Nichts bringt besorgte Freunde aus der Versenkung hervor wie eine Krise. Dies gilt ganz sicherlich für die aktuelle Situation in Spanien, wo Katalonien für den 1. Oktober ein Unabhängigkeitsreferendum angesetzt hatte. Unter den vielen Unterstützungsbekundungen, die ich in den letzten Wochen erhalten habe, waren eine Menge Anfragen, warum Spanien das Referendum nicht einfach zulässt. Aber das ist keine Alternative.

Die Idee, dass Katalonien sein Referendum nach dem Grundsatz des „Rechts auf eigene Entscheidung“ (derecho a decidir) abhalten können sollte, ist in der internationalen Presse aufgeworfen worden und hat teilweise selbst innerhalb Spaniens an Zugkraft gewonnen. Dabei wird häufig auf die Entscheidung des früheren britischen Premierministers David Cameron verwiesen, 2014 die Durchführung eines Unabhängigkeitsreferendums in Schottland zu gestatten.

Doch ein derartiges Verfahren ist gemäß der spanischen Verfassung von 1978 ungesetzlich. Diese Verfassung markierte den Übergang Spaniens von der Diktatur zur Demokratie und bildet den Rahmen für das Rechtssystem des Landes. Und dort heißt es ausdrücklich, dass sie „auf der unauflöslichen Einheit der Spanischen Nation beruht“ und dass die Souveränität „der spanischen Bevölkerung“ gehört.

Kurz gesagt: Spanien ist eine Nation und unteilbar. Und insofern kann ein Referendum über eine Sezession nicht legal durchgeführt werden, ohne die Verfassungsordnung zunichte zu machen, die das Land im Laufe der letzten 40 Jahre, seit dem Tod des Diktators Francisco Franco im Jahre 1975, aufgebaut hat.

Man muss jedoch betonen, dass der Grundsatz, dass Spanien ein geeintes Land ist und bleibt, in keiner Weise die friedliche Existenz von Einzel- oder Gruppenidentitäten ausschließt. Im Gegenteil: Die Präambel der Verfassung enthält eine Zusage, die Menschenrechte, Kultur, Traditionen, Sprachen und Institutionen der „Völker Spaniens“ zu schützen.

Auf der Basis dieser Zusage hat sich ein komplexes Gesetzeskorpus entwickelt, das den Regionen Autonomie einräumt, und zwar insbesondere Katalonien, dessen Regionalregierung beträchtliche Befugnisse übertragen wurden. Die Abstimmung dieser Beziehung zwischen Gruppe, Region und Nation ist ein schwieriger, fortlaufender Prozess, aber sie erfolgt im Kontext eines übergreifenden Verfassungssystems. Ein Unabhängigkeitsreferendum würde dieses System zerstören.

Manche behaupten, die Antwort sei eine Änderung der Verfassung, um ein derartiges Unabhängigkeitsreferendum zu gestatten. Doch obwohl die Rufe nach einer derartigen Änderung mit Sicherheit an Lautstärke zunehmen werden, wäre es absolute Torheit, ihnen nachzugeben. Dies würde nicht nur dem Willen einer überwältigenden Mehrheit der spanischen Bürger widersprechen, sondern könnte auch der spanischen Demokratie einen tödlichen Schlag versetzen.

Der demokratische spanische Staat, der auf der Idee einer geeinten spanischen Nation beruht, die alle Völker Spaniens umfasst, ist modern, pluralistisch und flexibel. Er hat eine Interdependenz gestärkt, die auf unserer kollektiven Erfahrung und gemeinsamen Geschichte fußt. Die Teilbarkeit dieser Idee von Spanien zu fördern, wird jene Art von Nationalismus und Nativismus vorantreiben, die bereits anderswo in Europa und Nordamerika im Aufstieg begriffen ist. Abstimmungen über eine Sezession zu gestatten, ist kein demokratischer Akt, sondern ein Anschlag auf die Demokratie.

Die Verhinderung des verfassungswidrigen Referendums ist nur der erste Schritt zum Schutz der spanischen Demokratie.

Doch ist die Verhinderung eines verfassungswidrigen Referendums nur der erste Schritt zum Schutz der spanischen Demokratie; Spanien muss zugleich entscheiden, wie es nach dem 1. Oktober weitermachen will. Die Entscheidungen, die es diesbezüglich trifft, werden nicht nur seine künftige demokratische Lebensfähigkeit bestimmen; sie werden zugleich einen Hinweis darauf geben, wie andere freiheitliche Demokratien vorgehen können, die sich vielen der Kräfte ausgesetzt sehen, die derzeit auf den Straßen Barcelonas (der Landeshauptstadt Kataloniens) wirken.

Wenn Spanien eine geeinte Nation bleiben soll, muss sich diese Nation innerhalb der gesamten spanischen Gesellschaft manifestieren. Und an dieser Stelle kommt viel Arbeit auf uns zu.

Eine der Folgen der zunehmenden Autonomie Kataloniens und des Missbrauchs dieser Autonomie durch identitätsfixierte Separatisten in der Regionalregierung war der Rückzug des spanischen Staates aus der Region. Die Verbindungen zwischen Staat und Bürgern sind zunehmend distanzierter geworden, was zu einer Lockerung der gesellschaftlichen Bande geführt hat, die die Nation zusammenhalten.

Ein ähnliches Phänomen ist im übrigen Spanien und tatsächlich überall im Westen aufgetreten. Dies ist nicht durch einen regionalen Separatismus bedingt, sondern vielmehr durch ein zunehmendes Gefühl der Bürger, von der Funktionswese des Staates abgekoppelt zu sein. Die Beziehung zwischen Menschen und Regierung hat eine Dynamik angenommen, die zunehmend jener zwischen Kunden und Dienstleistern ähnelt.

Was Spanien heute braucht, ist eine konzertierte Bemühung, die Gesellschaft – insbesondere die jüngeren Generationen – wieder in das Projekt des Regierens einzubinden. Meine Generation wurde während des Übergangs zur Demokratie (LaTransición) erwachsen, einem Prozess, dem man sich zwangsläufig verbunden fühlte.

La Transición jedoch ist in gewisser Weise ein Opfer ihres eigenen Erfolges geworden, denn diese Ära und diejenigen, die sie durchlebt haben, dominieren weiterhin das politische Bewusstsein Spaniens. Dies hat eine Kluft zwischen den Generationen hervorgebracht, die etwa in der Katalonien-Debatte innerhalb der Sozialistischen Partei erkennbar ist: Während die alte Garde die verfassungsmäßige Ordnung Spaniens eisern verteidigt, haben die jüngeren Mitglieder der Partei eine zwiespältigere Position eingenommen. Es ist entscheidend, in einen Prozess mit dieser jüngeren Generation einzutreten, der nicht passiv ist, sondern stattdessen ein tägliches Engagement erfordert.

Spanien oszilliert bereits im Verlaufe seiner gesamten Geschichte zwischen einer Vorreiter- und einer Nachzüglerrolle. Manchmal nimmt das Geschehen in Spanien Entwicklungen anderswo vorweg; zu anderen Zeiten verspürt Spanien lediglich die Nachbeben weit entfernter Ereignisse. Die Situation in Katalonien passt natürlich in die erstere Kategorie.

Die Herausforderung, die Verbindungen zwischen Bürgern, Staaten und Gesellschaft zu vertiefen, ist universeller Art. Und angesichts der Versuchung, auf einen Ethnonationalismus oder Tribalismus zurückzuverfallen – der, wie wir in letzter Zeit in verschiedenen reifen Demokratien gesehen haben, Liberalismus und Rechtsstaat unmittelbar bedroht –, ist sie zugleich eine dringliche Herausforderung. In Spanien wartet eine Menge Arbeit auf uns. Aber wenn wir dies richtig hinbekommen, wird unser Land – und die Demokratie im Allgemeinen – davon profitieren.

(c) Project Syndicate

Lesen Sie in der Debatte auch den Beitrag Freiheit für Katalonien von Maggie Chapman.