Japans Premierminister Shinzo Abe hat ein Vabanquespiel gewagt und gewonnen. Bei der vorgezogenen Unterhauswahl am 14. Dezember erreichte seine Liberaldemokratische Partei (LDP) mit 291 Unterhaussitzen zwar vier weniger als beim Wahlsieg 2012, aber der Koalitionspartner Komeito (Gerechtigkeitspartei) hat mit 35 Mandaten vier mehr als im alten Parlament, so dass die Koalition wie zuvor über 326 Unterhaussitze verfügt, neun Sitze mehr als zur Zweidrittelmehrheit nötig.

Die Koalition unter Abe hat diesen Wahlsieg errungen, obwohl zentrale Inhalte ihrer Politik, die AKW-freundliche Energiepolitik, das 2013 verabschiedete Geheimhaltungsgesetz und die Aufweichung des Pazifismusgebots in der Verfassung in der Bevölkerung überwiegend auf Ablehnung stoßen. Die Mehrheit der Bevölkerung hat auch nicht von den angeblichen Segnungen des vielgerühmten Wirtschaftsprogramms Abenomics profitiert. Und letztlich ist die Ansetzung der Wahl selbst bei der Bevölkerung mehrheitlich auf Ablehnung gestoßen.

 

Opposition ohne Strategie

Abe und seine Wahlstrategen dürften ganz bewusst auf die niedrige Wahlbeteiligung gesetzt haben. Sie kalkulierten zu Recht damit, dass die Oppositionsparteien auf die Wahl nicht vorbereitet sein würden. Viele ihrer orientierungslosen Anhänger blieben am Wahltag zu Hause, andere wählten trotz Zweifeln die LDP.

Die mit 52,7 Prozent niedrigste Wahlbeteiligung der Nachkriegszeit, nochmals sieben Prozent niedriger als bei der Wahl von 2012, zeigt, dass die Mehrheit der Japaner von Abes Politik nicht überzeugt ist. Aber die Opposition hat keine überzeugende Führungsfigur. Die Zahl der Mandate der größten Oppositionspartei, der Democratic Party Japan (DPJ) stieg immerhin um 11 auf 73. Sie stellt aber wie auch die anderen noch kleineren Oppositionsparteien zahlenmäßig und programmatisch keine Herausforderung für die Koalitionsparteien dar. Die einzige wirkliche Gewinnerin der Wahl ist die Japan Communist Party (JCP). Mit ihrem kompromisslos gegen die Koalition gerichteten Wahlkampf konnte sie die Zahl ihrer Sitze von 8 auf 21 nahezu zu verdreifachen.

 

Wahl, um dem Abstieg zu entgehen

Premierminister Abe hatte im November die Unterhauswahl ausgeschrieben, nachdem Japans Konjunktur in die Rezession abgesackt war. Die Versuche der Regierung und der japanischen Zentralbank die Wirtschaft anzukurbeln waren gescheitert. Die Verbilligung der japanischen Währung hat nur den Exportfirmen wie Toyota geholfen. Der Großteil der japanischen Wirtschaft exportiert aber nicht. So sind höhere Einkommen für die große Mehrheit der Japaner ein Wunschtraum geblieben. Zudem sind viele Importprodukte, wie Energie und Lebensmittel, wegen des gefallenen Yen teurer geworden. Und im April wurde die Mehrwertsteuer um drei Prozent erhöht.

Die überraschende Ansetzung der Parlamentswahl für den 14. Dezember war eine Operation, die der Regierung angesichts eines weiteren drohenden Popularitätsverlusts bis 2018 eine stabile Regierungsmehrheit sichern sollte.

Dazu kamen noch die ersten Skandale von Ministern um den Missbrauch von Parteifinanzen. Kein Wunder, dass die Zustimmungsrate für die Regierung Abe von über 70 auf ca. 45 Prozent gesunken ist. Die überraschende Ansetzung der Parlamentswahl für den 14. Dezember war eine Operation, die der Regierung angesichts eines weiteren drohenden Popularitätsverlusts bis 2018 eine stabile Regierungsmehrheit sichern sollte.

 

Die Wirtschaftsreform bleibt auf der Strecke

Die Regierung hat in den zwei Jahren vor allem über die Geldpolitik versucht, die Wirtschaft anzukurbeln. Im Oktober hat die Bank of Japan wegen der schleppenden Konjunktur noch einmal die Ankäufe von japanischen Staatsanleihen ausgeweitet. 80 Prozent aller Staatsanleihen werden jetzt von der Zentralbank aufgekauft. Dazu wurde die zweite Tranche der Mehrwertsteuererhöhung von Oktober 2015 auf Frühjahr 2017 verschoben. Der japanische Yen ist darauf durchaus im Sinn von Zentralbank und Regierung noch einmal kräftig gefallen und steht jetzt bei 118 Yen zum Dollar. Die Finanzwelt traut Japan deshalb immer weniger. Finanzanalysten halten einen Absturz der Währung auf 200 Yen für möglich. Dann drohen aber die japanischen Zinsen zu steigen und damit geriete der japanische Haushalt, der ja zu 40 Prozent mit Schulden finanziert wird, in höchste Gefahr.

Premierminister Abe hat jedoch schon angedeutet, dass er vor den Strukturreformen die Wirtschaft wieder ankurbeln will. Es ist dies die seit 25 Jahren erfolglose Politik von Abes Partei. Abe müsste endlich die Bedingungen für die Umsetzung des Trans Pacific Partnership (TPP)-Handelsabkommens schaffen. Die Modernisierung der Landwirtschaft dürfte aber weiterhin am Widerstand der Agrarlobby scheitern. Die japanische Agrarlobby ist eine der stärksten Unterstützergruppen der LDP. Im Energiesektor scheitert die Trennung von Stromnetz und Stromerzeugern am Widerstand der Stromerzeuger. Sie verhindern auch den Ausbau der alternativen Energien, weil das Stromnetz für die Einspeisung von Wind- und Sonnenenergie angeblich zu schwach ist.

Die Regierung will zwar den Arbeitsmarkt flexibilisieren, versteht darunter aber vor allem die Erleichterung von Kündigungen.

Von besonderer Wichtigkeit wäre die Reform des Beschäftigungssystems und des Arbeitsmarktes. Mittlerweile sind nahezu 40 Prozent der Arbeitnehmer unregelmäßig Beschäftigte. Sie sind sehr leicht kündbar, zahlen meist keine Sozialversicherung und verdienen viel weniger als ihre festangestellten Kollegen. Die starre Schranke zwischen beiden Gruppen müsste im Wege einer Reform des Beschäftigungssystems aufgebrochen werden. Große Firmen stellen auch nur Universitätsabgänger als reguläre Beschäftigte ein. Frauen nach einer Kinderauszeit etwa werden nicht als reguläre Arbeitnehmerinnen eingestellt, weil sie nicht in das strikt nach Jahrgängen organisierte Beschäftigungssystem der Firmen passen. Japans Arbeitsmarkt ist so starr wie in keinem anderen Industrieland. Dazu verdienen die jungen Arbeitnehmer, die eine Familie gründen und Kinder haben wollen, zu wenig, während die älteren Arbeitnehmer aufgrund der regelmäßigen Alterszuschläge zu viel verdienen. Die Regierung will zwar den Arbeitsmarkt flexibilisieren, versteht darunter aber vor allem die Erleichterung von Kündigungen. Konkret in der Planung ist ein Gesetz, das die dreijährige Beschränkung der nicht-regulären Beschäftigung eines Arbeitnehmers aufheben soll. Die Anhebung der Zahl der regulären Beschäftigungsverhältnisse wird so verhindert. Des weiteren soll die Erlaubnis zur Anordnung unbezahlter Überstunden ausgeweitet werden.

Die Einkommen können so nicht steigen. Damit rückt aber die Erreichung des zweiprozentigen Inflationsziels in weite Ferne. Die zwei Prozent Inflation sind jedoch nach Meinung von Zentralbank, Regierung und vielen Experten die Voraussetzung für einen selbsttragenden Aufschwung. Dass er erreicht wird, glauben immer weniger. Ein Entkommen aus der konjunkturellen Abwärtsspirale ist nicht in Sicht.

 

Abes nationale Agenda

Schon seit Sommer 2013 hat Premierminister Abe mit der Verabschiedung des Geheimhaltungsgesetzes und der Aufweichung des Pazifismusparagraphen der Verfassung per Kabinettsbeschluss gezeigt, dass ihm die nationale Agenda Japans viel wichtiger ist als die Wirtschaft. Viele Beobachter glauben, dass er nach der Verlängerung seines Mandats endgültig versuchen wird, das Pazifismusgebot im Paragraphen 9 der Verfassung zu Fall zu bringen. Sein Koalitionspartner Komeito wird sich einer solchen Verfassungsänderung zwar entgegenstellen, aber das bindet Energien, die anderswo notwendig wären.

Seit seinem Amtsantritt 2012 hat Abe auch gezeigt, dass eine unabhängige freie Presse für ihn kein hohes Gut ist. Er hat das Führungsgremium des öffentlichen Fernsehsender NHK mit nationalistischen Gefolgsleuten besetzt und er hat die öffentliche Kampagne gegen die liberale Tageszeitung Asahi Shimbun wegen derer Berichterstattung zu den koreanischen Zwangsprostituierten gefördert. Es wird darauf ankommen, dass sich die japanische Öffentlichkeit in den kommenden Jahren solch autoritativen Eingriffen Abes in das öffentliche Leben widersetzt.