Die rasant zunehmende Zahl an Flüchtlingen, die Anschläge von Paris und weitere Gefährdungen durch den islamistischen Terror lassen erkennen, dass Europa gezwungen ist, kurzfristig auf massive Herausforderungen zu reagieren. Krisen und Konflikte in Syrien, Instabilität in Afghanistan und ein repressives Regime in Eritrea sind keine Probleme mehr, die sich fernab des europäischen Alltags als Tragödien ereignen.
Wie immer in Krisenzeiten ist es schwer, eine klare Orientierung für notwendige künftige Kurskorrekturen auszumachen, während der Zeitenwechsel selbst noch stattfindet. Gleichwohl erleben wir bereits, unter dem Druck zu stehen, solche Entscheidungen vorbereiten, treffen und umsetzen zu müssen. Wie kann eine langfristig erfolgreiche Integration von Flüchtlingen auf lokaler Ebene aussehen? Wie müssen neue europäische Regeln für Migration aussehen, die durch die Mitgliedsstaaten tatsächlich angewendet werden? Wie sieht eine Sicherheitspolitik aus, die den sich verändernden Gefährdungen durch Terrorismus und kriegerische Gewaltkonflikte Rechnung trägt?
Entwicklungspolitische Akteure sind nicht nur dabei, über künftige Neuorientierungen nachzudenken, sondern beteiligen sich an der Umsetzung von Maßnahmen – etwa bei der Bewältigung der Fluchtbewegungen. Wichtig ist es, neben Reaktionen auch Leitplanken zu benennen, die ein planvolles und überlegtes Handeln in der Zukunft ermöglichen. Hierzu dienen die folgenden Überlegungen:
Internationale Kooperationsansätze sind für den vorausschauenden Umgang mit den Krisen von zentraler Bedeutung. Deutschland, andere europäische Länder und die Institutionen der Europäischen Union werden noch sehr viel stärker in ein breit gefächertes internationales Engagement investieren müssen.
Internationale Kooperationsansätze sind für den vorausschauenden Umgang mit den Krisen von zentraler Bedeutung.
Wir benötigen eine sehr viel bessere strukturelle Vorbereitung auf Krisensituationen. Hierzu benötigen wir einen planvollen Umgang mit kurzfristigen Ansätzen, ebenso wie den langfristigen Aufbau eigener Ansätze zur Bewältigung von Krisen bei unseren Kooperationspartnern. In großen Teilen sind Debatten zwischen kurz- und längerfristig ausgerichteten Instrumenten in der Realität stark voneinander getrennt. So sehen sich die Vertreter einer auf Humanitäre Hilfen ausgerichteten Diskussion nur unzureichend mit ihren Anliegen im Zielkatalog der 2030 Agenda für nachhaltige Entwicklung aufgehoben. Der erste Humanitäre Weltgipfel wird im Mai 2016 in der Türkei stattfinden und sollte in der Politik und der Öffentlichkeit genutzt werden, um eine fundierte Bestandsaufnahme vorzulegen und einen Reformkatalog zu erarbeiten.
Langfristige Ansätze zur Bearbeitung von Entwicklungsproblemen haben ihre Bedeutung nicht verloren, sondern sollten gerade im Lichte der stattfindenden Krisen betont werden. Die im September 2015 verabschiedete 2030 Agenda, die auf strukturelle Fragen von nachhaltiger globaler Entwicklung abzielt, ist zukunftsweisend. Sie gibt eine strukturelle Antwort auf Krisenphänomene und liegt daher goldrichtig. Wir sollten nicht erwarten, dass langfristig angelegte Vorhaben der Entwicklungszusammenarbeit – etwa um grundlegende Dienstleistungen im Gesundheits- oder Erziehungsbereich zu verbessern – kurzfristig Menschen davon abhalten werden, eine bessere Zukunft für sich selbst und die eigene Familie etwa in Europa zu erhoffen und zu suchen. Allerdings werden wir ohne solche Zukunftsinvestitionen nicht dahin kommen, Lebensverhältnisse langfristig angleichen zu helfen.
Wir sollten nicht erwarten, dass langfristig angelegte Vorhaben der Entwicklungszusammenarbeit – etwa um grundlegende Dienstleistungen im Gesundheits- oder Erziehungsbereich zu verbessern – kurzfristig Menschen davon abhalten werden, eine bessere Zukunft für sich selbst und die eigene Familie etwa in Europa zu erhoffen und zu suchen.
Jede politische und finanzielle Entscheidung ist mit Zielkonflikten verbunden. Deutlich zu erkennen ist dies an der sich verändernden Haltung europäischer Akteure gegenüber der Türkei. Die Schlüsselrolle des Landes bei der Frage syrischer Flüchtlinge ist unverkennbar. Zugleich sind aber ebenso gravierende Defizite und Rückschritte in der Menschenrechtspolitik und hinsichtlich der Demokratieentwicklung des Landes über die letzten Monate nicht zu übersehen. Ein solcher Zielkonflikt ist im Lichte der enorm gestiegenen Relevanz der Migrationsbewegungen für andere Länder ebenfalls zu beobachten. Eritrea ist das afrikanische Land, aus dem die meisten Flüchtlinge aus dem afrikanischen Kontinent nach Europa kommen. Das totalitäre Regime nutzt diese Situation, um seine Verhandlungsposition gegenüber westlichen Gebern zu verbessern. Eine direkte europäische Unterstützung für eine Politik, die Abwanderung zu unterbinden hilft, wäre in solchen Fällen, wo Menschen gerade vor Repression fliehen, eine verfehlte Politik. Hier ist Vorsicht geboten. Für jedes Land sollte genau geprüft werden, wie stark eine Stabilisierung der herrschenden Verhältnisse zur Verfestigung von Fluchtgründen beiträgt.
Wie wichtig eine langfristig angelegte Politik der Krisenprävention und Konfliktbearbeitung ist, zeigen gerade die Fluchtbewegungen aus den derzeitigen Krisengebieten. Das vernetzte Handeln islamistischer Gruppen zeigt, dass es auch im Eigeninteresse gefährlich ist, solchen Gewaltphänomenen nicht frühzeitig zu begegnen, nur weil sie geographisch möglichweise etwas weiter entfernt liegen. Gleiches gilt auch für Krisenerscheinungen, die nicht durch ein islamistisches Muster auffallen: Auch hier wird sich ein „Wegsehen“ nicht als sinnvoll herausstellen. Krisenherde etwa im Gebiet der afrikanischen Großen Seen drohen mittlerweile weniger Aufmerksamkeit zu erhalten, weil sie nicht als Konflikte mit islamistischer Beteiligung wahrgenommen werden und zu weit weg von Europa sind. Entwicklungspolitische Ansätze sind – zusammen mit anderen Politiken – wichtig für Ansätze der zivilen Krisenprävention und Konfliktbearbeitung.
Schließlich sind wir auf enge grenzüberschreitende Kooperationen angewiesen, um funktionierende Strategien zum Umgang mit grenzüberschreitenden Herausforderungen entwickeln zu können. Dies gilt mit Blick auf an Europa angrenzende Regionen wie den Mittelmeerraum und Afrika, aber ebenso für nicht unmittelbare Nachbarregionen. Gestaltungs- und Regionalmächte wie China, Indien und Südafrika sind besonders wichtig, um globale Herausforderungen wirkungsvoll bearbeiten zu können. Südafrika ist beispielsweise ein zentraler Akteur, wenn es um die Bearbeitung von Konflikten auf dem afrikanischen Kontinent geht. Entwicklungszusammenarbeit kann und sollte mit diesen Ländern deshalb weiterhin kooperieren. In einer solchen Zusammenarbeit geht es vor allem darum, die Möglichkeiten zu verbessern, damit gemeinsam die Bearbeitung globaler Herausforderungen funktioniert.
Die Überlegungen zeigen, dass schon im Eigeninteresse europäischer Akteure ein stärkeres internationales Engagement notwendig ist. Europäische Akteure – einschließlich Deutschland –sollten sehr viel konsequenter ihre Möglichkeiten erweitern, international zu agieren. Dies sollte nicht isoliert, sondern gemeinsam im europäischen Rahmen und auf globaler Ebene über die Vereinten Nationen erfolgen.
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