Wenn Hillary Clinton die Präsidentschaftswahl am 8. November 2016 verliert, hat sie sich das selbst zuzuschreiben. Sie hat in ihrem Wahlkampf grundlegende Fehler gemacht, und daher wird die Entscheidung deutlich knapper ausfallen als nötig. Eigentlich müssten die Demokraten einen erdrutschartigen Sieg einfahren und in beiden Häusern des Kongresses die Mehrheit bekommen. Doch derzeit sieht es denkbar knapp aus, zu knapp für eine verlässliche Voraussage. Das ist Clintons Schuld, obwohl auch das Establishment der Demokratischen Partei, in dem die Clintons eine maßgebliche Rolle spielen, keine sonderlich gute Figur macht.
Von dem Dutzend Republikanern, die in den Vorwahlen antraten, hätte Trump der einfachste Gegenkandidat sein müssen.
Von dem Dutzend Republikanern, die in den Vorwahlen antraten, hätte Donald Trump der einfachste Gegenkandidat sein müssen. Er hat in seinem Wahlkampf von Anfang an gegen die Grundregel der Partei verstoßen, was ein Republikaner zu tun hat, um eine US-Präsidentschaftswahl zu gewinnen. Seit mindestens einem Jahrzehnt ist den Republikanern bekannt, dass sie neben ihrer einzigen verbliebenen Stammwählerschaft, den „angry white men“, noch andere Wähler mobilisieren müssen.
Amerika hat sich seit den Tagen Ronald Reagans verändert, ist heute ein vielfältigeres, heterogeneres, komplexeres Land, in dem Frauen, Afroamerikaner und Latinos in der breiten Gesellschaft präsent sind, sogar im Oval Office. Stellten Weiße im Jahr 1980 noch 88 Prozent der Wählerschaft, so sind es heute weniger als 70 Prozent. Frauen verdienen mehr als doppelt so viel wie Ende der 1960er Jahre. Und sämtliche demographischen Studien belegen, dass sich diese Entwicklung in den nächsten Jahren fortsetzen wird.
Früher gaben die Stimmen der „angry white men“ bei Wahlen den Ausschlag.
Trotzdem hat Trump alle Zahlen und die vielen Ratschläge aus seiner eigenen Partei in den Wind geschlagen und konzentriert sich bei der Stimmenjagd auf die „angry white men“. Das sind die weißen Männer aus Kleinbürgertum und Mittelschicht, die überwiegend keine universitäre Ausbildung haben. Früher nahmen sie in der amerikanischen Gesellschaft eine privilegierte Position ein, und ihr Stimmen gaben bei den Wahlen den Ausschlag. Doch durch die Diversifizierung Amerikas – man könnte auch sagen, durch die amerikanische Demokratie – sind sie ins Hintertreffen geraten. Hilflos mussten sie zusehen, wie Frauen und Minderheiten an ihnen vorbeizogen. Ihr Einkommen stagniert oder sinkt. Michael Kimmel schreibt in seinem Buch „Angry White Men – Die USA und ihre zornigen Männer“: „In dem großen neuen multikulturellen amerikanischen Mosaik sind sie der langweilige weiße Hintergrund, für den sich keiner interessiert, das billige Weißbrot aus dem Supermarkt in einer Kultur von Bagels, Tortillas, Wan Tan und biologischem Vollkornteegebäck. Sie sind abwärts unterwegs, verächtlich beiseite geschubst von schnell redenden und schnell fahrenden Geldsäcken und Bürokraten.“
Trump weiß genau, welche Knöpfe er drücken muss, um diese Leute für sich zu gewinnen. Dabei geht es nicht um Interessen, sondern um Identität, und Trump spricht sie in ihrem Verlust an, ihren Ängsten, ihrer Unzufriedenheit. Trotzdem: Die blanken Zahlen belegen, dass nicht einmal ein Republikanischer Kandidat, der die Stimmen sämtlicher zorniger weißer Männer auf sich vereint, eine Präsidentschaftswahl gewinnen kann.
Das gilt allerdings nur, wenn die Demokraten die Stimmen aller anderen holen, nämlich der Afroamerikaner, der Latinos, der Gebildeten und der progressiven Linken (der Fans von Bernie Sanders). Das ist eine satte Mehrheit, die nur darauf wartet, ihre Stimme abzugeben.
Statt sich um ihre wahre Anhängerschaft zu kümmern, buhlte Clinton mit den Republikanern um die Stimmen der weißen Männer.
Doch statt sich um diese Wählerinnen und Wähler, um ihre wahre Anhängerschaft zu kümmern, beging Clinton den grundlegenden Fehler, einen Wahlkampf zu führen, wie ihn die Demokraten schon immer geführt haben: Sie buhlen mit den Republikanern um die Stimmen der weißen Männer. In sie hat Clinton ihr gewaltiges Wahlkampfbudget investiert, nachdem der Clinton-Apparat die Schatulle gut gefüllt hatte. Deshalb hat sie sich auch den konservativen Demokraten Tim Kaine als Vizepräsidentschaftskandidaten ausgesucht und nicht eine zweite Frau oder einen Minderheitenvertreter. Es hätten viele andere qualifizierte Kandidaten zur Verfügung gestanden.
Zudem hat Clinton in ihrem Wahlkampf viel Zeit darauf verwendet, das reiche demokratische Establishment zu umwerben, statt die Afroamerikaner und Latinos in den Städten anzusprechen und den Bernie-Fans nicht nur ein paar freundliche Worte zuzurufen, sondern ihnen wirklich die Hand zu reichen.
Das Ergebnis sehen wir jetzt. Trumps Weg ins Weiße Haus stützt sich auf zwei Säulen: Seine natürliche Wählerschaft steht zuverlässig hinter ihm; Clintons dagegen hält sich womöglich so weit zurück, dass sie Trump nicht überholen kann. Am Early Voting, also der vorzeitigen Stimmabgabe vor dem Wahltag, ist bereits abzulesen, dass die Afroamerikaner zwar sicher nicht für Trump stimmen, aber auch Clinton nicht unbedingt wählen. Sie gehen einfach nicht zur Wahl. Deshalb musste Clinton auch Michelle Obama um Hilfe bitten, die nicht nur die Afroamerikaner mobilisieren kann, sondern auch das Charisma und die Bodenständigkeit besitzt, die Clinton offensichtlich fehlen. Endlich macht sich nun auch Bernie Sanders für sie stark. Hoffentlich reicht das aus und kommt nicht zu spät.
Auch wenn Clinton vieler der ihr vorgeworfenen Vergehen unschuldig ist, gibt sie doch eine gigantische Zielscheibe ab.
Clintons Wahlkampf war eine Katastrophe, was allerdings auch den unfairen Medien-Kampagnen gegen sie zu verdanken ist, vergleichbar denen, die schon seit 20 Jahren gegen Hillary und Bill Clinton gefahren werden (wie auch gegen Al Gore und John Kerry in den Jahren 2000 und 2004). Auch wenn Clinton vieler der ihr vorgeworfenen Vergehen unschuldig ist, gibt sie doch eine gigantische Zielscheibe ab und ist nicht nur bei den „angry white men“, sondern auch bei vielen anderen Wählern unbeliebt. Deshalb hat sie vor acht Jahren gegen Obama verloren und würde auch heute wieder unterliegen.
Die Demokraten hätten in den Vorwahlen mehr Kandidatinnen und Kandidaten antreten lassen sollen. Nachdem sich das Partei-Establishment bereits auf Clinton verständigt hatte, war der einzige Demokrat, der kühn und verrückt genug war, gegen sie anzutreten, Bernie Sanders, ein jüdischer Sozialdemokrat aus Vermont, der mit dem Kampf gegen die Ungleichheit einen Ein-Themen-Wahlkampf führte. Das ist ein wichtiges Anliegen, doch Sanders hätte sein Spektrum durchaus auf Klimawandel, Drohnenkrieg, NSA und andere Themen erweitern können. Der demokratische Parteiapparat schoss sich selbst ins Knie, als er Hillary den Weg frei machte, ohne dass die demokratische Wählerschaft die Chance gehabt hätte, sich für eine Kandidatin oder einen Kandidaten zu entscheiden.
Es gibt Demokraten, und ich denke da etwa an Joseph Biden und Elizabeth Warren, die Trump das Fürchten gelehrt hätten, indem sie eine Mehrheit gegen die Minderheit mobilgemacht hätten, statt kleine Teile der Mehrheit für sich zu gewinnen.
Der Pool der amerikanischen Wähler, die für Hillary Clinton – und gegen Donald Trump – stimmen könnten und dürften, ist so groß, dass Clinton die Wahl wohl trotzdem gewinnt. Trump müsste, um den Sieg noch davonzutragen, Wählerschichten erreichen, an die schon Mitt Romney und John McCain nicht herankamen, und dafür spricht derzeit nichts. Es ist erstaunlich und deprimierend, dass er überhaupt so viele Wähler mobilisieren konnte. Clintons Schwachpunkte und ihre starrköpfige Wahlkampfstrategie haben ihm dabei in die Hände gespielt.
Länger als vier Jahre wird Clinton als Präsidentin nicht überdauern.
Clintons vierjährige Amtszeit wird höchstwahrscheinlich von den lauten illiberalen Misstönen begleitet werden, die wir schon aus dem Wahlkampf kennen. Sie ist eine der am klarsten positionierten Politiker des Landes und völlig ungeeignet, die notwendigen Brücken zu bauen. Länger als vier Jahre wird sie nicht überdauern. Hoffentlich hat die Demokratische Partei bis dahin erkannt, dass nicht die Parteispitze, sondern die Basis der amerikanischen Demokraten am besten geeignet ist, sich den nächsten Präsidentschaftskandidaten auszusuchen.