Für eine neue Generation von Frauen in Afrika ist eine Debatte über das Kochen äußerst wichtig geworden. Denn anhand dieses Themas, so behaupten viele der Frauen, ließen sich die Fäden der Unterdrückung entwirren, die in traditionelle Normen eingewoben seien. Die „Geschlechterkriege“ werden derzeit vor allem in den sozialen Medien ausgetragen und machen alle paar Wochen die Runde im öffentlichen Diskurs – dies gilt besonders für Nigeria. Die digitalen Scharmützel sind dabei mehr als nur ein Trend aus strittigen Tweets, Gegenreaktionen und Updates. Stattdessen führen sie vor Augen, wie festgefahren die Geschlechterpolitik in einem Land ist, in dem althergebrachte Vorurteile und Traditionen, religiöse Dogmen und der moderne Staat zusammenarbeiten, um das Patriarchat zu erhalten.
Wie viele Schlachten brechen auch diese, mit der Tastatur geführten Kriege oft spontan aus. Sie können durch etwas Gravierendes wie eine Vergewaltigung ausgelöst werden, oder aber durch Klatsch über das Zerbrechen einer Promi-Ehe – und sogar durch einen lustig gemeinten Tweet wie den von Deborah Adebisi unter ihrem Pseudonym Mummy Zee. Anfang 2024 hatte die Hausfrau per Tweet mitgeteilt, sie werde künftig trotz ihrer Schwangerschaft um 4:50 Uhr morgens aufstehen, um das Mittagessen für ihren Mann vorzubereiten und einzupacken. Der Grund dafür: Er hatte erwähnt, dass eine Kollegin einen zusätzlichen Löffel mit zur Arbeit bringe, damit die beiden deren Mittagessen gemeinsam einnehmen könnten.
Während viele Userinnen und User diese Aktion als selbsterniedrigend kritisierten, lobten andere – meist Männer – Mummy Zee als Sinnbild „wahrer afrikanischer Weiblichkeit“. Sie stehe für eine vorbildliche Frau, die eben bereit sei, alles zu tun, um ihren Haushalt in Schuss zu halten. Diese Zustimmung äußerte sich außerdem in einer Flut von Geldspenden, die Adebisi über Nacht berühmt machten und ihr zu einem gewissen Reichtum verhalfen. Die ersten Spenden lösten eine regelrechte Welle weiterer Unterstützung aus, sowohl von Unternehmen als auch von staatlichen Stellen, die der plötzlich prominenten Twitter-Nutzerin alles Erdenkliche anboten, von Luxuswohnungen über Autos bis hin zu hochwertigen Küchengeräten.
Nigeria weist in Sachen Geschlechterverhältnisse und Unterdrückung der Frauen eine düstere Bilanz auf.
Nigeria weist in Sachen Geschlechterverhältnisse und Unterdrückung der Frauen eine düstere Bilanz auf – wie so viele afrikanische Staaten. Zwar gab es Fortschritte in einigen Bereichen, doch Ungleichheit und Ungleichbehandlung sind nach wie vor weit verbreitet und tief in der Gesellschaft verwurzelt. So sind beispielsweise nur ein Viertel der Parlamentsabgeordneten sowie 15 Prozent der Landbesitzerinnen und Landbesitzer in Afrika weiblich. Junge Frauen haben im Vergleich zu jungen Männern eine 1,5-mal geringere Wahrscheinlichkeit, erwerbstätig zu sein oder eine Berufsausbildung zu absolvieren. Außerdem leiden Frauen immer wieder unter Menschenrechtsverletzungen und haben nur begrenzten Zugang zu Bildung, Gesundheitsfürsorge, Beschäftigung, Entscheidungsprozessen, Führungspositionen und wirtschaftlichen Ressourcen.
Zusätzliche Herausforderungen wie die Corona-Pandemie und der Klimawandel verschärfen diese bestehenden Ungleichheiten. Darüber hinaus ist Gewalt gegen Frauen nach wie vor ein allgegenwärtiges Problem und wird durch diverse soziokulturelle Praktiken fortgeführt. Diese reichen von Kinderehen über Witwenrituale bis hin zur weiblichen Genitalverstümmelung. Mindestens jede dritte afrikanische Frau erfährt so in ihrem Leben mindestens einmal körperliche oder sexualisierte Gewalt.
Auch die Kontroverse um Mummy Zee lässt sich so in die Diskussion patriarchaler Unterdrückung einordnen. „Es ist eigentlich nicht sehr verwunderlich, dass die Debatte gerade um das Thema Kochen herum explodiert. Es geht darum, was gewisse Aspekte des Kochens für patriarchalische oder eben feministische Ideale bedeuten können. Die Auseinandersetzungen laufen letztlich darauf hinaus, was das Kochen als Handlung in Bezug auf die Autonomie und die Machtdynamik innerhalb der Beziehungen bedeutet“, erklärt Mary Peluola, Projektmanagerin beim Women Advocates Research and Documentation Centre.
Im historischen und auch im zeitgenössischen feministischen Diskurs werde der Herd als „Klotz am Bein der Frau“ betrachtet oder als „der Ort, an dem ihre Träume begraben werden“. Für eine neue Generation von Frauen in Afrika, die sich nicht mehr durch die gesellschaftlichen Erwartungen an „die traditionelle Frau“ definieren lassen wollen, so Peluola, sei diese Debatte daher von entscheidender Bedeutung. Mit der Frage nach dem Kochen ließen sich alte Praktiken und Normen infrage stellen und aufbrechen. Dies geht einher mit modernen Bemühungen zur Stärkung der Rolle der Frau, welche oft die Befreiung von der Hausarbeit beinhalten. Für eine wachsende Zahl gebildeter junger Frauen in Nigeria sind die Vorstellungen oder Erwartungen eines potenziellen Partners in Bezug auf Kochen und Hausarbeit ein wichtiges Kriterium für dessen „Kompatibilität“. Diese wachsende Bewegung wirkt für Frauen nicht nur befreiend, sondern sie stellt auch die etablierte gesellschaftliche Ordnung infrage.
Für viele Männer ist es schwierig, mit diesen neuen geschlechtsspezifischen Erwartungen umzugehen.
Für viele Männer, die in einer Weise sozialisiert wurden, dass sie Aufgaben meiden, die als profan oder traditionell weiblich gelten, ist es hingegen schwierig, mit diesen neuen geschlechtsspezifischen Erwartungen umzugehen. Abweichende Standpunkte werden nicht selten als ein Angriff auf ihre Männlichkeit interpretiert. Ein Clash zwischen sich weiterentwickelnden Geschlechteridentitäten und traditionellen Vorstellungen ist daher offenbar unumgänglich.
Die traurige Realität ist jedoch, dass in Afrika viele Frauen in einer Situation irgendwo zwischen Anspruch und Wirklichkeit leben – und deshalb gezwungen sind, täglich Kompromisse einzugehen. Die selbsternannte „Advokatin für soziale Entwicklung“ und Unternehmerin Josephine Adokwu betont in dieser Hinsicht, „dass es ganz allein an uns liegt, was wir für die Liebe tun wollen“. Anstatt sich selbst kasteien zu müssen, habe Mummy Zee mit ihrem Tweet bewiesen, wie sehr sie sich für ihre Beziehung einsetze. Dies sei letztlich ihre persönliche Entscheidung. Die Öffentlichkeit könne und solle hingegen erst dann einschreiten, „wenn die betreffende Frau aufgrund von häuslicher, psychologischer oder physischer Gewalt oder einer angespannten wirtschaftlichen Situation in der Familie zu diesen Dingen gezwungen oder genötigt wird“.
Doch eine solche „angespannte wirtschaftliche Situation“ (oder besser gesagt: bittere Not) scheint bei Mummy Zee durchaus eine Rolle gespielt zu haben: Zwei Monate vor ihrem folgenreichen Tweet hatte die arbeitslose Geophysik-Absolventin bereits getwittert, sie wünsche sich einen Kühlschrank, da ihre Mahlzeiten wegen der Hitze (auch nachts) so schnell verderben würden. Auf den Bildern von ihrer Wohnung war nur spärliche Möblierung zu sehen – ein Indiz für das geringe Einkommen der Familie. Ihr Mann, ein Grundschullehrer, gehört zu der Schicht der nigerianischen Arbeiterinnen und Arbeiter, die auf der untersten Stufe der ohnehin erbärmlichen Lohnskala des Landes steht: Ihr Durchschnittsgehalt liegt bei gerade einmal 17 Euro im Monat. Darüber hinaus leben beide in Lagos, einer Metropole mit über 22 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern, deren notorisches Verkehrschaos zur Folge hat, dass Arbeiterinnen und Arbeiter sich oft schon um 6 Uhr morgens auf den Weg machen müssen, um pünktlich um 8 Uhr auf der Arbeit zu erscheinen. So können viele nicht einmal frühstücken. Wenn sie zudem wenig Geld haben, müssen sie sich oftmals damit abfinden, den ganzen Tag über hungrig zu sein. Wenn Mummy Zee sich einen Kühlschrank leisten könnte, kommentierten daher mehrere Kolumnistinnen und Kolumnisten, wäre es gar nicht nötig, um 4:50 Uhr aufzustehen und zu kochen. Ihrer Ansicht nach ist dies ein wichtiges Detail, das diejenigen Feministinnen und Feministen, die Mummy Zee so hart angingen, schlicht übersehen haben.
Laut Adokwu hat die Kontroverse um die werdende Mutter auf ein grundlegendes Problem aufmerksam gemacht: „Der Feminismus leidet unter der falschen Darstellung durch Einzelpersonen, insbesondere durch einige selbstsüchtige Frauen, die sich fälschlicherweise als Feministinnen ausgeben und die wahren Kämpfe echter Feministinnen verzerren und trivialisieren.“ Dadurch entstehe „eine Karikatur, eine Parodie der feministischen Bewegung“. Der Feminismus sei im Gegensatz dazu vielmehr eine gesellschaftspolitische Idee und Bewegung, die darauf abziele, systemische Ungleichheiten und Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu bekämpfen und zu beseitigen. Im Kern geht der Feminismus von der Prämisse aus, dass gesellschaftliche Strukturen und Normen häufig Männer gegenüber Frauen bevorzugen, was zur Marginalisierung und Unterdrückung von Frauen in unterschiedlichen Lebensbereichen führt. In diesem Zusammenhang befasst sich der Feminismus mit der gesellschaftlichen Entwicklung der „Rollen“, die den Geschlechtern zugeschrieben werden, und mit der damit verknüpften, vermeintlichen Überlegenheit des einen Geschlechts – des männlichen – über das andere – das weibliche.
Heute bezeichnen sich viele junge Frauen in Nigeria wieder als Feministinnen.
Insgesamt sind Fortschritte bei der Verwirklichung feministischer Ziele in Afrika jedoch lange erheblich behindert worden; das Wachstum eines feministischen Bewusstseins seit der Kolonialzeit ist dennoch bemerkenswert. In Nigeria war „Feminismus“ nach einer Phase des Aufschwungs zu Beginn der Unabhängigkeit mit der Zeit zu einem Schimpfwort verkommen. Doch heute bezeichnen sich viele junge Frauen wieder als Feministinnen, deutlich mehr als noch vor ein oder zwei Generationen.
„Es gibt nicht den einen Feminismus, es gibt viele Strömungen“, erinnert der Politologe Jaye Gaskia. Ihm zufolge gibt es drei Hauptströmungen, die im Zusammenhang mit Wellen intensiver Massenorganisation und -mobilisierung rund um die Lebensbedingungen von Frauen entstanden sind. Diese fielen entsprechend zusammen mit „dem Kampf um politische Repräsentation und das Wahlrecht – dem liberalen Feminismus der ersten Welle –; dem Kampf für sozioökonomische Gerechtigkeit, für das Recht der Frauen auf Arbeit sowie für gleichen Lohn für gleiche Arbeit – dem sozialistischen bzw. marxistischen Feminismus der zweiten Welle –; und der aktuellen dritten Welle des Feminismus, der die primäre Trennlinie in der Gesellschaft zwischen Männern und Frauen sieht“. Letzteren Feminismus bezeichnet er als „radikalen Feminismus“. Gaskia stellt weiter fest, dass zwar all diese Strömungen des Feminismus weltweit koexistieren würden, dass jedoch viele Feministinnen in Nigeria in erster Linie vom Feminismus der dritten Welle geprägt seien.
Diese Welle zeichne sich dadurch aus, dass sie die strukturellen Ursachen der Frauenunterdrückung in der Gesellschaft verkenne. So gebe es zum Beispiel immer wieder Debatten über das Kochen, wobei Frauen aus der Oberschicht dieses Thema aber leicht und mit relativ geringem Aufwand bewältigen können, indem sie sich ein Gefolge von Angestellten zulegen oder sich für einen Restaurantbesuch entscheiden. Dies trifft natürlich auf arme Frauen oder Frauen aus der Arbeiterklasse nicht zu. Diese müssen stattdessen mit Armut kämpfen und die Anforderungen des täglichen Lebens weniger sicher und durch ein komplexes Labyrinth aus Kompromissen und Anpassungen hindurch bewältigen. Daher sollte eine feministische Betrachtungsweise die Ursachen für die Unterdrückung der Frauen in den materiellen Bedingungen der Gesamtgesellschaft verorten. Die Gesellschaft schafft und formt die Dynamik der Geschlechterbeziehungen. Es ist somit die Gesellschaft als Ganze, die einen radikalen Wandel erfahren muss, wenn diese Beziehungen jemals verändert werden sollen.
Mummy Zees Entscheidungen und Handlungen können demnach weder mit herausragender Anmut noch mit Schande oder Scham erklärt werden. Die Entscheidungen wurden ihr von der eigenen materiellen Armut diktiert – und wurden nicht aus ihrem freien Willen heraus getroffen. Gleichzeitig ist es kein besonders hoher Verdienst (wie uns die männlichen Chauvinisten glauben machen wollen), dass eine schwangere Frau um 4:50 Uhr morgens aufsteht, um zu kochen, wenn es doch andere, deutlich weniger belastende Möglichkeiten gibt. Ebenso ist aber auch die harsche Kritik einiger Feministinnen keine angemessene Reaktion. Schließlich hat Mummy Zee die für sie einzig naheliegende Wahl getroffen: eine Wahl, die ihr aufgrund ihrer Lebensumstände angemessen und praktikabel erschien.
Wie Mummy Zee sind Millionen Frauen tagtäglich gezwungen, entsprechende Entscheidungen zu treffen – obwohl diese für sie einschränkend und sogar selbstabwertend sind. Aber: Diese Frauen würden andere Entscheidungen treffen, wenn die grundlegenden Lebensumstände andere wären.
Heute muss Mummy Zee allerdings nicht mehr vor dem Morgengrauen aufwachen, um ihren Mann zu verpflegen, denn sie besitzt inzwischen einen Kühlschrank und eine Mikrowelle. So kann sie länger schlafen und ihre Ruhezeiten selbst bestimmen. Diese neu gewonnene Freiheit – freilich gepaart mit ihrem neuen Status als Influencerin und dem daraus resultierenden Einkommen – hat ihren Lebensstil erheblich verbessert. Sie kann sich echte Annehmlichkeiten gönnen, beispielsweise regelmäßiges Mittagessen zum Mitnehmen, sogar Restaurantbesuche und Urlaube. Das stellt eine materielle Aufwertung dar und eine Art von Leben, das alle Frauen genießen können sollten.
Aus dem Englischen von Tim Steins