Es ist erst drei Monate her, dass in der sudanesischen Hauptstadt Khartum die ersten Kämpfe ausbrachen zwischen dem Militär unter General Abdelfattah Burhan und der Rapid-Support-Forces-Miliz (RSF) unter General Hamdan Dagalo. Am Samstagmorgen des 15. April waren gegen 9.30 Uhr die ersten Schüsse zu hören – schon eine Stunde später flogen so viele Geschosse, dass sich in zentralen Vierteln Menschen schutzsuchend unter ihre Küchentische und Betten warfen oder Tesafilm über Fensterscheiben klebten, um Splitterverletzungen zu vermeiden. Heute hat sich das, was als Gefechte in der Hauptstadt begann, nicht nur auf weitere Brennpunkte im Land ausgeweitet – es gibt auch Sorgen um eine Regionalisierung des Konflikts. Und massive Flüchtlingswellen über Grenzen hinweg.
In Khartum, eine der größten urbanen Zentren in Afrika, gehen bis heute Kämpfe am Boden und Luftangriffe ungehindert weiter, während Millionen von Zivilistinnen und Zivilisten noch in der Stadt ausharren. Vielerorts liegt sie mittlerweile in Schutt und Asche. Der Flughafen ist weitgehend zerstört, ebenso Stromnetze, Wasserversorgung oder große Märkte. RSF-Kämpfer nutzen Zivilisten als Schutzschilde, indem sie sich in Wohngebieten und Krankenhäusern einnisten. Es gibt regelmäßig Berichte über Vergewaltigungen. RSF-Milizen, gefolgt von Banden, plündern außerdem was das Zeug hält: Privathäuser, Botschaften, Regierungseinrichtungen oder sogar die Lager humanitärer Organisationen. Mindestens 3000 Zivilisten sollen getötet worden sein, mindestens 6000 verletzt. Da diese Zahlen oft auf Meldungen aus Kliniken beruhen, viele Verletze aber keinen Zugang mehr zu Gesundheitseinrichtungen haben, dürften die realen Zahlen deutlich höher liegen.
Gleichzeitig hat sich der gegenseitige Vernichtungskampf der beiden Generäle und ihr Krieg um die militärische Vorherrschaft im Land ausgeweitet, beispielsweise in die Stadt El Obeid in Nord-Kordofan sowie auf die Darfur-Bundesstaaten im Westen. Hier liegen die Wurzeln der RSF, und Gewalt hat historisch auch eine Komponente ethnischer Säuberungen arabisch-stämmiger Milizen gegen afrikanische Gruppen der Zivilbevölkerung. Das passiert jetzt wieder. Aus Städten wie El Geneina oder Misterei (West-Darfur), Zalingei (Zentral-Darfur) oder Nyala (Süd-Darfur) dringen grauenerregende Berichte von gezielten Tötungen und Vertreibungen von Zivilisten. Satellitenbilder zeigen verkohlte Flecken, wo früher Dörfer waren. Manche glauben, dass die RSF hier eine Art Zukunftsszenario vorbereitet. Sollte ihr der Krieg in der Hauptstadt zu „teuer“ werden, könnte sie sich hier in ihre alte Hochburg zurückziehen. Das würde de facto auf eine Aufsplitterung des Landes in Militär- und RSF-dominierte „Fürstentümer“ hinauslaufen und den sudanesischen Staat sprengen.
Dass eine der beiden Seiten die Oberhand gewinnt, zeichnet sich bisher nicht ab.
Eine Konsequenz all dessen ist eine regionale Flüchtlingskrise, von der der Landesdirektor der NGO Norwegian Refugee Council (NRC) sagt, es sei eine der „schnellsten und größten“, die er je gesehen habe. Insgesamt wurden nach jüngsten Schätzungen der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in nur rund zwölf Wochen mehr als drei Millionen Menschen vertrieben. Mehr als 2,4 Millionen davon sind Binnenvertriebene, und mehr als 730 000 Menschen sind über Grenzen hinweg in Nachbarländer wie Südsudan, Tschad, Äthiopien oder Ägypten geflohen.
Dass eine der beiden Seiten die Oberhand gewinnt, zeichnet sich bisher nicht ab. So bald werde der Krieg wohl nicht enden, sagt der deutsche Chef der politischen UN-Mission Unitams, Volker Perthes, den das Militär am 8. Juni zur persona non grata erklärt hatte und nun nicht mehr ins Land lässt. Zahlreiche Aufrufe der internationalen Gemeinschaft, darunter der von Deutschland mitbegründeten Friends of Sudan Group, die Gewalt einzustellen, wurden von den kriegführenden Parteien ignoriert. Sanktionen der USA und Großbritanniens gegen Strukturen beider bewaffneter Gruppen scheinen bisher keinen Eindruck zu machen. Alle vereinbarten Feuerpausen wurden gebrochen. Dazu zählten auch Abkommen aus einem von den USA und Saudi-Arabien überwachten (und mittlerweile abgebrochenen) Verhandlungsprozess in Jeddah.
Vermittlungsversuche insgesamt waren oft nicht breit getragen und wenig kohärent. Die von Südsudan blieben ohne Resultate. Ein von Kenia geleitete Initiative im äthiopischen Addis Ababa wurde vom Militär boykottiert, weil es den kenianischen Präsidenten Ruto nicht als neutral ansieht. Eine neue „Nachbarschafts-Gipfel“-Initiative von Ägypten hat zwar erstaunlich viele Teilnehmer, zeigte zunächst jedoch wenige konkrete Resultate und dürfte bei der RSF auf Misstrauen stoßen, weil Ägypten enge Beziehungen mit dem sudanesischen Militär pflegt.
Es ist in der Tat schwierig, in diesem Fall zu vermitteln. Die zentrale Lage des Sudan, seine geostrategische Bedeutung als drittgrößtes Land in Afrika, mit Grenzen zu sieben weiteren Ländern, und die Interessen der Nachbarn und regionalen Mächte an unterschiedlichen Gütern des Sudan (sein Gold, seine riesigen Agrarflächen am Nil, die Küste im Osten) haben ein dichtes Geflecht an teils rivalisierenden, teils überlappenden Geschäftsbeziehungen und Sicherheitsinteressen geschaffen, die entweder mit dem Militär oder mit der RSF – oder beiden – gute Beziehungen erfordern und viele Akteure vorsichtig auf Zehenspitzen umeinander herum trippeln lässt. Das hemmt Vermittlungsversuche und Kooperationen, verwässert Verteilungen und treibt Unterstützungs-Initiativen in den Untergrund oder über Proxys, wo sie schwerer auszumachen sind.
Die zivilen politischen Kräfte stehen unterdessen an der Seitenlinie, mit wenig Gehör bei den Kontrahenten.
Bisher versuchen Anrainer und Regionalmächte wie die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien oder auch Russland, sich wenigstens öffentlich nicht deutlich auf eine Seite zu stellen und damit möglicherweise eine Kaskade regionaler Gewalt auszulösen. Man ist sich bewusst: Das Horn von Afrika ist leicht entflammbar. Dies ist zunächst eine Auseinandersetzung zwischen den beiden größten bewaffneten Gruppen im Sudan und noch kein Bürgerkrieg, geschweige denn ein Flächenbrand. Wegen der dichten tribalen Vernetzungen auch über Grenzen hinweg, kann der Konflikt aber durchaus über Grenzen schwappen, sollten sich im ethnisch und politisch fragmentierten Staat weitere Gruppen am Konflikt beteiligen. Dafür gibt es bereits Anzeichen. Anführer von Gruppen in Darfur (das an den Tschad angrenzt) denken laut über den bewaffneten Schutz ihrer Gebiete nach und mobilisieren angeblich Kräfte. Jüngst gab es in den Staaten Süd-Kordofan und Blauer Nil nahe der äthiopischen Grenze bereits Kämpfe zwischen dem Militär und der Rebellengruppe SPLM. Im Ausland sollen sich einigen Beobachtern zufolge islamistische Milizen bereit machen, aufseiten der RSF einzuspringen.
Es ist unklar, welche Hebel angesichts der verbissenen Kampfeslust der beiden Generäle greifen würden, um die Gewalt zu beenden. Einige fordern weitere Sanktionen. Diese gab es aber auch unter dem sudanesischen Autokraten Bashir, der mit der Revolution von 2018/2019 gestürzt wurde, und trotzdem florierten Militär- und RSF-dominierte Wirtschaftszweige. Hier müssten also neue Ansatzpunkte gefunden und weitaus massiver agiert werden.
Die zivilen politischen Kräfte stehen unterdessen an der Seitenlinie, mit wenig Gehör bei den Kontrahenten. Viele sind außer Landes geflohen und halten nun in Ägypten, Kenia oder Uganda ihre Treffen ab. Kurz vor Ausbruch des Krieges hatte es noch Hoffnungen gegeben, dass das Militär nach seinem Putsch von 2021 die Macht an eine zivile Regierung zurückgeben könnte. Einige Akteure arbeiten weiter an einem solchen Szenario. Aber ein ziviler Prozess hat gegen militärische Kräfte nur dann eine Chance, wenn die politische Zivilgesellschaft in der Krise ihre Fragmentierung endlich überkommt. Das scheint ihr auch jetzt noch schwerzufallen. Hier liegt neben der Bereitstellung humanitärer Hilfe auch für die deutsche und europäische Diplomatie eine Möglichkeit, aktiv zu werden.
Ein Lichtblick bleiben die vielen Jugendgruppen, die mit der Revolution von 2018/2019 und seit dem Putsch zu einem neuen politischen Machtzentrum geworden sind. Auch von ihnen sind viele geflohen, was für den Sudan ein tragischer brain drain ist. Andere sind noch im Land und spielen als individuelle Akteure, in Jugend-Foren oder in sogenannten Widerstands- oder Nachbarschaftskomitees auch jetzt wieder eine positive Rolle. Sie springen da ein, wo die kriegführende Militär-Administration ihre Fürsorgepflicht nicht nur vernachlässigt, sondern selbst Opfer schafft und übernehmen lokale Regierungsverantwortung. Sie organisieren beispielsweise Behandlungen und Medikamente für Verletzte und Kranke oder bringen Lebensmittel und Wasser zu Familien. Diese jungen Sudanesinnen und Sudanesen gilt es weiter zu unterstützen.