Nach der Eskalation der Auseinandersetzungen zwischen Frankreich und Mali kündigte Präsident Emmanuel Macron am 17. Februar die Beendigung des französisch geführten Kampfeinsatzes Barkhane und der Militäroperation Takuba an. 14 weitere europäische Länder und Kanada waren an Letzterer beteiligt, Deutschland jedoch nicht. Ist der „Westen“ also mit seinem Engagement zur Stabilisierung und Entwicklung des Landes gescheitert? Vielleicht ist es zu früh, diese Frage endgültig zu beantworten. Klar ist aber, die bisherige Strategie war nicht erfolgreich.
2013 hatte Frankreich mit einer Militärintervention den Vormarsch dschihadistischer Gruppen auf die malische Hauptstadt Bamako gestoppt. Deutschland hatte in der Folge auf Bitten Frankreichs ebenfalls Truppen nach Mali entsendet. Seitdem ist die Bundeswehr sowohl in der UN-Mission (MINUSMA) als auch in der EU-Trainingsmission für das malische Militär (EUTM Mali) aktiv. Im Laufe der Zeit kam eine weitere Mission zum Kapazitätsaufbau der Polizei (EUCAP Sahel Mali) hinzu und die Entwicklungszusammenarbeit wurde deutlich verstärkt. 2017 wurde die Sahel-Allianz ins Leben gerufen, die die Zusammenarbeit von 25 Staaten und Organisationen koordiniert. Sie hat bislang Mittel von insgesamt 7,5 Milliarden Euro für Entwicklungsprojekte in den Staaten der Sahelzone zugesagt.
Trotz aller Anstrengungen hat sich die Sicherheitslage in Mali und in den angrenzenden Staaten in den letzten Jahren weiter verschlechtert. Im Januar putschte auch im Nachbarland Burkina Faso erfolgreich das Militär. Dschihadisten haben in der Region an Einfluss gewonnen und nutzen Konflikte zwischen ethnischen Gruppen geschickt aus. In weiten Teilen des Landes gibt es weder funktionierende staatliche Strukturen noch ausreichende Sicherheit. Die wirtschaftliche Lage ist für große Teile der Bevölkerung äußerst angespannt. Die Zahl der Binnenvertriebenen ist in Mali auf über 400 000 gestiegen. 1,8 Millionen Menschen sind von Nahrungsmittelhilfe abhängig.
Trotz aller Anstrengungen hat sich die Sicherheitslage in Mali und in den angrenzenden Staaten in den letzten Jahren weiter verschlechtert.
Ende letzten Jahres kündigte die malische Militärregierung nach einem „Nationalen Dialog“ mit zivilgesellschaftlichen Gruppen an, die für Februar 2022 geplanten Wahlen um bis zu fünf Jahre zu verschieben. Daraufhin verhängten die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS und die EU Sanktionen. Im Herbst 2021 hatte die malische Regierung begonnen, Söldner der russischen Wagner-Gruppe ins Land zu holen, um zu zeigen, dass sie nicht auf Frankreich oder den Westen angewiesen sei. Der Streit zwischen Bamako und Paris spitzte sich immer weiter zu und kulminierte kürzlich in der Ausweisung des französischen Botschafters. Jetzt hat Präsident Macron die Reißleine gezogen und den Rückzug der französischen Truppen angekündigt.
Was ist falsch gelaufen? Und wie sollte Deutschland mit der neuen Situation umgehen? Namhafte politische Stimmen hierzulande haben angesichts der Entwicklungen der letzten Monate einen Rückzug der Bundeswehr gefordert, wenn Mali nicht umgehend bestimmte Bedingungen erfülle. Unter anderem solle es einen schnelleren Termin für Wahlen geben und die russischen Söldner abgezogen werden. Nun wird aber zunächst einmal zu klären sein, wie es um die Sicherheit der Bundeswehr und der zivilen Kräfte bestellt ist, wenn Frankreich mit dem Abzug beginnt. Denn wirkliche Entscheidungsspielräume hat Deutschland nur, wenn die Sicherheitsaufgaben, die die französische Antiterroroperation zum Beispiel auch für MINUSMA übernommen hat, durch andere Akteure aufgefangen werden können.
Danach stellt sich die Frage, ob es eine sinnvolle Strategie ist, die Fortführung des deutschen Engagements mit der Forderung nach schnellen Wahlen und dem Abzug der russischen Kräfte zu verknüpfen, und ob dies unseren langfristigen Sicherheitsinteressen dient. Es darf mit einigem Recht bezweifelt werden, dass eine Regierung, die Geld für russische Söldner ausgibt, statt weiter auf die kostenlose europäische Hilfe zu setzen, durch unsere Forderung beeindruckt werden kann. Überdies profitieren die Machthaber in Mali gerade erheblich von der nationalistischen und antifranzösischen Stimmung im Land und nutzen diese geschickt aus.
Nun wird zunächst zu klären sein, wie es um die Sicherheit der Bundeswehr und der zivilen Kräfte bestellt ist, wenn Frankreich mit dem Abzug beginnt.
Auch das Insistieren auf schnellen Wahlen erscheint nicht zielführend. Viele Menschen unterstützen die Militärregierung, weil sie von den vorher gewählten Regierungen bitter enttäuscht wurden. Wichtiger wäre es deshalb, von der jetzigen Führung eine Roadmap notwendiger Reformschritte einzufordern, die die Lebenssituation im Land verbessern und faire Bedingungen für zukünftige Wahlen schaffen. Am Ende kann eine demokratische Entwicklung nur gelingen, wenn sie in allen Landesteilen und in der Bevölkerung, sowohl unter den verschiedenen ethnischen Gruppen als auch bei den Eliten, Unterstützung findet. Hier hat die gewählte Vorgängerregierung in Bamako, die vom Westen unterstützt wurde, viel Vertrauen verspielt. Das äußert sich heute nicht nur in der Sympathie für die Putschisten, sondern auch in erheblichem Misstrauen gegenüber dem „Westen“. Europa wäre also gut beraten, stärker auf die Bedürfnisse der Bevölkerung zu achten und die Rückkehr zur Demokratie nicht auf die formale Abhaltung von Wahlen zu reduzieren.
Deutschland und seine europäischen Partner müssen langfristiger und strategischer denken und dürfen sich nicht nur reaktiv vom aktuellen Geschehen treiben lassen. Ihre legitimen Sicherheitsinteressen im Sahel – allen voran die Beseitigung von Operationsräumen für den internationalen Terrorismus und die Begrenzung irregulärer Migration – können nur effektiv umgesetzt werden, wenn sich die Region wirtschaftlich und sozial besser entwickelt und demokratische Prozesse aus der Bevölkerung heraus getragen werden. Deutschland sollte sich angesichts der aktuellen Entwicklungen nicht einfach weiter im Fahrwasser der französischen Afrikapolitik bewegen. Es sollte nicht reflexartig die Bundeswehr ebenfalls abziehen und es sollte nach neuen Spielräumen für Verhandlungslösungen in den Konflikten im Sahel suchen.
Deutschland und seine europäischen Partner müssen langfristiger und strategischer denken und dürfen sich nicht nur reaktiv vom aktuellen Geschehen treiben lassen.
Was heißt das für die anstehenden Entscheidungen? MINUSMA sollte – wenn die Sicherheitsfragen für die Bundeswehr lösbar sind – fortgesetzt und das politische Mandat ausgebaut werden. Die Mission hat zwar die Sicherheitslage insgesamt nicht verbessern können, sorgt aber in ihrem direkten Handlungsbereich für größere Sicherheit und den Schutz ziviler Projekte. Das Netzwerk der UN vor Ort hilft vor allem, notwendige politische Prozesse für Aussöhnung, Staatsaufbau und Demokratisierung zu fördern und die Regierung in Bamako in die Verantwortung zu nehmen. Hier liegt die vielleicht wichtigste Aufgabe der nächsten Jahre. Deutschland und die EU müssen ihr ganzes Gewicht einsetzen, um die notwendigen politischen Prozesse zu fördern, die zur Befriedung des Landes und zur sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung notwendig sind. Das schließt auch Verhandlungen mit gesprächsbereiten Teilen dschihadistischer Gruppen ein. Denn viele Menschen schließen sich diesen Gruppen an, weil sie keine gute Alternative haben – nicht weil der Dschihad ihr Lebensziel ist. Sie wollen einen Job, nicht das Kalifat.
Die EUTM ist in Mali bisher weitgehend wirkungslos geblieben – in erster Linie, weil der notwendige politische Wille für eine durchgreifende Reform und eine Verbesserung des Sicherheitssektors gefehlt hat. Ertüchtigungsmissionen ohne den notwendigen politischen Unterbau – wie die EUTM – sollten mit einer sinnvollen Übergangsfrist eingestellt werden. Die Anwesenheit russischer Söldner der Wagner-Gruppe darf kein Argument für unser eigenes Handeln sein. Letzteres muss sich immer aus unseren Interessen und Werten ergeben und nicht aus dem Handeln Dritter.
Deutschland sollte sich angesichts der aktuellen Entwicklungen nicht einfach weiter im Fahrwasser der französischen Afrikapolitik bewegen.
Die EU ist mit dem „Strategischen Kompass“ gerade dabei, ihre Rolle als globale Macht zu definieren. Dabei muss sie auch die essenziellen Sicherheitsfragen, die sich heute in der Sahelregion stellen, im Blick haben. Ein militärisches Vorgehen gegen den harten Kern des IS oder von al-Qaida wird in der Sahelregion vorerst weiter notwendig sein. Frankreich wird deshalb in der Region präsent bleiben, auch wenn es sich jetzt aus Mali zurückzieht. Letztendlich ist der Antiterrorkampf aber eine europäische Aufgabe, die die EU als Ganzes annehmen muss. Ob dies gelingt, ist auch ein Test dafür, wie ernst es die Mitgliedstaaten mit der angestrebten „Weltmachtfähigkeit“ der EU nehmen.
Europa wird für die Sahelregion auf absehbare Zeit der wichtigste Partner in der Entwicklungszusammenarbeit bleiben. Auch dieses Instrument kann noch viel stärker zur Förderung der Zivilgesellschaft und zur Unterstützung notwendiger politischer Prozesse eingesetzt werden. Die EU steht der Situation nicht machtlos gegenüber. Sie hat ausreichend Optionen zu handeln und sollte sie nutzen.