Knapp vier Wochen nachdem das Militär im Sudan geputscht hat, ist der abgesetzte Premier Abdallah Hamdok wieder im Amt. Das Abkommen, das Hamdok am 21. November mit dem Militär unterzeichnet hat, sieht vor, dass er einem Kabinett vorstehen wird, das er – eigenen Angaben nach – selbst zusammenstellen kann. Auch Wahlen sind nun wieder auf dem Tisch und sollen vor Juli 2023 stattfinden.
Das sind positive Errungenschaften, die auf zähe interne Verhandlungen und sicher auch auf immensen internationalen Druck nach dem Putsch vom 25. Oktober zurückzuführen sind. Aber der Putsch ist letztlich nicht gescheitert. Seine Anführer bleiben unangetastet. Gerichtlich werden sie nicht verfolgt. Im Gegenteil. Das Militär hat schon vor knapp zwei Wochen den Souveränen Rat, der im Sudan an der Spitze des Staates steht, nach eigenem Gutdünken umgebaut und die ihm lästigen streitbaren Zivilisten aus politischen Parteien und Zivilgesellschaft ausgetauscht. Damit ist die nach der Revolution von 2019 vereinbarte Machtteilung zwischen bewaffneten Kräften und Zivilgesellschaft dahin. Im Kabinett, das Hamdok nun zusammenstellen soll, werden Politik und Zivilgesellschaft nicht vertreten sein. Es soll ein Technokratenkabinett werden.
Die nach der Revolution von 2019 vereinbarte Machtteilung zwischen bewaffneten Kräften und Zivilgesellschaft im Souveränen Rat ist dahin.
Insgesamt hat es der Putsch geschafft, die politischen Gräben im Land noch zu vertiefen und das Regieren zu erschweren. Internationale Mediatoren hatten für eine Rückkehr zur 2019 vereinbarten zivil-militärischen Machtteilung geworben. Hamdoks Rückkehr wurde somit von den UN und anderen Akteuren grundsätzlich positiv aufgenommen. Es ist ohne Zweifel eine pragmatische Lösung, ein erster Schritt. Das Abkommen bricht eine Blockade, die das Militär bereits genutzt hat, um den Staat um- und zurückzubauen. Und es bringt zivile Stimmen zurück in die politische Entscheidungsfindung. Es rettet für das Land vermutlich auch dringend benötigte internationale Zuwendungen.
Aber in der sudanesischen Bevölkerung enttäuscht das Abkommen viele von denen, die Hamdok zuvor unterstützt oder zumindest respektiert hatten, bitter. Darunter sind einflussreiche zivilgesellschaftliche Gruppen wie Gewerkschaften und Berufsgenossenschaften, aber auch politische Parteien und vor allem „die Straße“: die in den mächtigen Widerstands- und Nachbarschaftskomitees organisierten jungen Sudanesen, die die meisten Demonstrationen organisieren. In ihren Augen legitimiert Hamdok den Putsch und verrät die Revolution. Sie haben geharnischte Stellungnahmen veröffentlicht, in denen sie das Abkommen ablehnen. Sollte diese breite zivilgesellschaftliche Front auf ihrer Ablehnung des neuen Regierungskonstrukts beharren, wäre das neue Kabinett deutlich geschwächt.
Eine Woche nach der militärischen Machtübernahme hätte der Deal möglicherweise noch funktioniert. Aber seitdem gab es Massendemonstrationen, bei denen Sicherheitskräfte mit Gummigeschossen, scharfer Munition und Tränengas auf Zivilisten schossen. Mindestens 41 Menschen starben, mehrere Hundert wurden verletzt. Es gab Razzien, Festnahmen und Wochen ohne Internet. Gewerkschaften und Berufsgenossenschaften wie die Sudanese Professionals Association (SPA), die zentrale Akteure der Revolution waren, wurden verboten. Sicherheitskräfte nahmen in vielen Teilen des Landes Dutzende Mitglieder von Widerstandskomitees und SPA fest. Die Vorstände von staatlichen Firmen wurden ausgetauscht, Gouverneure entlassen, Journalisten festgenommen. Manche Demonstranten hatten Striemen auf Rücken und Beinen als sie aus dem Gefängnis kamen.
Der Putsch hat es geschafft, die politischen Gräben im Land noch zu vertiefen und das Regieren zu erschweren.
Dieses Vorgehen hat die Stimmen jener verstärkt, die nach einer rein zivilen Regierung rufen und sich mit einer Machtteilung mit dem Militär nicht mehr abfinden wollen. Auf der Straße ist diese Forderung nun Konsens. Zeitgleich mit der Unterzeichnung des Abkommens gab es am Sonntag wieder Massendemonstrationen. Viele, die sich versammelten, riefen nach Gerechtigkeit für die Opfer des Putsches. Sie beklagten, dass das Abkommen nicht mehr bringe als eine Rückkehr zu einem System, das bereits einmal gescheitert sei.
Ein wenig Gutes hatte der Putsch dennoch. Die zivile Seite hat nicht nachgegeben. Trotz der Toten, trotz der Internet-Blockade, Razzien und Festnahmen sind die Menschen weiter auf die Straße gegangen. Sie haben sich den Schneid nicht abkaufen lassen und sich der Kraft versichert, die sie aus der Revolution mitgebracht haben. Es wird in Zukunft schwerer sein, diesem wiedergeborenen Bewusstsein der Stärke und dem Verlangen nach Wandel etwas entgegenzusetzen – vor allem, wenn sich die jungen Akteure aus den Widerstandskomitees professionalisieren und politisches Bewusstsein und Programme jenseits des reinen Widerstandsgedankens entwickeln. Die zivile Seite hat auch den Avancen nicht nachgegeben, mit denen das Militär versucht hat, eine Technokratenregierung von eigenen Gnaden zusammenzustellen. Bei Anfragen für Ministerämter und vor allem den Posten des Premierministers unter geeigneten Zivilisten hatte sich das Militär eine Absage nach der nächsten eingefangen. Ohne diese Blockade wäre auch der politische Kompromiss vom Sonntag nicht möglich gewesen.
Das Vorgehen des Militärs hat die Stimmen jener verstärkt, die nach einer rein zivilen Regierung rufen und sich mit einer Machtteilung mit dem Militär nicht mehr abfinden wollen.
Der Putsch hat auch die Sollbruchstellen in der zivil-militärischen Zusammenarbeit offengelegt. Wenn der Sudan nicht binnen Monaten wieder in derselben Bredouille landen will, müssen sie angegangen werden – auch mithilfe der internationalen Gemeinschaft.
Erstens wurde deutlich, wie groß der Widerstand im Militär gegen einen möglichen Machtverlust ist. Ein Trigger des Putsches war wohl die nahende Übergabe des Vorsitzes im Souveränen Rat von der militärischen an die zivile Seite. Gleichzeitig riefen zivile Teile der Regierung und andere Gruppen nach einer Reform des Sicherheitssektors, die das Militär und bewaffnete Gruppen Ressourcen und Einfluss kosten würde. Hinzu kamen Bemühungen, die mächtigen militäreigenen Firmen zu mehr Transparenz zu bewegen, sowie die sich ausweitende Diskussion darüber, das Militär und andere bewaffnete Kräfte für vergangene Gräueltaten zur Rechenschaft zu ziehen. Zumindest der Versuch, das Militär einzubeziehen in einen gesellschaftspolitischen Versöhnungsprozess zur Aufarbeitung der gewaltsamen Vergangenheit (transitional justice) kann nun nicht mehr aufgeschoben werden. Bisher hat sich die internationale Gemeinschaft auch wenig für die dringend notwendige Sicherheitssektorreform im Sudan interessiert. Das muss sich ändern.
Zweitens hatte sich der Umgangston in der zivil-militärischen Regierung radikalisiert. Einer der jüngsten Anlässe war ein Putschversuch von Gruppen innerhalb des Militärs Ende September, der letztlich vom Militär selbst niedergeschlagen wurde. Rede und Gegenrede, Vorwürfe und Forderungen zwischen Zivilisten und Militärs schaukelten sich über Tage hoch bis sie die vermittelnden Stimmen übertönten, die für eine Rückbesinnung auf die vereinbarte Machtteilung warben. Die Emotionalisierung der sudanesischen Politik ist nicht zu unterschätzen. Verbitterung, verletzte Gefühle und persönliche Fehden spielen eine Rolle. In einigen Reden hat Militärchef Burhan sinngemäß gesagt: Man habe das Militär zur Seite drängen wollen. Man habe es verhöhnt und provoziert. Für jedwede Zusammenarbeit in der Zukunft muss viel Misstrauen abgebaut und eine gemeinsame Sprache gefunden werden für Parteien, die unterschiedlicher nicht sein könnten.
Es wird in Zukunft schwerer sein, dem wiedergeborenen Bewusstsein der Stärke und dem Verlangen nach Wandel der Zivilgesellschaft etwas entgegenzusetzen.
Drittens hatte sich die schwere Wirtschaftskrise noch weiter verschärft. Harte, teils von der internationalen Gemeinschaft diktierte Reformen wie die Streichung vieler Subventionen hatten den Menschen nicht die ersehnte Erleichterung, sondern weitere Belastung gebracht. Das bot dem Militär eine Steilvorlage für ihr Argument, dass die zivile Seite nicht imstande sei, die wirtschaftlichen und sozialen Probleme im Land zu lösen.
Die Rückkehr zur zivil-militärischen Machtteilung ist nur an der Oberfläche die Lösung einer politischen Krise. Sie birgt das Potenzial für weitere Konflikte. Welche, das hängt von einer ganzen Serie von Fragestellungen ab: Kann Hamdok die Straße und die fragmentierte Zivilgesellschaft für den politischen Kompromiss gewinnen? Die jungen Widerstandskomitees haben bereits weitere Demonstrationen angekündigt. Wird das Militär sie nun marschieren lassen, ohne Tränengas und Schüsse? Wer wird im neuen Kabinett sitzen? Wird es sich gegenüber dem militär-dominierten Souveränen Rat emanzipieren können? Wird Hamdok zurücknehmen können, was das Militär in den vergangenen Wochen angeordnet hat, beispielsweise das Verbot der Gewerkschaften?
Der Druck aus der internationalen Gemeinschaft darf nun nicht nachlassen. Sie hat durch ihr großes finanzielles und entwicklungspolitisches Engagement im Sudan seit der Revolution so viel Hebelwirkung wie noch nie. Zuwendungen müssen weiter abhängig gemacht werden von Reformen und Fortschritten bei der Demokratisierung des Staates.