die Bundeskanzlerin endlich die Forderung der Sozialdemokraten nach "Transparenz, Prävention und die Möglichkeit, Beschwerden vorzubringen".

"Wirtschaftlicher Erfolg hängt nicht nur von den Standards der Industrieländer ab, sondern vor allem von den Sozial- und Arbeitsstandards der Produktionsländer."

Der Bundestag hat bereits im Oktober 2014 den Antrag "Gute Arbeit weltweit" verabschiedet. Im Europäischen Parlament versuche ich, diese Dimension in einen Entschließungsantrag direkt zum G7-Gipfel einzubringen, damit die Forderung nach Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen in den Entwicklungsländern nicht nur in Europa, sondern bei allen G7-Staaten auf die Tagesordnung kommt. Mit der politischen Unterstützung des Parlaments soll im Vorfeld des G7-Gipfels Druck ausgeübt werden, dass die genannten drei Prinzipien global selbstverständlich werden. Das ist eine zentrale Voraussetzung für faire Lieferketten.

Wie ist das zu erreichen? Am besten in einem Dreiklang zwischen Politik, Wirtschaft und Konsumenten. Bei der Prävention sollen vor allem die Politik und die Wirtschaft dazu beitragen, Arbeitsunfälle in den Fabriken zu vermeiden und eine Unfallversicherung aufzubauen. Der "Vision Zero Fund" ist dazu ein Anfang. Dabei bedarf es jedoch der Zusammenarbeit lokaler Akteure.

Die Möglichkeit zu Beschwerde- und Schlichtungsverfahren besteht bereits heute. Doch das Instrument ist unterfinanziert und unterrepräsentiert. OECD-Staaten haben dazu nationale Kontaktstellen eingerichtet, um Beschwerden nachzugehen und um zwischen Unternehmen und der Arbeitnehmerschaft zu vermitteln. Diese Kontaktstellen aber erreichen nur die notwendige Wirkkraft, wenn sie ausreichend finanziert und bekannter werden.

Nicht zuletzt müssen Wirtschaft und Politik den Konsumenten stärker einbeziehen und ihm eine informierte und verantwortliche Kaufentscheidung ermöglichen. Dies geht zum Beispiel durch Offenlegung von leicht verfügbaren und leicht verständlichen Informationen zur Produktherkunft. Voraussetzung dafür ist, dass der Kunde bereit ist, ein Bewusstsein für faire Produkte zu entwickeln. Dabei sollte er von Kampagnen und Bildungsarbeit unterstützt werden.

Alle Seiten sollten sich vor Augen führen, dass weltweit 168 Millionen Kinder arbeiten, 21 Millionen Menschen Zwangsarbeit verrichten und eine Fabrikarbeiterin nicht auf einen existenzsichernden Monatslohn kommen kann. Deswegen darf Gute Arbeit weltweit nach dem G7-Gipfel kein Schlagwort bleiben. Vielmehr sollte der Begriff in ganz Europa für faire und existenzsichernde Löhne, gegen Kinder- oder Zwangsarbeit, für gesunde und sichere Arbeitsplätze und für soziale Absicherung stehen – und nicht zuletzt für die Freiheit, gewerkschaftlich aktiv sein zu können. Es ist an der Zeit, dass die ILO-Kernarbeitsnormen nicht nur für uns Europäer selbstverständlich sind.