In wenigen Tagen wird in Kenia gewählt. Es wird ein Super-Wahltag mit insgesamt sechs Abstimmungen, darunter die Präsidentschafts- und die Parlamentswahl. Je näher der große Tag kommt, desto mehr steigt die Angst vor schweren Ausschreitungen mit etlichen Toten. Die Sorge geht auf Erfahrung zurück: Nach der vorletzten Präsidentschaftswahl kam es 2008 aufgrund eines umstrittenen Ergebnisses zu massiven, ethnisch geprägten Unruhen. Mehr als 1000 Menschen wurden getötet, hunderttausende vertrieben. Auch diesmal wird wieder entlang ethnischer Linien gewählt werden. Bei der Präsidentschaftswahl sind die aussichtsreichsten Kandidaten alte Bekannte und kommen aus verschiedenen ethnischen Lagern: Staatspräsident Uhuru Kenyatta ist Kikuyu, Oppositionsführer Raila Odinga Luo. Schon seit Wochen werfen sich die beiden Lager gegenseitig vor, die Wahlen manipulieren zu wollen. Und obwohl Kenia das wirtschaftliche Zugpferd Ostafrikas ist und Nairobi eine moderne Metropole mit geschätzten dreieinhalb Millionen Bewohnern, schließen sich die ethnischen Reihen, je näher der Wahltag rückt.

Das klingt deprimierend, ist aber trotzdem nicht hoffnungslos. Denn immer mehr junge Kenianer sind der alten Politikmuster müde. Sie leben in einer globalen Welt und fühlen sich durch ihre Ethnie nicht mehr umfassend vertreten. Das gilt gleichermaßen für junge Menschen in vielen afrikanischen Ländern. In Kenia ist der politische Aktivist Boniface Mwangi ein gutes Beispiel dafür. Der 34-Jährige tritt bei dieser Parlamentswahl als unabhängiger Kandidat an. Das Geld für seine Kampagne hat er über „Crowd Funding“ und die Mobilisierung in sozialen Medien gesammelt, er griff also nicht auf die etablierten Kikuyu-Strukturen zurück. Er wird den Sitz in seinem Wahlkreis vermutlich nicht gewinnen, aber seine Kandidatur ist ein wichtiges Zeichen: Sie zeigt, dass selbst die (teure) Bühne der offiziellen Politik eines Tages von integren Repräsentanten einer neuen Generation erobert werden kann.

Nicht nur in Kenia gibt es deutliche Zeichen dafür, dass junge afrikanische Bürgerinnen und Bürger nicht mehr bereit sind, die desolaten politischen Verhältnisse in ihren Ländern kampflos hinzunehmen. Ein anderer Ausdruck dieser Bewegung ist die Initiative „Africans Rising“, gegründet im Sommer 2016. Deren Mitglieder nutzen – ebenso wie Boniface Mwangi – das Internet, um ihre Botschaften zu verbreiten. Auch das offizielle Musikvideo der Initiative ist im Netz frei zugänglich. Die Filmsequenzen führen mitten hinein ins städtische Afrika, mit seinen Armutsquartieren und seinen jungen, durchweg gut gekleideten und selbstbewussten Menschen. „Die ganze Welt guckt auf uns“, heißt es im Text, „sie wissen, dass hier das Geld der Zukunft liegt. Sie brauchen es, wir haben es – lasst die Welt kommen und diesen wunderbaren Kontinent kennenlernen“.

Die Initiative rief den 25. Mai 2017 zum panafrikanischen Aktionstag aus, mit politischen Kampagnen in vielen afrikanischen Ländern. Das ganze Jahr über twittern junge Afrikanerinnen und Afrikaner ihre Gedanken, Visionen und Forderungen. Unter Hashtags wie #AfricansRising, #AfricaWeWant oder #EndInequality heißt es zum Beispiel: „Wir sind es leid, zum Schweigen gebracht, unterdrückt und isoliert zu werden.“ Oder: „Wir haben ein Recht auf Frieden, gesellschaftliche Teilhabe und einen Anteil am Reichtum.“

Das Schlagwort vom Aufstieg Afrikas, „Africa rising“, wurde 2011 von der britischen Tageszeitung „The Economist“ populär gemacht und bezog sich auf das wirtschaftliche Wachstum. Beratungsfirmen wie die US-amerikanische Firma Deloitte zogen nach, schwärmten vom angeblich „unaufhaltsamen Aufstieg der afrikanischen Mittelklasse“. Tatsächlich wuchs das Bruttosozialprodukt vieler afrikanischer Länder in den vergangenen Jahren stark, in zum Teil zweistelligen Raten. Gleichzeitig sanken Millionen von Afrikanern tiefer in Armut. Die alten Regierungen behalten der Bevölkerungsmehrheit den neuen Reichtum vor. Die Initiatoren von „Africans Rising“ greifen das Schlagwort von Afrikas Aufstieg auf, deuten es um und ergänzen: „Africans Rising for Justice, Peace and Dignity“ lautet der vollständige Name, „Afrikaner begehren auf für Gerechtigkeit, Frieden und Würde“.

Auch die Bewegung LUCHA („Kampf für die Veränderung“) in der Demokratischen Republik Kongo begehrt auf, zunächst als eher informelle Bewegung junger Akademiker. Die Kampagne für sauberes Wasser in der ostkongolesischen Metropole Goma war 2012 eine ihrer ersten Aktionen. Goma hat mehr als eine Million Einwohner, ist Hauptstadt der rohstoffreichen Provinz Nord Kivu im insgesamt sehr rohstoffreichen Kongo und liegt an dem großen Kivu-See. Trotzdem hat selbst hier nur die ganz reiche Oberschicht fließendes Wasser. Alle anderen müssen Wasser für viel Geld aus Tankwagen kaufen, von Wasserhändlern beziehen, oder sie müssen es selbst in Kanistern nach Hause schleppen, die sie am Kivu-See gefüllt haben. Landeinwärts haben noch viel weniger Menschen Zugang zu halbwegs sauberem Trinkwasser.

Seit der Gründung der Bewegung vor rund fünf Jahren fordert LUCHA außerdem befahrbare Straßen, die von der Verfassung garantierte unentgeltliche Grundschulbildung und andere soziale Rechte. Auch Arbeit und Perspektiven für die Bevölkerung: Selbst gut ausgebildete junge Menschen finden keine richtigen Stellen, die meisten wursteln sich irgendwie mit Kreativität und wenig Geld durch. Seit dem vergangenen Jahr steht der Widerstand gegen Präsident Joseph Kabilas verfassungswidrig verlängerte Amtszeit im Vordergrund. Sein letztes Mandat lief im Dezember 2016 aus, spätestens Ende November 2016 hätte gewählt werden müssen. Schon frühzeitig war klar, dass die Regierung die Wahlen verschieben würde. Seitdem eskaliert die Gewalt.

Die jungen Aktivistinnen und Aktivisten geben ihren friedlichen Widerstand nicht auf, obwohl die Regierung mit harter Hand zurückschlägt. Unter teils absurden Anklagen werden Demonstrantinnen und Demonstranten monatelang in Haft gehalten, in Gefängnissen, in denen eine Pritsche in den überfüllten Zellen nur bekommt, wer die Wärter schmiert. Mit ihrem Widerstand setzen die jungen Kongolesinnen und Kongolesen von LUCHA nicht nur ihre Gesundheit und ihr Leben aufs Spiel, sondern auch ihre berufliche Zukunft. Viele von ihnen studieren noch, bekommen nach teils monatelangen Gefängnisaufenthalten zum Teil Schwierigkeiten mit ihren Universitäten. Wer schon arbeitet, verliert Jobs oder Aufträge. Trotzdem geben die LUCHA-Mitglieder nicht auf. Ihr Argument: Sie seien als Bürger dafür verantwortlich dafür, dass sich die Verhältnisse in ihrer Heimat änderten. Sie sehen sich in einer Reihe mit den Vorkämpfern der afrikanischen Unabhängigkeit, den charismatischen ersten Staatsgründern. Es gebe aber deutliche Unterschiede zwischen dieser ersten Generation und den heutigen Aktivisten: Die neue Bewegung sei unbedingt gewaltfrei. Sie strebe keine politischen Posten an, keine Beteiligung an der Regierung. Stattdessen wollen LUCHA und die anderen Aktivisten in vollem Sinne Bürger sein: Sie fordern ihre Rechte ein, wollen die Regierenden kontrollieren – und im Gegenzug ihre Pflichten als Bürger erfüllen.

Es gibt weitere Beispiele. „Y’en a marre“ im Senegel, zu Deutsch: „Es reicht!“. Im Senegal schlossen sich Rapper und Journalisten schon im Januar 2011 zusammen. Sie forderten als erstes eine verlässliche Stromversorgung, kämpften also ähnlich wie LUCHA zunächst für soziale Ziele. Wie im Kongo kam dann der Kampf gegen eine verfassungswidrige dritte Amtszeit dazu – im Senegal versuchte damals der greise Präsident Abdoulaye Wade, sich an der Macht zu halten. „Y’en a marre“ demonstrierte und rief die Bürger dazu auf, sich für die Wahl registrieren zu lassen, ihre Bürgerrechte wahrzunehmen. Tatsächlich wurden 600 000 neue Wähler registriert – und Abdoulaye Wade wurde an den Urnen überraschend geschlagen. Seitdem ist Macky Sall Präsident des Senegal. Er wurde als Hoffnungsträger bejubelt, brach aber bald sein erstes Versprechen: Er werde seine Amtszeit im Falle eines Sieges von sieben auf fünf Jahre verkürzen, hatte er vor der Wahl geworben. Kaum an der Macht, wollte er sich daran nicht mehr erinnern. „Y’en a marre“ erinnerte Macky Sall und die Bevölkerung an dessen Versprechen.

Die jungen afrikanischen Aktivistinnen und Aktivisten nutzen die digitale Kommunikation und die sozialen Medien, um die Bevölkerung zu mobilisieren und um sich zu vernetzen. Sie teilen eine Grundhaltung, die sich erfrischend absetzt von der Resignation, die in vielen afrikanischen Ländern weit verbreitet ist. Sie sind davon überzeugt, dass ihr Kontinent alle Möglichkeiten hat und dass sie nur ein politisches Klima brauchen, das es ihnen erlaubt, das Mögliche zu realisieren. Sie wissen, dass dieses Klima nie entstehen wird, wenn sie es nicht von den Herrschenden einfordern. Und damit haben sie angefangen.