Der kongolesische Verteidigungsminister Jean Pierre Bemba gibt sich kämpferisch: Alles werde getan, um zu verhindern, dass die Provinzhauptstadt Goma in die Hände der Rebellengruppe „Bewegung 23. März“ (M23) falle. Doch die militärische Schlagkraft der – nach Meinung einer Expertengruppe der Vereinten Nationen – von Ruanda unterstützten M23 ist nicht zu unterschätzen. Bereits 2012 war es ihr gelungen, Goma einzunehmen. Damals begründeten sie ihre Rebellion mit der Nichteinhaltung von Versprechen aus einem Friedensabkommen vom 23. März 2009. Eine Integration der Rebellengruppe, die vornehmlich Interessen der Tutsi-Minderheit vertrat, war nicht gelungen. In Zusammenarbeit mit der UN-Friedensmission MONUSCO gelang es damals jedoch schnell, die Stadt zu befreien und die Rebellion ins Exil zu zwingen.

Als M23 zehn Jahre später, im März 2022, erneut die Grenze im Dreiländereck Uganda, Ruanda und Demokratische Republik Kongo überschritt, um große Teile der Territorien Rutshuru und Masisi in der kongolesischen Provinz Nordkivu zu besetzen, räumte UN-Generalsekretär Antonio Guterres ein, dass die im Kongo stationierte Blauhelmmission MONUSCO nicht hinlänglich ausgerüstet sei, um sich dem Einmarsch entgegenzustellen.

Das kongolesische Parlament hat als Reaktion auf den anhaltenden Konflikt in der Provinz Nordkivu das Kriegsrecht verhängt. Seit mehr als einem Jahr ist der Gouverneur nun durch einen militärischen Befehlshaber ersetzt. Bedenklich in dieser Situation ist, dass der Friedenseinsatz der MONUSCO wegen Ineffizienz und auf Wunsch der kongolesischen Regierung sukzessive bis Ende 2024 beendet werden soll. Zuvor war es verstärkt zu gewaltsamen Übergriffen der Bevölkerung gegen die UN-Soldaten gekommen. Den Blauhelmen war es in über 20 Jahren nicht gelungen, den schwelenden Konflikt unter Kontrolle zu bringen und die Zivilbevölkerung gegen unzählige im Land aktive ausländische und lokale Milizen zu schützen.

Die Geschichte des Konflikts im Osten der Demokratischen Republik Kongo ist lang. Auslöser des Einsatzes der Blauhelme war 1999 der zweite Kongokrieg gewesen: Uganda und Ruanda kämpften damals auf kongolesischem Boden gegen Rebellengruppen aus den Nachbarländern und das kongolesische Heer. Die Bevölkerung versuchte sich durch die Formierung von MaiMai-Milizen zu schützen. Ferner rivalisierten ausländische und inländische Truppen um die Kontrolle der großen Rohstoffvorkommen in der Region. Dieser Zusammenhang war später die Grundlage für Überlegungen über Sorgfaltspflichten in Lieferketten, um der Alimentierung des Konflikts durch illegalen Handel mit Gold und anderen Mineralien ein Ende zu setzen. Die Präsenz von MONUSCO ermöglichte es humanitären Akteuren, die katastrophalen Lebensbedingungen unzähliger durch den Konflikt vertriebener Binnenflüchtlinge punktuell zu verbessern.

Eine Lösung am Verhandlungstisch zu erreichen, scheint derzeit illusorisch.

Im vergangenen Dezember konnte auf Drängen der USA ein Waffenstillstand mit der M23 ausgehandelt werden, der jedoch nur zehn Tage hielt. Friedensverhandlungen wurden zuvor von der East African Community (EAC) sowie der Konferenz der Großen Seen (ICGLR) angestrebt. Die EAC entsandte im vergangenen Jahr Truppen, die jedoch nach wenigen Monaten unverrichteter Dinge wieder abgezogen wurden. Kurz vor Weihnachten brach erneut eine regionale Militärmission (SAMIDRC) auf, diesmal unter der Führung der Southern African Development Community (SADC). Ungewiss ist, ob die Soldaten aus Tansania, Malawi und Südafrika mit einem robusteren Mandat das Ruder herumreißen können.

Die kongolesische Armee FARDC hatte zuletzt Kampfdrohnen in der Region stationiert, ist aber grundsätzlich unterfinanziert, schlecht ausgerüstet und fiel in der Vergangenheit selbst immer wieder wegen Übergriffen gegen die Zivilbevölkerung auf. Der stellvertretende Generalsekretär für Friedensmissionen der UN, Jean Pierre Lacroix, signalisierte nun Bereitschaft, die SAMIDRC zu unterstützen, merkte aber an, dass der Sicherheitsrat hierfür das Mandat anpassen müsse. Mit der Operation Springbok war bereits im letzten Jahr die Kooperation mit der kongolesischen Armee intensiviert worden, um Goma vor den Rebellen zu schützen.

Ähnlich der Tradition der MaiMai-Bewegungen haben sich vielerorts erneut lokale Milizen gebildet, die sogenannten Wazalendos („Patrioten“), welche sich dem Vormarsch der M23 entgegenstellen. Der Einsatz dieser unkontrollierten Einheiten birgt jedoch Risiken in sich, da sie auch partikularen Interessen dienen. Ebenfalls wird von rumänischen Söldnertruppen in der Region berichtet, die von der kongolesischen Regierung vor allem zur Bewachung des Flughafens in Goma eingesetzt werden.

Eine Lösung am Verhandlungstisch zu erreichen, scheint derzeit illusorisch. Der Ende 2023 mit überragender Mehrheit wiedergewählte Präsident Felix Tshisekedi hat immer wieder unterstrichen, dass Gespräche mit der M23 kategorisch abgelehnt würden und eine Kriegserklärung an Ruanda nicht auszuschließen sei. Ruanda wiederum argumentiert, dass die kongolesischen FARDC mit der paramilitärischen Kampforganisation Interhamwe kooperiere, die während der Operation Turquoise im Anschluss an den ruandischen Genozid 1994 in den Kongo flüchtete und dort die Rebellengruppe Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas (FDLR) gründete. Die M23 wird als kongolesische Tutsi-Gruppe gesehen, die Einmischung der ruandischen Armee wird beharrlich abgestritten.

Das Bewusstsein, dass internationale Friedensmissionen keine Lösung für den anhaltenden Konflikt bringen, verhärtet sich.

Es geht eine Woge des Patriotismus durch das Land. Das Bewusstsein, dass internationale Friedensmissionen keine Lösung für den anhaltenden Konflikt bringen, verhärtet sich. Immer wieder wird die Souveränität beschworen: Das kongolesische Volk müsse sein Schicksal selbst in die Hand nehmen. Beim Viertelfinale des Afrika-Cups machten die kongolesischen Fußballspieler durch eine Geste vor dem Anpfiff auf die dramatische Lage im Osten Kongos aufmerksam. Da nach Meinung der Bevölkerung die kongolesischen Fans sowie ihre Plakate und Transparente bei der Übertragung des Viertelfinales gezielt ausgeblendet wurden, gab es Ausschreitungen gegen Vertragshändler des Senders Canal+ in Kinshasa. Auch versammelten sich am Wochenende erneut Demonstranten vor den westlichen Botschaften. Es brannten Autos und Reifen.

Die EU hatte bereits im letzten August Sanktionen sowohl gegen kongolesische als auch gegen ruandische Akteure aufgrund von schweren Verstößen gegen die Menschenrechte ausgesprochen. Auch die USA mahnen immer wieder ein Einstellen der Kampfhandlungen an. Die kongolesische Seite sieht in der westlichen Haltung jedoch weiterhin einen Widerspruch, da die engen Beziehungen zu Ruanda durch die Involvierung in den Konflikt nicht beeinträchtigt werden.

In den vergangenen Tagen kam es erneut zu Kämpfen nahe der Stadt Sake, die nur einige Kilometer von Goma entfernt ist. Da auch zwei Bomben in Goma detonierten, wurde das für kommende Woche vorgesehene renommierte „Festival Amani“ kurzfristig abgesagt.

Humanitäre Organisationen beklagen die prekären Bedingungen in den Flüchtlingscamps.

Die Zahl der Binnenflüchtlinge ist laut UN mittlerweile landesweit auf insgesamt 6,29 Millionen angestiegen. Die jüngsten Auseinandersetzungen trieben zusätzliche 135 000 Menschen nach Goma. Humanitäre Organisationen, die seit Jahrzehnten versuchen, das Leid in den umkämpften Gebieten zu lindern, beklagen die prekären Bedingungen in den Flüchtlingscamps. Die Ernährungssituation und die hygienischen Verhältnisse, denen die Vertriebenen ausgesetzt sind, seien alarmierend.

Neben anhaltendem Druck auf die Konfliktparteien, die Kampfhandlungen einzustellen und den Dialog wieder aufzunehmen, sollte die internationale Gemeinschaft in Kooperation mit der Demokratischen Republik Kongo eine Lösung finden, wie die zahlreichen Rebellenbewegungen entwaffnet und in ein ziviles Leben integriert werden können. Damit dies gelingt, gilt es, die Bevölkerung partizipativ einzubinden, da in der Vergangenheit erprobte Ansätze wenig Erfolg zeigten. Das aktuelle Demobilisierungsprogramm PDDRCS versucht dem Rechnung zu tragen, verfügt aber nicht über die notwendigen Mittel und wird daher nur langsam und nicht flächendeckend umgesetzt.

Die Herstellung rechtsstaatlicher Autorität stellt in den häufig sehr entlegenen Gebieten eine Herausforderung dar, ist aber die Grundlage für einen nachhaltigen Schutz der Zivilbevölkerung. Andernfalls riskiert man mit dem Abzug der MONUSCO auch die Einstellung humanitärer Hilfe und die Durchführung von Entwicklungsprojekten, da die Blauhelmmission neben militärischen Schutzkonvois und Patrouillen auch logistische Kapazitäten bereitstellt. Ob diese Aufgaben bereits im kommenden Jahr durch die kongolesische Polizei und Armee erfüllt werden können, ist fraglich. Daher sollte ein geordneter Übergang eventuell auch über 2024 hinaus angestrebt werden. Der Einsatz von regionalen Friedenstruppen hierfür müsste sich unter den aktuellen Umständen erst noch bewähren. Die Entsendung von 2 900 südafrikanischen Soldaten durch die SADC ist hier ein erster Schritt.