Mit ihrer Two-Men-Show haben Trump und Kim die Zuschauer weltweit in Atem gehalten und in Staunen versetzt. Wer hätte gedacht, dass amerikanische und nordkoreanische Flaggen in Farbe und Motiv eine so harmonische Kulisse bilden würden für eine nicht weniger harmonische Begegnung des mächtigsten Mannes der Welt mit dem Außenseiter der internationalen Beziehungen schlechthin. Ein unerhörtes, historisches Zusammentreffen und, so scheint es, ein Paradigmenwechsel in den internationalen Beziehungen.
Man mag entgegnen, dass Trump und Kim das Außenseiterdasein eint. Bei näherer Betrachtung jedoch ist kaum abzustreiten: sie sind keine Außenseiter, sondern anerkannte Protagonisten und zugleich Dreh- und Angelpunkt der Weltpolitik. Um diese Gemeinsamkeit sicherzustellen, ließ es Trump zum Auftakt des historischen Singapur-Gipfels noch einmal richtig krachen. Per Tweet setzte er die Abschlusserklärung der G7 in La Malbaie zum Hintergrundrauschen herab und lenkte die geballte Aufmerksamkeit auf jene Bühne, die er zum Großen Welttheater auserkorene hatte. Das Publikum dankte mit Furor und wurde wie gewohnt mit Superlativen belohnt.
Die nukleare Abrüstungspolitik von Trump und Kim ist nichts anderes als die Fortsetzung ihrer machistischen Abschreckungspolitik mit anderen Mitteln. So unterstreicht das Singapurer Treffen, dass in der Weltordnungspolitik nur gilt, wer mit ultimativer Gewalt droht.
Nicht weniger als einen grundlegenden Wandel der Weltpolitik verkünden beide Staatschefs in ihren jeweils abschließenden Pressekonferenzen. Zwei Männer, zwei Macher, zwei volle Münder. Es stellt sich aber die Frage, worin dieser Wandel genau bestehen soll und was davon bleibt, wenn sich die befriedende Testosteronwolke und der Rausch von Singapur verzogen haben. Trump und Kim als Pioniere einer pazifistischen Zeitenwende? Die Atombombe als friedensstiftender Same für die Verständigung der Völker, in Freiheit, Eintracht und Wohlfahrt?
Trump bietet Nordkorea Sicherheitsgarantien, Kim verspricht die „feste und unerschütterliche Denuklearisierung“. Viel wichtiger am Ergebnis aber ist die Ankündigung neuer Beziehungen und der Fortsetzung des Dialogs. Darin enthalten auch erste konkrete vertrauensbildende Maßnahmen, die den weiteren Austausch vermutlich positiv begleiten werden. Beide Länder verpflichten sich, die sterblichen Überreste von Kriegsgefangenen und Vermissten des Koreakrieges zurückzuführen. Das ist die gute Nachricht aus Singapur: Wer redet, schießt nicht. Trump und Kim wollen im Gespräch bleiben. Kaum war die Einladung ins Weiße Haus vom US-Präsidenten ausgesprochen, hat sie der nordkoreanische Machthaber bereits angenommen.
Und da es sich um ein Gentlemen-Agreement handelt, gibt es einen Bonus obendrauf. Trump verspricht das Ende der teuren und provokativen Militärmanöver mit Südkorea. Frei heraus, ganz ohne vorheriges Geschnatter mit den davon betroffenen Partnern Japan und Südkorea. Dabei stellt er sogar in Aussicht, das amerikanische Militär ganz aus Südkorea abzuziehen. Da sich die amerikanische Militärpräsenz vor allem gegen das Reich der Mitte richtet, ist es für Peking ein unverhofftes Geschenk. So kurios sein Zustandekommen ist, es möge dauerhaft zu einer Entspannung beitragen. Die riskante Transition vom amerikanischen zum chinesischen Zeitalter in Südostasien könnte um einen gefährlichen Eruptionsfaktor befreit worden sein. China frohlockt bei so viel Großzügigkeit und schlägt noch am selben Tag vor, die Sanktionen gegen Nordkorea zu lockern oder auszusetzen. Scham vor Übermut war gestern.
Kein anderes Politikfeld ist so sehr von patriarchaischen Strukturen geprägt wie die Atomwaffenpolitik. Es ist dieser Männlichkeitswahn und die ihm zugrunde liegende Angst, als Weichei wahrgenommen zu werden, welche die nukleare Aufrüstung ins Unermessliche aufschwellen ließ.
Kim muss lediglich zustimmen, auf eine Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel hinzuarbeiten, ohne sich auf ein verbindliches Zeitfenster festlegen zu müssen. Damit ist er wohl der größte Gewinner der vierstündigen Bromance auf der Insel Sentosa. Denn das hatte er längst dem südkoreanischen Präsidenten Moon Jae-in zugesagt. Als Gegenleistung winken eine üppige Friedensdividende aus Seoul und die Befreiung aus der Isolation. Alles freilich in Absprache mit China, was Kim vor dem Gipfel gleich zwei Abstecher wert war. Mehr Recycling als Neuschöpfung also.
Trifft wenigstens für das Selbstverständnis und die Beziehungen zwischen USA und Nordkorea die Proklamation eines Paradigmenwechsels zu? Mitnichten. Die nukleare Abrüstungspolitik von Trump und Kim ist nichts anderes als die Fortsetzung ihrer machistischen Abschreckungspolitik mit anderen Mitteln. So unterstreicht und festigt das Singapurer Treffen, dass in der Weltordnungspolitik nur gilt, wer mit ultimativer Gewalt droht. Nordkorea erfährt eine beispiellose Aufwertung und Anerkennung als Atommacht. Kim weiß, wenn er die Atomwaffen aufgibt, ist er in Trumps Augen ein Schwächling, über dessen Schicksal die Laune frei verfügen darf.
Trump und Kim wirken wie Karikaturen zweier von Männlichkeitskomplexen geplagter Staatenlenker. Doch das Problem liegt viel tiefer. Die internationale Sicherheitspolitik insgesamt ist auf ein bestimmtes Verständnis von Maskulinität fokussiert und wird von diesen Rollenbildern dominiert. Trump und Kim sind so gesehen lediglich Paradebeispiele für die geltenden Spielregeln. Wer mit welcher Glaubwürdigkeit sprechen darf, ist davon abhängig, wie gut er oder sie diese sozialen Erwartungen erfüllt. Dies gilt umso mehr für Atomwaffen. Die Demonstration von Macht und Überlegenheit zu scheuen, bedeutet schwach sein. Es bedeutet unvernünftig oder gar verantwortungslos zu handeln. Im schlimmsten Fall sieht man sich dem Vorwurf der Emotionalität ausgesetzt. Um sich in diesem Umfeld zu behaupten, müssen Frauen ihre männlichen Kollegen in Härte und schonungslosem Misstrauen überbieten.
Durch die Vergötterung des nuklearen Phallus soll der Mangel an Selbstbewusstsein und Vertrauen in die eigene Gestaltungsfähigkeit von internationalen Beziehungen ausgeglichen werden.
Kein anderes Politikfeld ist so sehr von patriarchaischen Strukturen geprägt wie die Atomwaffenpolitik. Es ist dieser Männlichkeitswahn und die ihm zugrunde liegende Angst, als Weichei wahrgenommen zu werden, welche die nukleare Aufrüstung ins Unermessliche aufschwellen ließ. Der entgrenzte nukleare Potenzvergleich hat die Welt mit tausenden in ständiger Einsatzbereitschaft aufgerichteten Atomsprengköpfen bespickt. Ein jeder mit der dutzenden oder gar hundertfachen Sprengkraft von Fat Man and Little Boy.
Dass die moderne Atombombe schon in ihrer Gestalt phallische Züge hat, ist wohl der konkreteste Ausdruck ihrer in ihrem Grundwesen veranlagten Sexualität. Die gesamte Rhetorik der Nuklearpolitik dreht sich um die Beschwörung von Männlichkeit. Als Indien 1998 erfolgreich Atomwaffen testete, sahen sich nationalistische Politiker darin bestätigt, der Welt bewiesen zu haben, keine „Eunuchen“ zu sein. Nachdem Kim Anfang 2018 in Richtung USA damit drohte, dass auf seinem Schreibtisch immer ein Atomwaffenknopf stehe, konterte Trump, seiner sei „größer und mächtiger“. Die nukleare Grammatik ist beherrscht von Deklinationen der Einschüchterung, Dominanz und Unterwerfung. Das gilt auch für die vermeintliche Abrüstungspolitik von Trump und Kim. Wenige Tage vor dem Gipfel prahlte Trumps Anwalt Giuliani, Kim habe auf Händen und Knien um das Treffen gebettelt.
Die Faszination für die Zerstörungskraft der Atombombe offenbart den kompensatorischen Charakter nuklearer Abschreckungspolitik. Durch die Vergötterung des nuklearen Phallus soll der Mangel an Selbstbewusstsein und Vertrauen in die eigene Gestaltungsfähigkeit von internationalen Beziehungen ausgeglichen werden. Lineares, einströmiges Denken und Handeln, Misstrauen und der Rückgriff auf Gewaltmittel sind die gefährlichen Folgen für die internationale Sicherheitspolitik.
Was bedeutet dies für die Ergebnisse des großen Atomgipfels? Was bleibt, wenn der nuklearen Abrüstungspolitik von Trump und Kim das gleiche psychologische Verhaltensmuster wie ihrer Abschreckungspolitik zugrunde liegt? Es bleibt die Hoffnung, dass hinter dem Spektakel von Singapur vor allem ein Mensch steht: der südkoreanische Präsident Moon Jae-in. Er soll noch am Vorabend des Treffens ein vierzig minütiges Telefonat mit dem US-Präsidenten geführt haben. Die Abschlusserklärung entspricht ganz seinem Konzept der Annäherung durch Entgegenkommen und Einbindung. Die Konservativen in Südkorea kritisieren ihn scharf für seine „weiche Linie“.