Syrien und der Irak dürften sich kaum wieder in stabile Staaten in ihren bisherigen Grenzen und Regierungsstrukturen zurückverwandeln. Syrien befindet sich mitten im Bürgerkrieg und es erscheint unwahrscheinlich, dass Präsident Bashar al-Assad  die vollständige Kontrolle über das gesamte Land jemals zurückgewinnen wird.

Irakisch Kurdistan ist bereits heute eine autonome Region und droht nun mit Abspaltung vom irakischen Gesamtstaat. Der Libanon ist zwar auf dem Papier ein Staat, hat jedoch diesen Status de facto längst eingebüßt. Die Regierung kontrolliert tatsächlich nur noch einen Teil des Landes und hat zentrale Regierungsaufgaben an verschiedene konfessionelle Gruppierungen und deren politische Organisationen abgetreten.

Für die meisten Analysten sind die Staaten des Nahen Ostens von wachsenden konfessionellen Spannungen bedroht. Meist wird der Begriff des Sectarianism verwendet, um die Gräben zwischen schiitischen und sunnitischen Muslimen einerseits und zwischen Arabern und anderen ethnischen Gruppen andererseits zu beschreiben. Sicher, konfessionelle Gegensätze können ohne Zweifel nur allzu leicht für verschiedenste politische Ziele missbraucht werden. Nichtsdestotrotz ist dieser Trend nicht die einzige Kraft, die das Bestehen von Staaten in ihren heutigen Grenzen in Frage stellt – jedenfalls in Form zentralisierter, autoritärer Staatsapparate, die für die Region (außer Libanon) bislang typisch gewesen sind.

Aktuell tragen auch ökonomische Entwicklungen massiv zur Umgestaltung und Transformation der Beziehungen innerhalb und zwischen den Staaten der Region bei.

Aktuell tragen auch ökonomische Entwicklungen massiv zur Umgestaltung und Transformation der Beziehungen innerhalb und zwischen den Staaten der Region bei. An vorderster Stelle sind hier bedeutende neue Funde von Öl- und Gasvorräten zu nennen. Trotz seiner kleinen Fläche könnte das irakische Kurdistan in Zukunft zu einem der wichtigsten Öl- und Gasexporteure der Welt werden. Darüber hinaus haben zuletzt beachtliche Funde im östlichen Mittelmeer Israel, den Libanon und Zypern auf der weltweiten Energie-Landkarte verzeichnet.

Bislang ist ein Hoffnungsschimmer zur Überwindung der konfessionellen Spannungen nicht in Sicht. Doch was die Dynamik der Öl- und Gasfunde angeht, existieren zwei Optionen. Die Ressourcen könnten neue Konflikte schüren aber andererseits auch dazu beitragen, alte Krisenherde durch die Schaffung von neuen Wirtschaftszonen beizulegen. Welcher Weg beschritten wird, hängt von den Regierungen ab. Werden sie stur gegen die unabwendbaren Veränderungen ankämpfen oder werden sie neue Potenziale akzeptieren und versuchen, die ökonomischen aber auch politischen Vorteile zu maximieren?

Irak, Kurdistan, Türkei: Konflikte und Fragmentierung

Der Fall Irak-Kurdistan-Türkei ist ein Beispiel dafür, wie politisches Missmanagement – in diesem Fall die Weigerung, politische Implikationen des Öl- und Gasreichtums zu akzeptieren – Rohstoffe in einen Fluch verwandeln können. Bekanntlich ist der Irak extrem ölreich, dasselbe gilt jedoch auch für die autonome nordirakische Provinz Kurdistan. Sie wird in der Industrie als weltweit größte, bisher nicht genutzte Ölregion gehandelt. Direkt nebenan verfügt die Türkei über eine wachsende Volkswirtschaft aber über keine eigenen Energieressourcen. Das Zusammentreffen von Nachfrage und Angebot auf relativ engem Raum müsste dort eigentlich ein Segen für alle Beteiligten sein. Doch die Politik steht im Weg.

Die kurdische Produktion steigt rapide. Ölfirmen fördern auf kurdischem Gebiet, haben eine eigene Pipeline gelegt und mit einer existierenden türkischen Pipeline zum Hafen von Ceyhan verbunden. Mit Ankara wurden Verträge geschlossen, um Gas an türkische Kraftwerke zu liefern und dadurch einen Ausweg aus der Abhängigkeit von teureren Lieferungen aus dem Iran und Aserbaidschan zu eröffnen.

Die Ressourcen könnten neue Konflikte schüren aber auch dazu beitragen, alte Krisenherde durch die Schaffung von neuen Wirtschaftszonen beizulegen.

Sollten solche Projekte realisiert werden, könnten sie das irakische Kurdistan in einen wohlhabenden eigenständigen Ölstaat verwandeln. Die irakische Regierung in Bagdad besteht jedoch darauf, die autonome Region von Transfers der Zentralregierung abhängig zu halten. Einkommen aus Exporten sollen keinesfalls selbstständig in Kurdistan verwaltet werden.  Die Ressourcen, so argumentiert die Zentralregierung, gehören allen Irakern und der kurdischen Region.

Trotz der politischen Autonomie habe Kurdistan kein Recht, selbst Ölverträge anzuschließen – von eigenständigen Exporten ganz zu schweigen. Verträge könnten ausschließlich von der Zentralregierung unterzeichnet werden und Ausfuhren legal nur durch Iraks staatliche Ölgesellschaft (SOMO) vermarktet werden. Einen Teil der Gewinne würde Bagdad dann an Kurdistan und die anderen fünfzehn Regionen des Landes verteilen.

Bagdads Vision eines zentralisierten, kontrollierenden irakischen Staates basiert auf einem politischen Ideal, das mehr und mehr in Konflikt mit der ökonomischen Realität gerät. Ölfirmen wie Exxon Mobil schließen ihre Geschäfte lieber direkt mit der kurdischen Region ab. Denn diese bietet großzügigere Konditionen und weniger Bürokratie - wenngleich nicht unbedingt weniger Korruption.

Die Türkei benötigt für ihre boomende Wirtschaft Energielieferungen und kann sich nicht ausreichend auf Bagdad verlassen. Die bisherigen Lieferungen über die nationale irakische Pipeline waren höchst unzuverlässig. Nach Jahren fortgesetzter Sabotage wurde die Pipeline im März bis auf weiteres stillgelegt. Derzeit wird daher weder kurdisches noch irakisches Öl in der Türkei verkauft oder durch die Türkei exportiert.

Kurdistan hat dabei klargemacht, dass es bereit ist, die verfahrene Lage notfalls durch eine Abspaltung zu durchbrechen, sollten Verhandlungen mit Bagdad weiter scheitern. Eine Sezession wäre ein radikaler Schritt, den die autonome Region sicher nicht leichtfertig – und vielleicht nie – gehen würde. Ohne Zweifel jedoch führt die Diskrepanz zwischen ökonomischer und politischer Realität zu Konflikten mit potentiell weitreichenden Folgen.

Konfliktvermittlung und Integration im östlichen Mittelmeer

Ganz anders im östlichen Mittelmeer: Dort nährt die Entdeckung großer Offshore-Gasvorkommen zum ersten Mal seit Jahren die Hoffnung, dass Zypern, die Türkei und Griechenland ihre Streitigkeiten nach langer Zeit vielleicht doch beilegen könnten. Zypern ist bekanntlich in die international anerkannte Republik Zypern und die Türkische Republik Nordzypern geteilt, die lediglich von der Türkei anerkannt wird. Unzählige Versuche, den Konflikt zu überwinden, sind an der Unnachgiebigkeit aller Seiten gescheitert.

Die Gasfunde vor der südlichen Küste Zyperns zwingen nun jedoch alle Konfliktparteien, erneut die Kosten ihrer Unnachgiebigkeit abzuwägen. Denn der einfachste und billigste Exportweg der neuen Funde auf den Weltmarkt wäre nach Experteneinschätzung eine Unterwasserpipeline von der Fundstätte nach Südzypern. Die Pipeline müsste dann oberirdisch über die Insel und erneut unter Wasser bis in die Türkei führen.

Die Entdeckung von Offshore-Gasvorkommen nährt zum ersten Mal seit Jahren die Hoffnung, dass Zypern, die Türkei und Griechenland ihre Streitigkeiten beilegen könnten.

Das Projekt würde also eine Zusammenarbeit beider zypriotischer Inselteile erforderlich machen. Beide sind händeringend auf der Suche nach wirtschaftlichen Zukunftsperspektiven und deshalb stark an einer Kooperation interessiert. Ein weiteres Entspannungspotenzial dieser Lösung besteht darin, dass das zypriotische Gas von der Türkei nach Griechenland und weiter nach Italien und Europa fließen würde. Und zwar durch die geplante Transadriatische Pipeline, die auch Gas aus Aserbaidschan, Kurdistan und dem Iran transportieren könnte.

Die Krise, die derzeit Syrien und den Irak bedroht, ist ein Teil eines größeren Prozesses der Neukonfiguration der gesamten Region. Dieser wird durch rivalisierende ökonomische und politische Kräfte geprägt. Es ist unwahrscheinlich, dass die Region jemals wieder zum Status Quo Ante zurückkehren wird. Aber die Schrecken und die Zerstörungen einiger Konflikte, speziell in Syrien, sollten nicht dazu führen, andere Veränderungen zu übersehen. Zumal diese zumindest potenziell langjährige Krisenherde befrieden und das Leben einer Vielzahl von Menschen in vielen Ländern verbessern könnten.