Über sechzig Jahre nach der Unabhängigkeit leiden die meisten afrikanischen Länder immer noch unter Problemen wie mangelnder Entwicklung, einer enormen Infrastruktur- und Technologielücke sowie hoher Schuldenbelastung. Diese Lage wird durch eine Vielzahl externer Schocks stetig verschärft. Die bis jetzt von der internationalen Gemeinschaft vorgeschlagenen Lösungen haben eins gemeinsam: Sie sind völlig ineffektiv. Der Afrika-Pakt (Compact with Africa, CwA) – die G20-Initiative mit dem Ziel Afrika zu retten, die seit 2017 von Deutschland geleitet wird – ist dabei keine Ausnahme. Zwölf Länder sind diesem Bündnis mittlerweile beigetreten – von Marokko über den Senegal und Ägypten bis hin zu Äthiopien. Am heutigen Freitag werden sich auf dem G20-Investitionsgipfel in Berlin ausgewählte Stakeholder des CwA treffen.

Afrika besitzt den geringsten intraregionalen Wirtschaftsaustausch und hat den kleinsten Anteil am Welthandel. Es ist der am wenigsten integrierte Kontinent der Welt. Infrastruktur hat für Afrika oberste Priorität. Um den Bedarf daran zu decken werden allerdings jährliche Investitionen in Höhe von mindestens 93 Milliarden US-Dollar benötigt. Diese Ressourcen zur Infrastrukturfinanzierung zu mobilisieren ist eine enorme Herausforderung. Vor allem muss hierbei gewährleistet sein, dass auch die tatsächlichen Bedürfnisse der Menschen berücksichtigt werden.

Afrika besitzt den geringsten intraregionalen Wirtschaftsaustausch und hat den kleinsten Anteil am Welthandel.

Dieser Aufgabe muss mit einer neuen Vision der Entwicklungsfinanzierung begegnet werden. Es gibt Bemühungen, die Zusammenarbeit mit Afrika dadurch zu intensivieren, dass private Infrastrukturfinanzierung mit regulatorischen Reformen verbunden wird. Der CwA steht im Zentrum dieses Ansatzes. Entsprechend der Initiative der deutschen Bundesregierung soll er interessierten afrikanischen Ländern die Möglichkeit bieten, bessere Voraussetzungen für private Investitionen – auch in Infrastruktur – zu schaffen. Hauptziel ist es, das Risiko für private Investitionen zu verringern, indem Institutionen sowie wirtschaftliche und finanzielle Rahmenbedingungen gestärkt werden.

Mit dem CwA sollen Zusammenarbeit und Koordinierung zwischen bilateralen und multilateralen Akteuren neu gedacht werden sowie das Engagement der beteiligten afrikanischen Länder ausgebaut werden. Dies wird als langfristiger, nachfrageorientierter Prozess betrachtet, der allen afrikanischen Ländern offensteht, die ihr Investitionsklima auf nachhaltiger Basis verbessern möchten. Auf diese Weise könnten Wachstum und Produktivität gestärkt, Arbeitsplätze geschaffen und Lebensstandards verbessert werden – so wie es auch in der Agenda 2063 der Afrikanischen Union vorgesehen ist. Die afrikanischen Länder sollen dabei die „Entscheidungsträger“ sein, indem sie ihre Partner selbst auswählen, ihre Maßnahmen im Dialog mit privaten Investoren konkretisieren und Meilensteine für ihre Umsetzung festlegen.

Viele afrikanische Bürgerinnen und Bürger fragen sich allerdings, um welche Art privater Investitionen es sich handelt. Manche befürchten, dass sie sich ähnlich gestalten könnten wie die bereits bekannten wirtschaftlichen Expansionsprojekte – beispielsweise die amerikanische Millennium Challenge Corporation, die japanische Tokyo International Conference on African Development (TICAD) oder das chinesische Forum on China-Africa Cooperation (FOCAC). Diese Sorge beruht auf der Erkenntnis, dass für die investierenden Partner, die aus eigenem Interesse handeln, die Entwicklung Afrikas nicht an erster oder einziger Stelle stehen wird.

Der CwA wird als langfristiger, nachfrageorientierter Prozess betrachtet, der allen afrikanischen Ländern offensteht, die ihr Investitionsklima auf nachhaltiger Basis verbessern möchten.

Die Erinnerung an die von IWF und Weltbank aufgezwungenen Privatisierungsmaßnahmen, die die Armut nicht verringert, sondern sogar noch verschlimmert zu haben scheinen, ist immer noch lebendig. Dies lässt befürchten, der CwA könnte lediglich ein weiterer Faktor sein, der zu exzessiver Neuverschuldung, Ungerechtigkeit und der Stabilisierung eines neoliberalen Imperialismus beiträgt, indem er Instrumente nutzt, die vielleicht ausländische Investoren glücklich machen, aber nicht die afrikanischen Bürgerinnen und Bürger.

In einer Zeit, in der sich Europa gegen illegale Einwanderung – eine logische Folge neoliberaler Politik und Kriege – verbarrikadiert, könnte man leicht annehmen, dass der wirkliche Zweck des CwA in der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen Afrikas liegt – ohne zu garantieren, dass die lokale Bevölkerung aus der Armut befreit wird. Der Pakt könnte – wenn er in die Fußstapfen des Washington-Konsens tritt – durchaus einen neuen „Konsens“ darstellen, der über Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP) grenzüberschreitende Megaprojekte finanziert und umsetzt, die nicht unbedingt die regionale Integration fördern, sondern in erster Linie den Fluss natürlicher Ressourcen aus Afrika heraus erleichtern sollen.

Dieser Trend hin zu Megaprojekten und ÖPP birgt signifikante Risiken, die Entwicklungs- und Umweltgruppen mit Blick auf die Mobilisierung von Infrastrukturfinanzierung im Auge behalten müssen. Aber die größte Gefahr des CwA sind die starken Forderungen nach Reformen, die die regulatorische Eigenständigkeit der afrikanischen Länder ernsthaft behindern könnten. Wenn es um die effektive Befriedigung der Bedürfnisse der Menschen vor Ort – wie sozialer Schutz und Menschenrechte – geht, ist diese Eigenständigkeit von entscheidender Bedeutung. Die von der Weltbank vorgeschlagenen ÖPP-Verträge würden solche politischen Spielräume einschränken. Die Regierungen müssten das volle Risiko tragen und könnten keine rechtlichen oder regulatorischen Veränderungen mehr vornehmen, die sich auf die Privatunternehmen in den ÖPP auswirken.

Die größte Gefahr des CwA sind die starken Forderungen nach Reformen, die die regulatorische Eigenständigkeit der afrikanischen Länder ernsthaft behindern könnten.

Im CwA-Kontrollbericht von 2021 heißt es, dass der Fortschritt bei den CwA- Reformverpflichtungen trotz eines sehr schwierigen Umfelds gut gewesen sei. Die CwA-Länder seien unter anderem dabei, ihre makroökonomischen Maßnahmen – meist mit der Unterstützung des IWF – zu stärken sowie ihre staatseigenen Betriebe zu reformieren oder zu privatisieren, um deren operative Leistung zu verbessern, den Druck auf ihre Staatshaushalte zu verringern und die Verdrängung des Privatsektors zu begrenzen. Sie hätten Gesetze und Verordnungen vereinfacht, Institutionen zur Marktkontrolle gestärkt und neue Technologien eingeführt. Durch Investitionen in öffentliche Güter und Institutionen hätten sie ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessert, das Marktversagen in wichtigen Handelssektoren verringert, Finanzierungsmöglichkeiten für kleine und mittlere Unternehmen gefördert und ihre Kapitalmärkte gestärkt.

Der Bericht mag ermutigend wirken, aber in erster Linie klingt er wie eine Verteidigung der neoliberalen Marktwirtschaft. Ein pragmatischer Blick darauf, was seit der Einführung des CwA 2017 passiert ist, lässt an dieser Einschätzung zweifeln. Was hat sich für die Menschen in den CwA-Ländern tatsächlich verbessert? Nicht wirklich viel. Es gab weder eine erhebliche Verringerung der Armut noch ein starkes Wirtschaftswachstum. Die Schuldenlast hingegen hat sich verschlimmert – von der sozialen Lage in Ländern wie Tunesien ganz zu schweigen.

Nur zwölf der über fünfzig afrikanischen Länder nehmen an der CwA-Initiative teil. Trotz des lobenswerten Prinzips, dass die Teilnahme freiwillig ist, könnte man daraus folgern, dass die Initiative entweder nicht attraktiv oder nicht inklusiv genug ist. Beides wäre ein Problem. Das mangelnde Interesse am CwA ist kein Zufall: Ebenso wie es früher beim IWF und der Weltbank der Fall war, waren die Absichten der G20 zur Rettung Afrikas von falschen Maßnahmen begleitet, die das Pferd von hinten aufgezäumt haben. Um Afrika wirklich bei seinen Problemen zu helfen, sollten die G20 und andere Retter lieber auf nachhaltige Weise die Schuldenbelastung beenden. Maßnahmen wie die kürzliche Initiative zur Aussetzung der Schuldendienste (Debt Service Suspension Initiative, DSSI) zögern das Leiden lediglich hinaus und lassen das Schuldenproblem ungelöst.

Es bedarf klarer Mechanismen, um in Afrika einen wettbewerbsfähigen Privatsektor zu schaffen, der gemeinsam mit ausländischen Investoren agiert und aus den natürlichen Ressourcen vor deren Export Wert schöpft.

Kann irgendetwas getan werden, um den CwA zu retten? Um sein Profil zu stärken, muss die Zivilgesellschaft beteiligt werden, aber nicht nur im Sinne von Beratung und Schlichtung. Die richtige Strategie für eine stärkere Teilhabe wäre die „freiwillige, vorherige und informierte Einwilligung“ (Free Prior and Informed Consent, FPIC). Die Zivilgesellschaft muss außerdem im Sinne einer sozialen und ökologischen Kosten-Nutzen-Abwägung auf gewisse Standards pochen.

Fast fünf Jahre nach ihrem Beginn ist die CwA-Initiative immer noch weit davon entfernt, den afrikanischen Bürgerinnen und Bürgern nennenswerte Ergebnisse zu liefern. Um den Pakt effektiv, hilfreich und akzeptabel zu gestalten, müssen einige wichtige Bereiche berücksichtigt werden. Dazu gehören Maßnahmen zur nachhaltigen Lösung der Schuldenkrise durch eine vollständige Entschuldung, die Ausrichtung der Investitionen an den nationalen Entwicklungsstrategien sowie eine ausgewogene Verbindung privater und öffentlicher Investitionen, die durch umfangreichere und effektivere Entwicklungsleistungen unterstützt werden. Es bedarf klarer Mechanismen, um in Afrika einen effektiven und wettbewerbsfähigen Privatsektor zu schaffen, der gemeinsam mit ausländischen Investoren agiert und aus den natürlichen Ressourcen des Kontinents vor deren Export Wert schöpft. Die unterschiedlichen Partnerschaftsinitiativen für Afrika müssen harmonisiert werden. Um illegale Finanzflüsse zu beenden, müssen Transparenz, Rechenschaftspflichten sowie soziale und ökologische Verantwortlichkeit geschaffen werden. All das muss durch einen direkten Dialog mit den afrikanischen Bürgerinnen und Bürgern begleitet werden. Und nicht zuletzt müssen sich die am CwA beteiligten afrikanischen Regierungen in vollständiger und einstimmiger Solidarität dafür einsetzen, ihre politischen Spielräume zu verteidigen.