In Malis Hauptstadt Bamako fand Ende März 2017 eine Friedenskonferenz mit mehreren hundert Teilnehmern aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens statt. Nach anfänglichem Boykott nahmen schließlich auch einige Ex-Rebellengruppen aus dem Norden und die politische Opposition teil, so dass am Ende ein gemeinsames Gesprächsangebot an die nach wie vor kämpfenden islamistischen Dschihadisten verabschiedet werden konnte. Dieses Angebot kommt nicht von ungefähr, denn erst am 2. März hatten sich vier im Norden und im Zentrum des Landes operierende Terrorgruppen zu einer gemeinsamen Front unter der Ägide von al-Qaida zusammengeschlossen.

Die Gründung der „Gruppe für den Sieg des Islams und der Gläubigen“, wie die etwas sperrige Bezeichnung der neuen Terrorfront lautet, verheißt nichts Gutes für den seit fast zwei Jahren vor sich hin dümpelnden Friedensprozess, und sie droht gleichzeitig, die ohnehin fragile Lage in der gesamten Sahel-Region weiter zu destabilisieren. Begonnen hatte die Krise 2012, als Tuareg-Rebellen und islamistische Kämpfer den Norden Malis eroberten, bevor sie Anfang 2013 durch eine französische Militärintervention zurückgedrängt, aber eben nicht vollständig besiegt wurden. Das dürfte sich auch in Zukunft nicht ändern, denn der zu großen Teilen aus Wüste bestehende Norden Malis ist etwa doppelt so groß wie Deutschland und kaum zu kontrollieren, zumal die Grenzen zu Algerien, Mauretanien und Libyen für Terroristen, Schmuggler, Banditen und Nomaden noch nie ein Hindernis darstellten. Aus diesen Ländern kommt auch ein Großteil der Kämpfer und der Waffen; insbesondere der von Frankreich und England betriebene Sturz des libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi im Frühjahr 2011 hatte buchstäblich die Schleusen geöffnet: Ganze Waffenarsenale wurden von Gaddafis Söldnern geplündert, darunter viele Tuareg aus dem Norden Malis, die schwerbewaffnet in ihre Heimat zurückkehrten.

Nach dem Eingreifen der Franzosen kam es im Juni 2015 in Algier zur Unterzeichnung eines Friedensabkommens, dessen Umsetzung jedoch immer noch auf sich warten lässt. Im Folgenden verschlechterte sich die Sicherheitslage, trotz der inzwischen in Mali stationierten 11 000 Soldaten der UN-Friedenstruppe MINUSMA, die auch einige hundert Angehörige der Bundeswehr umfasst. Nicht nur gibt es ständig Anschläge auf die Friedenstruppe im Norden, inzwischen ist auch das Zentrum des Landes gefährdet. Dort, im berühmten Binnendelta des Niger, operieren seit neuestem Kämpfer der „Katiba von Masina“, einer der vier oben erwähnten Untergruppen von al-Qaida. Diese setzt sich vor allem aus Angehörigen der Peul zusammen, einem Hirtenvolk, das traditionell in einem konflikthaften Verhältnis mit den sesshaften Bauern lebt, die überwiegend dem in der Hauptstadt dominierenden Volk der Bambara angehören. Neben den um Unabhängigkeit kämpfenden Tuareg erhält der Konflikt damit eine weitere ethnische Dimension, die für den Vielvölkerstaat Mali fatal sein könnte.

Für die meisten Malier haben Friedensprozess und internationale Intervention keine sichtbaren Fortschritte gebracht.

Für die meisten Malier haben Friedensprozess und internationale Intervention keine sichtbaren Fortschritte gebracht. Im Gegenteil: Die Enttäuschung ist groß, wie die jüngste Ausgabe des „Mali mètre“, einer regelmäßig durchgeführten Meinungsumfrage, zeigt: 41 Prozent der Befragten finden, die allgemeine Lage habe sich verschlechtert, während nur 32 Prozent gegenteiliger Meinung sind. 42 Prozent sind von der MINUSMA enttäuscht, wobei hauptsächlich kritisiert wird, dass die Truppe „die Bevölkerung nicht vor den bewaffneten Gruppen und Terroristen schützt“, dass sie gar „mit den Rebellen unter einer Decke steckt“ und dass sie zu einer „Verteuerung der Lebenshaltungskosten beiträgt“.

Malische Fachleute und Politiker teilen weitgehend diese Einschätzung. Ein ehemaliger Mitarbeiter der MINUSMA berichtete im persönlichen Gespräch, dass Angehörige der Truppe in den Drogenschmuggel verwickelt seien. Letzteres ist in der Tat ein weiteres großes Problem, das neben dem Terrorismus die Stabilität der Region zu untergraben droht und auch direkte Auswirkungen auf Europa hat. Westafrika entwickelt sich zunehmend zu einem Umschlags- und Transitgebiet für südamerikanisches Kokain, mit dem „Narko-Staat“ Guinea-Bissau als Anlandeplatz, während durch Mali eine der Hauptrouten für den Schmuggel durch die Sahara an das Mittelmeer führt. Auch Angehörige der politischen Elite in Bamako sollen in Drogengeschäfte verwickelt sein, was in den Augen vieler Malier die halbherzige Bekämpfung der Dschihadisten erklärt, denn diese finanzieren sich zum Teil durch Drogenhandel oder stehen mit Drogenbanden in Kontakt.

Dieser Vorwurf ist nur einer von vielen, die gegen „die korrupten Eliten“ erhoben werden. Fast zwei Drittel der befragten Malier sind der Meinung, dass die Korruption im Land ein unerträgliches Ausmaß angenommen hat. Das Regime in Bamako, mit dem der alten Garde entstammenden Präsidenten Ibrahim Boubacar Keita an der Spitze, ist – wenngleich demokratisch gewählt – in den Augen vieler das Grundübel der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Krise, in der sich das Land seit dem Umsturz 2012 im Gefolge des Bürgerkriegs befindet. Aus dieser Sicht hat die internationale Militärintervention in erster Linie die korrupten Eliten gerettet, deren Hauptinteresse nicht die Entwicklung des Landes, sondern die eigene Bereicherung ist, so ein Ex-General der malischen Armee. Die Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Zustands zwischen Krieg und Frieden und die langfristige Anwesenheit der internationalen Truppen sei deshalb im Interesse der Eliten, würde das Land aber an den Abgrund führen. Eine solche Einschätzung muss Bundesregierung und Bundestag aufhorchen lassen, wurde doch das Mandat des Bundeswehreinsatzes in Mali erst im Januar 2017 auf eine Truppenstärke von 1000 erweitert und soeben bis Mai 2018 verlängert. Mali wird demnächst wohl das wichtigste Einsatzland der deutschen Armee, als gefährlichstes gilt es ohnehin schon. Allerdings müssen sich die Kritiker der internationalen Militärintervention die Frage gefallen lassen, was denn die Alternative wäre. Ein nicht nur zerfallender, sondern zerfallener Staat à la Libyen kann weder im Interesse der Malier noch der Europäer liegen. Dass bereits die zweite Auslandsreise des neu gewählten französischen Präsidenten Emmanuel Macron nach Mali geht, um die dort stationierten Truppen zu besuchen, unterstreicht diese Sichtweise.

Fast zwei Drittel der befragten Malier sind der Meinung, dass die Korruption im Land ein unerträgliches Ausmaß angenommen hat.

Dass das westafrikanische Land und die Sahel-Zone insgesamt mittlerweile einen so hohen Stellenwert für die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik einnehmen, hat neben der Terrorismus- und Drogenbekämpfung noch einen weiteren (Haupt-) Grund: Migration. Die Bekämpfung von Fluchtursachen genießt Priorität, und Afrika ist Chefsache der deutschen Politik. Die Bevölkerungsexplosion in der Sahel-Region, wo sich die Einwohnerzahl in den nächsten 20 bis 30 Jahren mehr als verdoppeln wird, dürfte eine verstärkte Fluchtbewegung auch in Richtung Europa in Gang setzen. Schon jetzt weiß man nicht, was aus den Dutzenden Millionen junger Menschen werden soll, die jedes Jahr die Schulen verlassen – größtenteils nur mit rudimentärer Bildung, weil das Schulsystem durch die überbordende Nachfrage überfordert ist. Mali hat neben Niger die höchste Geburtenrate der Welt; die Einwohnerzahl wird sich bei unveränderter Demographie bis 2050 verdreifachen. Sind die Lebensbedingungen bei gegenwärtig 18 Millionen Einwohnern schon schwierig, so ist es nach Einschätzung des ehemaligen Ministerpräsidenten Moussa Mara unmöglich, 60 Millionen Menschen zu ernähren. Geburtenkontrolle sei jedoch noch weitgehend ein Tabuthema, wegen kultureller und religiöser Traditionen und „Männlichkeitsideale“.

Alles in allem also wenig erfreuliche Perspektiven. Und damit ebenso wenig erfreuliche Optionen für die deutsche und europäische Außen- und Sicherheitspolitik im Hinblick auf die Stabilisierung der Krisenregion Sahel.