Am 23. April 2014 unterzeichneten alle führenden palästinensischen Parteien eine Vereinbarung, die nach Jahren der innerpalästinensischen Spaltung zwischen Hamas und Fatah nun einen belastbaren Versöhnungsprozess zwischen den beiden großen politischen Blöcken einleiten soll. Auch wenn in der israelischen Regierung und in vielen Medien die antiterroristischen Alarmglocken schrillten, diese Vereinbarung birgt weit mehr Chancen als Gefahren.

Wenn es den Palästinensern gelänge, die Spaltung zwischen dem Gazastreifen und der Westbank zu überwinden und den Weg für freie und faire Wahlen in beiden Landesteilen zu ebnen, wäre auch der Wiederaufbau demokratischer, rechtsstaatlicher Strukturen möglich. Eine derart klar legitimierte palästinensische Repräsentation ist eine entscheidende Vorbedingung für einen historischen Kompromiss zwischen Israel und den Palästinensern. Die Bundesrepublik wie die EU sollten diesen Prozess deshalb mit Nachdruck unterstützen. Denn der Ausgang der angekündigten Versöhnung ist ungewiss. Vorherige Abkommen scheiterten nicht zuletzt an innerpalästinensischen Spannungen aber eben auch an der Weigerung internationaler Akteure, einen solchen Schritt anzuerkennen.

Innerpalästinensischer Versöhnungsprozess stärkt Chance auf demokratische Zukunft

Seit 2006 hat es in den Palästinensergebieten keine Parlaments- und Präsidentschaftswahlen mehr gegeben. Weder die Hamas-Regierung in Gaza noch die Palästinensische Autonomiebehörde in der Westbank sind auf rechtsstaatlichem Weg an die Macht gekommen. Das Mandat von Präsident Mahmoud Abbas ist spätestens seit 2010 abgelaufen. Ihre Legitimationsdefizite kompensieren beide Seiten in zunehmend autoritärer Manier und nehmen gravierende Menschenrechtsverletzungen aus politischem Kalkül in Kauf. So schränken sie die Meinungsfreiheit ein, verbieten Versammlungen und Organisationen der Gegenseite und sind auch vor Verhaftungen und sogar Folter nicht zurückgeschreckt.

Die Überwindung der innerpalästinensischen Spaltung würde das Abhalten von allgemeinen Wahlen in den gesamten Palästinensergebieten ermöglichen.

Die Überwindung der innerpalästinensischen Spaltung würde das Abhalten von allgemeinen Wahlen in den gesamten Palästinensergebieten ermöglichen. Nur durch sie kann  eine öffentlich legitimierte palästinensische Regierung hervorgehen. Damit wäre eine Rückkehr in demokratische und rechtsstaatliche Strukturen eingeläutet und die Grundbedingung erfüllt, damit die fortwährenden Verletzungen der Menschen- und Bürgerrechte endlich aufhören und alle Opfer des innerpalästinensischen Konflikts entschädigt und rehabilitiert werden können.

Frieden braucht starke Partner

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu lehnt den Versöhnungsprozess kategorisch ab. Er  forderte Abbas auf, „den Pakt mit der Hamas in Stücke zu reißen“ und beeilte sich, die diese Woche ohnehin auslaufenden Friedensgespräche mit den Palästinensern auszusetzen. Damit versucht er die Schuld für den Misserfolg der Gespräche auf die palästinensische Seite zu schieben.

Doch hinter dieser aktuellen Auseinandersetzung steht eine Strategie, die seit zwei Jahrzehnten im Zentrum der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern steht. Es ist jene Politik des divide et impera, die schon die Briten in Indien und Nahost so erfolgreich anwendeten. Die Palästinensergebiete werden in kleine handhabbare Teile zerlegt, die von Israel permanent militärisch aber auch wirtschaftlich kontrolliert und abhängig gehalten werden.

Die Blaupause für diese Politik stellt die Isolierung des Gazastreifens dar: Schon vor zwei Jahrzehnten, also lange vor der Machtübernahme der Hamas und Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen, führte Israel eine Genehmigungspflicht für die Bewohnerinnen und Bewohner Gazas ein, wenn sie die Westbank, den beträchtlich größeren Teil der Palästinensergebiete, besuchen wollten. Folglich hat die Bevölkerungsmehrheit Gazas die dreißig Kilometer entfernte Westbank nie gesehen – und umgekehrt. Diese Politik erfährt bis heute kaum Widerspruch der Weltgemeinschaft. Das ermutigt Israel dazu, die gleiche Politik auch in der Westbank umzusetzen. Dort werden die Palästinenser in mehreren miteinander nicht verbundenen und durch jüdisch-israelische Siedlungen und andere Barrieren getrennten Enklaven eingehegt.

Die Bundesregierung und die EU verfolgen ausdrücklich  die Zweistaatenlösung. Ziel dieser Politik ist die Schaffung eines lebensfähigen, unabhängigen Palästinas neben einem sicheren Israel. Vor diesem Hintergrund  ist eine klar legitimierte palästinensische Repräsentation absolut wünschenswert.

Die groben Züge eines konfliktbeendenden Kompromisses sind seit Jahren bekannt: Ein künftiges Palästina würde auf gerade einmal 22 Prozent des historischen Palästinas gegründet werden: auf der seit 1967 von Israel besetzten Westbank und im Gazastreifen. Gewisse Grenzverschiebungen würden sich durch Gebietsaustausch ergeben, damit große israelische Siedlungsblöcke nicht abgebaut werden müssen. Jerusalem wäre Hauptstadt beider Staaten, wobei das 1967 eroberte Ostjerusalem – wenigstens zu einem großen Teil – Hauptstadt Palästinas würde. Was die palästinensischen Flüchtlinge angeht, würde lediglich ein Kontingent der 1948 aus dem heutigen Israel geflüchteten beziehungsweise vertriebenen Flüchtlinge zurückkehren können. Zugleich jedoch würde Israel sich zu seiner historischen (Mit)Verantwortung bekennen. Schließlich müssten gewisse Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden, um Israels Sicherheitsbedürfnisse zu befrieden.

In Israel begrüßen nach wie vor viele Menschen einen solchen historischen Kompromiss. Und gerade sie verstehen die Bedeutung des Versöhnungsprozesses zwischen Hamas und Fatah. Gerade Armee- und Sicherheitskreisen ist bewusst, welche gewaltigen Mittel man für die kontinuierliche Einhegung der Palästinenser-Enklaven benötigen würde.

Viele Israelis verstehen, dass die Hamas einen nicht mehr wegzudenkenden Teil der palästinensischen Öffentlichkeit darstellt und nicht einfach ausgeblendet werden kann.

Klar ist dabei auch, dass eine solche Politik über kurz oder lang wieder zum Auflodern des Konflikts führen wird. Viele Israelis verstehen darüber hinaus auch, dass die Hamas einen nicht mehr wegzudenkenden Teil der palästinensischen Öffentlichkeit darstellt und folglich nicht einfach ausgeblendet werden kann. Vielmehr muss diese eingebunden werden, zumal sie immer wieder signalisierte, dass sie einer wie oben skizzierten Zweistaatenlösung faktisch nicht im Wege stehen würde.

Wandel durch Annäherung

Der EU und damit auch Deutschland kommt in diesem Prozess eine entscheidende Rolle zu. Wie auch vorherige Einigungsversuche, wird auch diese versuchte Einigung zwischen Hamas und Fatah ohne Zustimmung bedeutender Mächte nicht von Dauer sein. Zu sehr sind die Palästinenser in ihren Enklaven finanziell wie politisch von der Außenwelt abhängig.

Vorab-Zugeständnisse der Hamas zur Beteiligung am politischen Prozess – wie jetzt erneut von einigen gefordert – werden dazu keinen Beitrag leisten.

Deshalb ist es von herausragender Bedeutung, dass EU und die Bundesregierung die Möglichkeit einer innerpalästinensischen Aussöhnung ernst nehmen und ihr die notwendige politische Anerkennung nicht verweigern. Vielmehr gilt es, diesen Prozess positiv zu begleiten und eine künftig frei gewählte, legitime palästinensische Führung darauf festzulegen, dass diese Menschen- wie Völkerrecht und bestehende Verträge respektiert. Dazu gehören dann auch die Anerkennung Israels und der Verzicht auf Gewalt der neugewählten palästinensischen Führung. Vorab-Zugeständnisse der Hamas zur Beteiligung am politischen Prozess – wie jetzt erneut von einigen gefordert – werden dazu keinen Beitrag leisten. Zunächst geht es jetzt darum, die Gegebenheiten zu akzeptieren.