Die am 29. Juli 2013 von US-Außenminister John Kerry gestartete Nahostfriedensinitiative ist nach neun Monaten gescheitert. Kerry hatte sich das Ziel gesetzt, bis zum heutigen 29. April 2014 ein Abkommen zu erzielen, dass alle strittigen Fragen zu einer Lösung bringt: Die Grenzen des zukünftigen palästinensischen Staates, der zukünftige Status Jerusalems, die Frage des Rückkehrrechts für palästinensische Flüchtlinge, die israelischen Siedlungen im Westjordanland und Garantien für die Sicherheit Israels. Genau wie seine prominenten Vorgänger ist auch Kerry als Vermittler gescheitert. Doch hatte er je eine reelle Chance auf Erfolg?

Als Barack Obama im März 2013 Israel besuchte, brachte er keine neuen Vorschläge mit, um den seit Ende 2010 stillstehenden Friedensprozess voranzubringen. Um diesen hatte er sich zwischen 2009 und 2010 intensiv bemüht und war, wie andere US-Präsidenten vor ihm, gescheitert. Stattdessen gab er bekannt, dass sein Außenminister von nun an diese Aufgabe übernehmen und neue Vermittlungsbemühungen starten würde. Der Nahostfriedensprozess war damit für das Weiße Haus keine Chefsache mehr.

Jedoch zeigte sich schon bald, dass es sowohl Israelis als auch Palästinensern am politischen Willen fehlte, in allen relevanten Fragen echte Kompromisse zu erzielen.

John Kerry nahm die Herausforderung mit beeindruckendem Engagement an. Er brachte beide Seiten dazu, Verhandlungsteams zu bilden und direkte Gespräche aufzunehmen. Jedoch zeigte sich schon bald, dass es sowohl Israelis als auch Palästinensern am politischen Willen fehlte, in allen relevanten Fragen echte Kompromisse zu erzielen. Kerry musste daraufhin sein ambitioniertes Ziel Schritt für Schritt nach unten korrigieren: Aus dem angestrebten „Endstatus-Abkommen“ wurde ein „Rahmenabkommen“ und schließlich ging es nur noch darum, „Prinzipien“ für Verhandlungen über den 29. April hinaus zu definieren.

Bei Aufnahme der Gespräche im Sommer 2013 hatte Israel zugesagt, in vier Phasen insgesamt 104 palästinensische Gefangene freizulassen, unter ihnen auch arabische Bürger Israels. Zugleich hatte auch die palästinensische Seite Zusagen abgegeben: Sie wollte auf die bisherigen Forderungen für eine Wiederaufnehme von Gesprächen verzichten, nämlich auf einen Baustopp der Siedlungen, auf die Anerkennung der Grenzen von 1967 als Verhandlungsgrundlage sowie auf Versuche, Mitgliedschaft in internationalen Organisationen zu beantragen. In den folgenden Monaten drehten sich die Verhandlungen und öffentlichen Debatten besonders um Israels Forderung nach Anerkennung als „Nationalstaat des jüdischen Volkes“, um die Präsenz israelischer Truppen im Jordantal und um das Rückkehrrecht für palästinensische Flüchtlinge.

Scheitern der Verhandlungen schon nach acht Monaten

Zum ergebnislosen Abbruch der Gespräche kam es, als Israel am 29. März 2014 nicht die vierte und letzte Gruppe von 26 Gefangenen freiließ und außerdem die Ausschreibung zum Bau von 700 Wohnungen im Ostjerusalemer Stadtteil Gilo bekanntgab. Präsident Mahmud Abbas reagierte darauf am 1. April mit der Unterzeichnung von Beitrittsdokumenten zu 15 internationalen Vereinbarungen und Konventionen. Führende palästinensische Vertreter erklärten, dass die Gespräche zu einer Farce geworden seien. Israel habe seit Beginn der Verhandlungen mehr als 10000 neue Wohnungseinheiten in Siedlungen genehmigt. Das entspräche einer Steigerung von mehr als 100 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Als Abbas schließlich in der vergangenen Woche ein neuerliches Versöhnungsabkommen zwischen Fatah und Hamas und die Bildung einer gemeinsamen Regierung in den kommenden 5 Wochen ankündigte, erklärte Israels Premier Benjamin Netanyahu die Gespräche für beendet. Abbas müsse sich entscheiden, ob er eine Versöhnung mit der Hamas oder einen Frieden mit Israel wolle. "Er kann nur eines von beiden haben", so Netanjahu. Dabei spielte es für den israelischen Premierminister offenbar keine Rolle, dass diese Aussage in krassem Widerspruch zu einem von ihm selbst oft vorgetragenen Argument steht. Immer wieder hatte er die Spaltung zwischen Fatah und Hamas und das Fehlen eines Gesprächspartners, der für alle Palästinenser spricht, als eines der zentralen Hindernisse für Fortschritte im Friedensprozess bezeichnet.

Dabei spielte es für den israelischen Premierminister offenbar keine Rolle, dass diese Aussage in krassem Widerspruch zu einem von ihm selbst oft vorgetragenen Argument steht.

Es soll hier nicht die Frage beantwortet werden, welcher Schritte der einen Seite welche Reaktion der anderen Seite hervorgerufen hat, und wer für das Scheitern der Gespräche verantwortlich ist. Auch geht es nicht um die Positionen beider Seiten zu den strittigen Fragen im Einzelnen. Stattdessen soll ein Blick auf die strategischen und politischen Rahmenbedingungen in der Region und bei den beteiligten Akteuren deutlich machen, weshalb die Erfolgsaussichten der Vermittlungsmission von Anfang an äußerst gering waren.

Zehn Gründe für den Misserfolg...

1. Die gesellschaftlichen Umwälzungen und Bürgerkriege im Nahen Osten sowie das Erstarken islamistischer Kräfte im Gefolge des Arabischen Frühlings werden von Israel als grundlegende Bedrohung wahrgenommen. Staatszerfall verbunden mit Instabilität, Waffenschmuggel und Jihadismus nehmen in der Region zu. Das Westjordanland wird angesichts dieser Entwicklungen mehr denn je als Sicherheitspuffer angesehen.

2. Das Prinzip Land gegen Frieden bildete den Kern des Oslo-Prozesses. Aus israelischer Sicht ist es gescheitert. Nach dem Abzug aus dem Südlibanon, der unilateralen Räumung des Gaza-Streifens und dem sich daraufhin verstärkenden Raketenbeschuss durch Hizbollah, Hamas und andere Gruppierungen habe es für Israel nicht mehr sondern weniger Sicherheit gegeben. Die Mehrheit der israelischen Bevölkerung, die grundsätzlich weiterhin eine Zwei-Staaten-Lösung befürwortet, teilt diese Sicht und unterstützt eine Politik der Beibehaltung des Status Quo.

3. Der politische Erfolg von Naftali Bennett und seiner Partei Jüdisches Heim in den Knessetwahlen 2013 belegt den gestiegenen Einfluss nationalreligiöser Kräfte in der israelischen Politik. Sie besetzen Schlüsselfunktionen in Parlament und Regierung und verfolgen offen die Politik eines Groß-Israel und damit die teilweise oder vollständige Annexion des Westjordanlandes. Bennetts Zustimmung auch jenseits des Siedlerlagers zeigt, dass Positionen, die einst als extrem galten, inzwischen für den israelischen Mainstream akzeptabel sind.

4. Ministerpräsident Netanyahu verkörpert in Israel inzwischen die gemäßigte Rechte. Er hat im Likud und im rechten Lager keine Mehrheit mehr. Der Likud wird dominiert von einer neuen Generation rechts-nationalistischer Politiker, die mehr Gemeinsamkeiten mit Bennett als mit Netanyahu haben. Auf die im Zentrum der israelischen Politik stehende Frage “Land oder Frieden?“ haben sie ein klare Antwort: “Land“. Jeder Kompromiss mit den Palästinensern würde dazu führen, dass Netanyahu nicht nur seine Regierungskoalition sondern auch die Gefolgschaft der eigenen Partei verlieren würde. Er ist politisch erpressbar.

5. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas befindet sich in einer ähnlichen Lage. Er ist politisch nicht stark genug, echte Zugeständnisse zu machen und diese politisch durchzusetzen. Nur noch Teile der Fatah und der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) stehen voll hinter ihm. Mit seiner Politik des Gewaltverzichts und der Verhandlungen mit Israel ist es ihm nicht gelungen, die Besatzung zu beenden und die Schaffung eines palästinensischen Staates zu erreichen. Genau wie Netanyahu ist auch Abbas politisch nur eingeschränkt handlungs- und durchsetzungsfähig.

Jeder Kompromiss mit den Palästinensern würde dazu führen, dass Netanyahu nicht nur seine Regierungskoalition sondern auch die Gefolgschaft der eigenen Partei verlieren würde.

6. Solange die Hamas nicht bereit ist, Israel anzuerkennen und auf die Anwendung militärischer Gewalt zu verzichten, wird Israel keinem Friedensabkommen zustimmen. Dass es trotzdem politischen Spielraum gibt, hat Israel bei den Verhandlungen zur Freilassung von Gilad Shalit und beim Waffenstillstandsabkommen mit der Hamas im November 2012 bewiesen. Das gilt auch für den Fall, dass es Fatah und Hamas gelingt, ihr jüngstes Versöhnungsabkommen mit Leben zu erfüllen und die palästinensische Spaltung zu überwinden.

7. Auf der israelischen wie auf der palästinensischen Seite spielen religiöse Akteure eine wichtige Rolle. Wenn ihr Einfluss weiter zunimmt, könnte aus dem grundsätzlich lösbaren Territorialkonflikt endgültig ein mit dem Zwei-Staaten-Konzept nicht mehr zu lösender jüdisch-islamischer Konflikt werden.

8. Die strategischen Interessen der USA im Nahen Osten haben sich verändert. Ab 2015 werden die USA der weltgrößte Ölproduzent und wirtschaftlich von der Region weit weniger abhängig sein. Militärstrategisch wurde die Region im Kalten Krieg als Arena eines möglichen nuklearen Konflikts mit der Sowjetunion gesehen. US-Friedensbemühungen, so der New York Times-Kolumnist Thomas Friedman, seien deshalb in der Vergangenheit stets eine Notwendigkeit gewesen. Heute seien sie dagegen ein Hobby.

9. Stärkerer politischer Druck auf Israel ist für Präsident Obama innenpolitisch nicht durchsetzbar. Eine Mehrheit nicht nur der Republikaner sondern auch der Demokraten sowie die mehrheitlich christliche amerikanische Bevölkerung unterstützen Israel.

10. Das Scheitern der Verhandlungen bedeutet auch ein Scheitern des bestehenden Verhandlungsformats. Dieses ist durch fehlende Symmetrie gekennzeichnet. Israel ist militärisch und wirtschaftlich stärker denn je und den Palästinensern in allen Belangen weit überlegen. Israel kann seine Bedingungen durchsetzen, in beträchtlichem Umfang auch gegenüber den USA. Diese sind als Vermittler trotz des glaubwürdigen Engagements von Politikern wie John Kerry nicht ausreichend neutral. Auch die Supermacht USA ist machtlos, wenn beide Seiten nicht in der Lage sind, auf bilateralem Weg eine Lösung herbeizuführen.

Was bedeutet das Scheitern von Kerry und das der US-Diplomatie insgesamt? Das Ende der Zwei-Staaten-Lösung? Werden die USA sich, wenn auch nicht unmittelbar, aus ihrer Rolle als Vermittler im Nahostfriedensprozess zurückziehen und das Feld anderen Akteuren überlassen? Angesichts der dargestellten neuen strategischen Interessenkonstellation ist dies durchaus möglich. Ein Indiz in diese Richtung könnte Barack Obamas Reaktion auf das erfolglose Ende der Gespräche sein. Der Präsident erklärte, dass nun eine Pause und die Suche nach Alternativen erforderlich seien. Und John Kerry bemerkte resigniert: "Die Menge an Zeit und Bemühungen, die die USA aufwenden können, hat ihre Grenzen, wenn die Parteien selbst unfähig sind, konstruktive Schritte zu unternehmen".