Die Einmütigkeit kam dann doch überraschend. Kurz nach der sechsten Probeabstimmung am 5. Oktober 2016 im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verkündete Ratspräsident Vitaly Churkin gemeinsam mit den restlichen 14 Ratsmitgliedern das Ergebnis: Mit 13 Ja-Stimmen, keiner Gegenstimme und zwei Enthaltungen wurde der ehemalige portugiesische Ministerpräsident und ehemalige UN-Flüchtlingskommissar António Guterres zum Nachfolger von Ban Ki-moon und damit neunten UN-Generalsekretär gewählt. In einer Sicherheitsratsresolution formal bestätigt wurde die Probeabstimmung am 6. Oktober. Die baldige Ernennung durch die UN-Generalversammlung gilt als sicher.
Guterres ist eine gute Wahl. Er hat Erfahrungen in der nationalen Politik als Portugals Ministerpräsident von 1995 bis 2002; parallel dazu war er in der internationalen Zusammenarbeit als stellvertretender Präsident und später Präsident der Sozialistischen Internationale tätig. Am wichtigsten jedoch für sein Wirken als UN-Chef dürfte seine unermüdliche Arbeit als UN-Flüchtlingskommissar sein. Zehn Jahre lang bekleidete er dieses Amt und konnte dabei sowohl den Umgang mit den UN-Mitarbeitern als auch mit den UN-Mitgliedstaaten lernen. Diese Expertise wird seine Einarbeitungszeit deutlich verkürzen, Fehltritte unwahrscheinlicher machen und möglicherweise einen „radikal neuen Ton im Hinblick auf Menschenrechte“ in die internationalen Beziehungen bringen, so Human Rights Watch.
Für die von Nord-Süd-Spannungen geprägte Welt wird es von Vorteil sein, dass der 67-jährige gelernte Elektroingenieur die Krisenregionen der Welt und die Bedürfnisse der Entwicklungsländer gut kennt. Für die EU ist es sicherlich ein begrüßenswerter Umstand, dass ab dem 1. Januar 2017 nach mehr als 30 Jahren wieder ein Westeuropäer an der Spitze der UN stehen wird. Einziger Wermutstropfen ist, dass der Sicherheitsrat erneut nicht den Mut aufbrachte, eine Frau zu wählen. Das wäre ein deutliches Signal in Richtung Gleichberechtigung nach innen wie nach außen gewesen. Nachdem es in den Medien, bei Nichtregierungsorganisationen und Frauenverbänden Konsens war, dass es nach 71 Jahren und acht Männern endlich an der Zeit wäre, eine Frau zur UN-Chefin zu wählen, schien dies aber schon nach der ersten Probeabstimmung schwer zu erreichen. Zu hoffen ist, dass Guterres sein Wahlversprechen, die Hälfte aller Spitzenposten mit Frauen zu besetzen, wahr machen wird. Eine stellvertretende Generalsekretärin wäre ein guter Anfang.
Zu hoffen ist, dass Guterres sein Wahlversprechen, die Hälfte aller Spitzenposten mit Frauen zu besetzen, wahr machen wird.
Dass es kein Kandidat und keine Kandidatin aus Osteuropa geschafft hat, alle 15 Mitglieder von sich zu überzeugen, dürfte für die Kandidaten und ihre Entsendeländer enttäuschend sein, für die restliche Welt ist es sicherlich verschmerzbar. Das Rotationsprinzip, demzufolge Osteuropa an der Reihe gewesen wäre, war bislang immer nur eine Kann-, nie eine Muss-Regel.
Die noch kurz vor der Abstimmung demonstrativ zur Schau gestellte Unterstützung Russlands für eine Generalsekretärin aus Osteuropa kann deshalb taktische Manövriermasse auf dem Weg zur plötzlichen Einigung gewesen sein. Russland interessiert sich dafür, wieder einen hohen Posten innerhalb der Vereinten Nationen, wie beispielsweise die Leitung der Politischen Abteilung, mit einem ihrer Kandidaten zu besetzen. Zwar gibt es keine Anzeichen, dass Guterres solche Wahlversprechen im Geheimen gemacht hat, aber dennoch zeigen sich hier die Grenzen der Transparenzoffensive in der diesjährigen Generalsekretärswahl: Man wird wieder nicht wissen, warum und mit welchen Versprechungen er die Zustimmung erreicht hat. Und auch wenn Guterres selbst sich für nur noch eine einzige, siebenjährige Amtszeit ausgesprochen hat, so wird die Generalversammlung diesen Vorschlag wohl nicht aufnehmen.
Dennoch haben zivilgesellschaftliche Kampagnen wie „1for7billion“ für die Reform der Generalsekretärswahl viel erreicht: 7 von 13 Bewerbungen kamen von Frauen. Darüber hinaus gab es erstmals eine Liste offizieller Nominierungen, die mit Lebenslauf und Statement, wie sie die Probleme der UN angehen wollen, öffentlich zugänglich waren. Und in den Anhörungen mit Mitgliedstaaten und Zivilgesellschaft bestand reichlich Gelegenheit, die Kandidaten kennenzulernen und zu befragen. Guterres’ konsistent gute Erscheinung war hierbei schwer zu ignorieren. US-Botschafterin Samantha Power kam zu dem Schluss, dass der „Zeitgeist“ der Transparenz dieser Generalversammlungsdebatten sich auch in den Abstimmungen im Sicherheitsrat niederschlug.
Und dass das Glas dann doch eher halbvoll ist, offenbart spätestens der Blick auf zwei andere globale Institutionen: Sowohl der Internationale Währungsfonds als auch die Weltbank haben in diesem Jahr einmal mehr die Inhaber der Chefsessel – eine Europäerin und einen Amerikaner – ohne Gegenkandidatur oder Diskussion im Amt bestätigt.
Es bleibt abzuwarten, ob sich Guterres seine unverblümte Art, mit der er als UN-Flüchtlingskommissar die Probleme beim Namen nannte, in seiner neuen Position erhalten kann.
Guterres tritt seinen Posten in einer überaus schwierigen Weltlage an. Es könnte seinen Handlungsspielraum vergrößern, dass er nicht als die erste Wahl Russlands oder der USA ins Rennen gegangen ist. Wenn er keine allzu großen Fehler macht, könnte er die Geschicke der Weltorganisation für mindestens die kommenden fünf Jahre lenken. Die größten Herausforderungen liegen sicherlich im Bereich Friedenssicherung, vor allem in einer Lösung des Syrien-Konflikts. Hier bleibt abzuwarten, ob sich Guterres seine unverblümte Art, mit der er als UN-Flüchtlingskommissar die Probleme beim Namen nannte, in seiner neuen Position erhalten kann.
Im Inneren der Organisation steht auch nicht alles zum Besten. Die ineffiziente Personalpolitik, die mangelnde Koordinierung unter den UN-Organisationen, der unrühmliche Umgang mit Whistleblowern und die Unfähigkeit, sexuelle Übergriffe durch UN-Blauhelme zu unterbinden, müssen abgestellt werden. Es ist ein Kampf an vielen Fronten. Doch Guterres’ Überlegungen, wie er sein Amt ausüben will, machen Hoffnung: „Mit Demut auftreten, ohne Arroganz, ohne irgendwem Lektionen zu erteilen, aber als Vermittler, als Katalysator agieren, als ehrlicher Makler und Brückenbauer und als Stimme für den Frieden.“