Es ist erst wenige Tage her, dass Martin Schulz einen vermeintlichen Eklat im israelischen Parlament, der Knesset, erlebte. Was hatte er gesagt? Dass Palästinenser deutlich weniger Wasser als Israelis zur Verfügung haben – eine hinlänglich bekannte und belegte Aussage, auch wenn Schulz unglücklicherweise Zahlen nannte, die er vorher nicht verifiziert hatte. Dabei erwähnte er nicht einmal, dass in einem Großteil der Westbank palästinensische Gemeinden überhaupt nicht an das Wasserversorgungsnetz angeschlossen sind.

Außerdem brachte Schulz vor, dass die Blockade des Gazastreifens kontraproduktiv und die Siedlungspolitik ein Haupthindernis zum Frieden sei. Diese an sich wenig provokanten Aussagen lösten einen Sturm der Entrüstung aus, in dem Schulz unter anderem in die Nähe des Antisemitismus gerückt wurde. In der Süddeutschen Zeitung verstieg sich die israelische Knessetabgeordnete Einat Wilf zu der kruden These, die “tiefe Symbolik“ des Wassers sei nur „einen Schritt entfernt“ von der antisemitischen Ritualmordlegende. Auf groteskere Weise kann man Kritiker der israelischen Besatzungspolitik kaum diffamieren. Jetzt reist Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Israel. Von Staatspräsident Peres wird sie einen Orden verliehen bekommen für ihr “unablässiges Engagement für Israels Sicherheit, Einsatz für Bildung gegen Antisemitismus und herausragende moralische Führungsqualitäten”. Vier Vorschläge für die frisch gebackene Ordensträgerin:

Historische Verantwortung: Aber wofür?

Eine Ordensträgerin für israelische Sicherheit sollte deutlich sagen, welche Verantwortungen sich aus der deutschen Geschichte ergeben – und welche nicht. Deutschland trägt eine historische Verantwortung für die Shoa. Daraus resultiert eine Verpflichtung zum weltweiten Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus. Das bedeutet insbesondere auch eine Verpflichtung für jüdisches Leben und Kultur weltweit, welche die Nationalsozialisten mit ihrer Vernichtungspolitik ausmerzen wollten.

Dies ist aber nicht mit einer uneingeschränkten Unterstützung für die gegenwärtige israelische Regierung zu verwechseln, von der sich Millionen Jüdinnen und Juden in der gesamten Welt auch gar nicht vertreten fühlen. Die historische Verantwortung Deutschlands kann nicht auf Merkels Dogma von der Sicherheit Israels als deutsche „Staatsraison“ verengt werden. Das gilt umso mehr, da die derzeitige israelische Regierung eine Politik betreibt, die nicht nur einer Beendigung des Nahostkonflikts im Wege steht, sondern durch die Fortsetzung der Besatzungspolitik auch unmittelbar die Sicherheit Israels gefährdet. Teile von Netanyahus Rechtskoalition sehen die Westbank als „jüdisches Kernland“ an. So entstehen zwischen Mittelmeer und Jordan nicht zwei Staaten, sondern ein einziges Staatsgebilde, in dem Israel über die Palästinenser Herrschaft ausübt, oder sie dauerhaft in autonome Enklaven drängt. Der israelische Autor Gershom Gorenberg hat diesen Weg mit dem Titel „Israel schafft sich ab“ beschrieben, auch kritische israelische Beobachter fürchten sich vor einer Zukunft als Apartheidheitsstaat.

Israels falsche Freunde

Eine Ordensträgerin für israelische Sicherheit sollte die Hindernisse zu einer Friedensregelung offen benennen. Israel wird nicht nur vom Iran oder der Hisbollah bedroht, wie Netanyahu glauben machen will. Es ist die israelische Regierung selbst, die mit ihrem Anti-Friedenskurs das Land gerade in die internationale Isolation zu führen droht. Mit ihren Hardliner-Positionen macht die israelische Regierung eine friedliche Regelung, wie sie derzeit der amerikanische Außenminister John Kerry anstrebt, unmöglich: Einen palästinensischen Staat mit Hauptstadt Jerusalem in den Grenzen von 1967 lehnt sie ab.

Jene „Freunde Israels“, die Kritik nicht wahrhaben wollen und die meinen, mit der Unterstützung selbst noch so einseitiger Positionen der israelischen Regierung in den Verhandlungen israelische Interessen zu verteidigen, fügen dem Land in Wirklichkeit den größten Schaden zu.

Rüstungslieferungen oder stetig vertiefte bilaterale Regierungsbeziehungen sind so kein Beitrag zu Israels Existenz als demokratischem Staat, sondern zur Verlängerung des gegenwärtigen Status Quo. Jene „Freunde Israels“, die Kritik nicht wahrhaben wollen und die meinen, mit der Unterstützung selbst noch so einseitiger Positionen der israelischen Regierung in den jetzigen Verhandlungen israelische Interessen zu verteidigen, fügen dem Land in Wirklichkeit den größten Schaden zu.

Wichtige Rolle der EU

Eine Ordensträgerin für israelische Sicherheit sollte sich für eine eigenständige, aktive EU-Politik auf dem Boden des Völkerrechtes einsetzen. Eine, wenn auch nur passive, Unterstützung für Siedlungspolitik ist eine falsche, geradezu perverse Lehre aus der deutschen Geschichte. Genau dies wurde aber vielfach nach den letztes Jahr veröffentlichten „EU-Richtlinien“, die verhindern sollen, dass Siedlungsprodukte wie Produkte aus Israel eine Zollpräferenz erhalten, postuliert. Da gab es Stimmen, die behaupteten, Deutschland könne eine solche Politik aufgrund der Geschichte – insbesondere des nationalsozialistischen Boykottes jüdischer Geschäfte in Deutschland im April 1933 – nicht mittragen. Abgesehen davon, dass dies keine “Boykottbewegung” ist, sondern ein konkreter Schritt zur Umsetzung bestehenden EU-Rechts und hin zu einer transparenten Kennzeichnung, die es Kunden möglich macht, zwischen Produkten aus Israel und aus Siedlungen im Westjordanland zu unterscheiden: Wie geschichtsvergessen muss man sein, um die nationalsozialistische Rassenpolitik mit politischen Maßnahmen gegen illegale Siedlungen gleichzusetzen? Siedlungen, deren Bewohner nicht nur durch den Land- und Ressourcenraub einen palästinensischen Staat unmöglich machen, sondern auch durch ihre teils rassistische Ideologie und oftmals brutalen Attacken auf palästinensische Gemeinden auffallen.

Wie geschichtsvergessen muss man sein, um die nationalsozialistische Rassenpolitik mit politischen Maßnahmen gegen illegale Siedlungen gleichzusetzen?

Jüdische Siedlungen in der Westbank sollten mit allen verfügbaren legalen Mitteln unter Druck gesetzt werden, sie sind nach internationalem Recht illegal und gehören nicht zu Israel. Gerade Deutschland muss diesen Weg des konkreten Handelns seitens der EU unterstützen. Das wäre ein wichtigerer Beitrag für die praktische Umsetzung der Zweistaatenlösung als jede rhetorische Unterstützung für John Kerry.

Besuch im Jordantal

Eine Ordensträgerin für Israels Sicherheit sollte nicht nur Israel besuchen und dort hochrangige Gespräche führen, sondern sich selbst ein Bild von der Lage vor Ort verschaffen. Ein Besuch im Jordantal, in Hebron oder im Gazastreifen könnte konkret die Probleme vor Augen führen, die Martin Schulz beschrieben hat. Im Jordantal beuten israelische Siedlungen palästinensisches Land sowie dessen Ressourcen (insbesondere Wasser) aus, während die palästinensischen Gemeinden überhaupt keinen Zugang dazu haben. Die palästinensischen Bewohner sind ständig mit der drohenden Zerstörung ihrer Häuser konfrontiert und dürfen ihre eigenen Gemeinden nicht entwickeln, da sie keine Baugenehmigungen erhalten.

Mit Leisetreterei könnte die Kanzlerin zwar erreichen, dass bei ihrer Rede diesmal auch die Ultrarechten sitzen bleiben. Doch das wäre politisch fatal.

Während über Frieden verhandelt wird, wird in Jerusalem und der Westbank der israelische Siedlungsbau vorangetrieben. In der Altstadt von Hebron schikanieren 600 radikale, bewaffnete Siedler täglich das Leben von mehr als 35.000 Palästinensern. In Gaza leben 1,7 Millionen Menschen unter einer anhaltenden militärischen Blockade, welche die Zivilbevölkerung trifft und der regierenden Hamas in die Hände spielt. All das ist nicht nur fatal für die Palästinenserinnen und Palästinenser, die damit direkt konfrontiert sind, sondern auch  kontraproduktiv für die israelische Sicherheit.

Leisetreterei hilft nicht

Eine Ordensträgerin für israelische Sicherheit sollte diese unbequemen Wahrheiten in Israel laut und deutlich ansprechen. Mit Leisetreterei könnte die Kanzlerin zwar erreichen, dass bei ihrer Rede diesmal auch die Ultrarechten sitzen bleiben. Doch das wäre politisch fatal. Rechte Politiker wie Naftali Bennett und seine Parteifreunde vom „Jüdischen Haus“ sehen sich mit ihrem ideologischen Anspruch auf die Westbank im Recht. Sie wollen jede Kritik an der israelischen Besatzungs- und Siedlungspolitik verhindern und geißeln sie als Antisemitismus. Ihnen muss unmissverständlich widersprochen und eine klare politische Haltung entgegengesetzt werden, wenn der Anspruch auf zwei in Sicherheit nebeneinander existierende Staaten im Nahen Osten noch ernst genommen wird. Das wäre ein langfristiger und nachhaltiger Beitrag zu Israels Sicherheit, der sogar einen Orden verdient hätte.