In den vergangenen Jahren fegte eine gigantische Demokratisierungswelle durch den Sudan, die neue politische Machtzentren hervorbrachte. Nach Jahrzehnten der Autokratie und der Korruption in einem der ärmsten Länder der Welt wurde die Bewegung befeuert von den Hoffnungen der überwiegend jungen Bevölkerung auf eine demokratische Regierung, auf Freiheit und den Wiederaufbau der zerstörten Wirtschaft. Doch kann die demokratiebewegte sudanesische Jugend nach Revolution, Putsch und Unterdrückung durch das Militär auch im Exil beziehungsweise unter Kriegsbedingungen ihren Kurs fortsetzen?

2018 und 2019 gingen Millionen überwiegend junger sudanesischer Frauen und Männer auf die Straße und stürzten schließlich den langjährigen Diktator Omar Al Baschir. Die anschließend aus Militärs und Zivilisten gebildete Übergangsregierung, deren Aufgabe es war, die ersten demokratischen Wahlen einzuleiten, ließ jedoch die Jugendgruppierungen, die maßgeblich zum Machtwechsel beigetragen hatten, außen vor. Dank einer allmählichen Professionalisierung der politischen Jugend entstanden nach und nach unter anderem sogenannte „Widerstandskomitees“, eine Entwicklung, die sich beschleunigte, als im Oktober 2021 das Militär gemeinsam mit den Rapid Support Forces (RSF) das Demokratieexperiment mit einem Putsch beendete. Wieder protestierten Zehntausende junger Menschen in Massendemonstrationen und Versammlungen gegen den Putsch sowie gegen das harte Vorgehen der Militärs; sie setzten sich Tränengas, Verhaftungen, Gummigeschossen und scharfer Munition aus.

Mit gemeinsamen „politischen Chartas“ versuchte sich die zersplitterte Jugendbewegung im Sudan zu einen, gemeinsam das optimale Organisationsmodell zu finden (horizontal oder vertikal) und zu entscheiden, wie sich der Wandel am besten herbeiführen lässt (durch schrittweise Reform oder radikale Transformation). Da das Militär außerstande war, eine funktionierende Regierung zu bilden, gründeten zahlreiche Mitglieder der Bewegung basisdemokratische Komitees, um die im Stich gelassene Bevölkerung zu unterstützen.

Viele der politischen Initiativen brachen auseinander – ein massiver Rückschlag im Kampf für die Demokratisierung.

Doch am 15. April brach in der Hauptstadt Khartum ein Krieg zwischen dem Militär und den RSF aus, der eine der weltweit schlimmsten humanitären Krisen auslöste. In nur sechs Monaten wurden rund sechs Millionen Menschen Opfer von Binnenvertreibung oder flohen ins Ausland. Die Kämpfe breiteten sich auch auf die fünf Darfur-Staaten im Westen des Landes aus, wo die RSF und verbündete arabische Milizen mit gezielten Angriffen auf einzelne Orte „ethnische Säuberungen“ durchführten, wie es schon Anfang der 2000er Jahre geschehen war. Es gibt Berichte über schreckliche Grausamkeiten und Menschenrechtsverletzungen. Unter den Betroffenen und Vertriebenen aus Khartum und Darfur befanden sich zahlreiche junge Leute, die zuvor die Demokratisierung vorangetrieben hatten. Viele der politischen Initiativen brachen auseinander – ein massiver Rückschlag im Kampf für die Demokratisierung, der Menschen verzweifeln lässt und die ohnehin schon zersplitterte Zivilgesellschaft weiter schwächt.

In großen Teilen der Hauptstadt sind Strom- und Wasserversorgung ebenso ausgefallen wie Internetdienste und Mobilfunknetze. Aus einer der größten afrikanischen Megacities dringen Informationen nur spärlich nach außen. Die RSF haben sich in Wohngebieten festgesetzt und missbrauchen die Zivilbevölkerung als menschliche Schutzschilde. Raubzüge und Plünderungen sind an der Tagesordnung. Aus Khartum und noch häufiger aus Darfur werden Vergewaltigungen und andere sexualisierte Gewalt gemeldet. Die meisten Kliniken in den Konfliktgebieten haben keine Vorräte mehr, wurden zerstört oder von Milizen besetzt, sodass vielen Menschen medizinische Versorgung und Medikamente verwehrt bleiben.

Die einstige Demokratiebewegung hat sich in eine humanitäre Einrichtung verwandelt, die sich gegen die apokalyptischen Umstände stemmt.

Die sudanesische Jugendbewegung wurde stark dezimiert, weil zahlreiche Mitglieder in andere Bundesstaaten oder ins Ausland fliehen mussten. Trotzdem engagieren sich in Khartum noch Dutzende Jugendgruppen für das Gemeinwohl. Die einstige Demokratiebewegung hat sich in eine humanitäre Einrichtung verwandelt, die sich gegen die apokalyptischen Umstände stemmt. In vielen Stadtteilen Khartums und auch online wurden sogenannte Notfallräume eingerichtet. Junge Frauen und Männer verteilen Lebensmittel und Wasser und helfen den Menschen bei der Flucht aus gefährdeten Gebieten. In Ermangelung staatlicher Hilfen (oder besser: im Angesicht staatlichen Missbrauchs und der Zerstörung von Infrastruktur durch die Regierung) beschaffen junge Teams vor Ort Medikamente für Kranke oder Alte, organisieren psychologische Unterstützung für misshandelte Frauen und Mädchen, begraben die Toten oder erledigen Sanitätsfahrten. Ähnliche Initiativen gibt es, wenn auch nicht in dieser Anzahl, in einigen der kriegsgebeutelten sudanesischen Bundesstaaten. Oft werden sie von Gleichgesinnten im Ausland unterstützt, die über das Internet Hilfsgelder beschaffen, die über die wenigen verbleibenden Kanäle Geld transferieren oder in den sozialen Netzwerken Aufrufe zur Sammlung benötigter Hilfsgüter verbreiten.

Junge Aktivistinnen und Aktivisten sammeln darüber hinaus Berichte über Menschenrechtsverletzungen gegen Zivilpersonen in Khartum und anderen sudanesischen Städten. So arbeiten etwa im Youth Network for Civilian Observation, das sich für Frieden und Demokratie einsetzt, diverse Organisationen, Jugendgruppierungen und Widerstandskomitees zusammen, die Vertreibungen, Angriffe auf medizinische Einrichtungen oder Antikriegsinitiativen, zivile Todesopfer, Diebstähle, Plünderungen und Morde dokumentieren. Jugendinitiativen beteiligen sich am journalistischen Projekt Sudan War Monitor ebenso wie am Youth Network for Stopping the War and Establishing a Democratic Civilian Transformation, das sich für Frieden, Einheit und eine verantwortungsvolle Regierungsführung engagiert.

Jugendorganisationen, die vor Monaten zersprengt und getrennt wurden, organisieren sich nun in der Diaspora.

Jugendorganisationen, die vor Monaten zersprengt und getrennt wurden, organisieren sich nun in der Diaspora, vor allem in Kampala und Nairobi, aber auch in Addis Abeba und Kairo. Mit einfachsten Mitteln – meist haben sie gerade genug Geld für eine Tasse Kaffee in der Tasche – organisieren sie Treffen und führen eine Debatte darüber, wie der Krieg beendet und der Übergang in die Demokratie organisiert werden kann. Einige Mitglieder der Widerstandskomitees in Khartum wirken im Rahmen einer breiten zivilen Front in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba auf eine Beendigung des Krieges hin. An dieser Front sind auch Akteure wie der ehemalige sudanesische Premierminister Abdalla Hamdok und hochrangige Parteipolitiker beteiligt. Im November wurde auf der Civil Forces Conference diskutiert, welche Schritte politisch, organisatorisch und wirtschaftlich eingeleitet werden müssten, um den Krieg zu beenden, eine Übergangsregierung einzusetzen und demokratische Wahlen vorzubereiten.

Alles in allem sind die Möglichkeiten der sudanesischen Jugend begrenzt, und es ist fraglich, ob sie stärker in diese „offizielle“ Initiative eingebunden wird. Seit dem Scheitern der militärisch-zivilen Übergangsregierung kritisieren die jungen Leute den „politischen Altherrenclub“ und beklagen das mangelnde Vertrauen zwischen ihnen und den politischen Parteien, die sich in ihren Augen dringend notwendigen Strukturreformen widersetzen und alle Macht an sich ziehen.

Unterdessen ist der Handlungsspielraum der jungen Demokratiebewegung im Sudan durch den Krieg weiter geschrumpft. Militär und RSF verhaften Menschen, die als kritisch eingestuft werden. Regelmäßig verschwinden junge Leute – manche für immer, andere tauchen nach wochenlanger unrechtmäßiger Haft wieder auf. Gleichzeitig versuchen beide Kriegsparteien in den von ihnen kontrollierten Gebieten die Kommunen auf ihre Seite zu ziehen, werben junge Leute für ihre Streitkräfte an oder rekrutieren sie zwangsweise. So kommt es, dass die sudanesische Jugend mittlerweile auf beiden Seiten des Konflikts kämpft, der weiterhin droht, auf die Nachbarländer überzugreifen. Statt sich im Krieg verheizen zu lassen, müsste sie aber die Chance haben, die Fackel des Friedens hochzuhalten. Um das zu tun, sind die verbliebenen Jugendorganisationen und -initiativen auf Hilfe vor allem der internationalen Gemeinschaft angewiesen: Sie brauchen Unterstützung für ihre humanitäre und soziale Arbeit, Unterstützung für ihr persönliches Überleben, Hilfe zur Selbsthilfe und die Einbindung in prominent besetzte Friedensgespräche, in Auslandsdelegationen und politische Initiativen der Zivilgesellschaft.

Aus dem Englischen von Anne Emmert