Die Bilder konnten Ende März unterschiedlicher kaum sein: Während General Abdel Fattah al-Burhan bejubelt von seinen Anhängern der sudanesischen Armee (SAF) mit erhobener Faust durch den Präsidentenpalast in Khartum schritt, flohen die letzten verbliebenen Kämpfer der paramilitärischen Kräfte der Rapid Support Forces (RSF) zu Fuß über die Brücke des Jebel-Aulia-Staudamms über den Nil nach Westen. Kurz vor dem Zweijahrestag des Kriegsausbruchs wurde die „Befreiung“ Khartums von der Besatzung der RSF besiegelt.
Die Konsequenzen für die RSF sind unübersehbar. Neben Dämpfern für die Moral ihrer Kämpfer verändern die letzten militärischen Erfolge der SAF die politische Arithmetik dieser Auseinandersetzung. Erst im März hatten Vertreter der RSF in Kenia eine sudanesische Parallelregierung ausgerufen und in Anrainerstaaten des Sudan und bei internationalen Partnern um deren Anerkennung geworben. Angesichts des Rückzugs aus Khartum ist der Versuch, sich als politische Kraft zu konsolidieren, nun verpufft.
Unabhängig von der militärischen Situation ist unverkennbar, dass die RSF kein politisches Gewinnerprojekt haben. In den zwei Jahren ihrer Besatzung großer Gebiete des Sudans unternahmen sie kaum Versuche, eine funktionierende Lokalverwaltung aufzubauen. Stattdessen begingen ihre Kämpfer schwerste Menschenrechtsverletzungen: Sie plünderten, nötigten, brandschatzten und vergewaltigten. Trotz der auch durch die SAF verübten Kriegsverbrechen scheint General Abdel Fattah al-Burhan den Wettlauf um den moralischen high ground bei internationalen Partnern derzeit zu gewinnen. Die sich verschlechternde militärische Lage der RSF könnte dazu führen, dass deren Unterstützer ihre bisherige Haltung überdenken – insbesondere dann, wenn der Zugang zu den lukrativen Goldminen entfällt, die bislang den Unterhalt von rund 100 000 Soldaten und deren Ausrüstung sichern.
Für längere Feierlichkeiten hat die SAF allerdings keine Zeit. Die RSF halten im Westen des Landes weiterhin Gebiete von der Größe Spaniens. Absehbar werden sich die Kämpfe nun nach Darfur verlagern und insbesondere in der Stadt El Fasher kulminieren. Um einen politischen Anspruch im Westen des Landes zu legitimieren, müssen die RSF die Stadt vollständig einnehmen. Für die SAF hingegen kann der Krieg nur mit der vollständigen Zerschlagung der RSF und dem Tod von General Mohamed Hamdan Dagalo enden. Die Kämpfe in Darfur werden daher mit aller Härte fortgeführt werden.
Die Vereinten Nationen bezeichnen die Situation im Sudan zu Recht als die größte humanitäre Krise der Welt.
Den Preis dafür zahlt die Zivilbevölkerung, und zwar landesweit. Das reine Zahlenwerk lässt die Dimension des konkreten Bedarfs an humanitärer Unterstützung im Sudan nur erahnen: Bis zu 150 000 Tote, 15 Millionen Vertriebene, 25 Millionen Menschen sind von Hungersnot bedroht. Die Vereinten Nationen bezeichnen die Situation im Sudan zu Recht als die größte humanitäre Krise der Welt. Die durch die US-Regierung initiierte Suspendierung von USAID als mit Abstand größtem bilateralem Geber humanitärer Hilfe verschärft die Lage für viele Menschen zusätzlich. Derzeit sieht es nicht danach aus, als würden andere internationale Geber diese Lücke füllen.
Zwei Jahre nach Kriegsbeginn sind große Teile des Sudan zerstört. Momentan ist völlig offen, wie im Falle eines Kriegsendes der Wiederaufbau finanziert werden könnte – in einer Zeit, in der neben den USA auch eine Reihe europäischer Staaten ihr internationales Engagement grundsätzlich neu justieren.
Ein Jahr nach der Pariser Geberkonferenz kommen auf Einladung Großbritanniens, Deutschlands, Frankreichs und der Europäischen Union nun erneut 20 Außenminister zu einem hochrangigen Dialog in London zusammen. Der Termin steht bereits im Vorfeld in der Kritik: Zwar wurden indirekt am Geschehen beteiligte Länder wie die Vereinigten Arabischen Emirate, Kenia oder der Tschad eingeladen, jedoch sitzen weder die regierende SAF noch zivilgesellschaftliche Organisationen in den entscheidenden Gesprächsrunden mit am Tisch – obwohl gerade sie jede humanitäre Hilfe im Sudan maßgeblich mit umsetzen müssten.
Das Endspiel im Sudan orientiert sich nicht in erster Linie am humanitären Bedarf der Zivilbevölkerung. Vielmehr richtet es sich nach den Interessen der beteiligten Akteure selbst – sowie jener, die sie aktiv unterstützen. Derzeit deutet nur wenig darauf hin, dass es in absehbarer Zeit zu einem Waffenstillstand oder gar zu einem umfassenderen Friedensprozess kommen könnte.
Politischen Planern mangelt es keineswegs an Szenarien für Frieden und Entwicklung in einem Sudan unter ziviler Führung. Allerdings gibt es für die Generäle Abdel Fattah al-Burhan und Mohamed Hamdan Dagalo (genannt Hemedti) derzeit keine Exitstrategie. Ausgeschlossen scheint, dass sich einer der beiden freiwillig aus dem Sudan in ein Exil am Persischen Golf oder in einem Schweizer Chalais zurückzöge. Ebenso unwahrscheinlich scheint, dass einer oder gar beide Teil eines politischen Prozesses werden, in dem Fragen nach politischer Verantwortung und Gerechtigkeit für begangene Kriegsverbrechen diskutiert würden oder aus dem eine neue Regierung entstünde. Beide haben schwerste Verbrechen gegen die Bevölkerung des Sudan zu verantworten. Dieser können sie nur entkommen, wenn sie die militärische Auseinandersetzung gewinnen.
International gibt es derzeit keinen Konsens, wie es im Sudan weitergehen soll.
Darüber hinaus verhindern Dynamiken auf der internationalen Ebene ein Ende der Kämpfe und einen echten Neuanfang im Sudan. Das Argument, die internationale Gemeinschaft sei durch die Ukraine und Gaza abgelenkt, trägt nur begrenzt. Die Wahrheit ist schlicht Folgende: International gibt es derzeit keinen Konsens, wie es im Sudan weitergehen soll. Um die Kämpfe zu beenden, schließen Beobachter eine erneute Teilung des Sudan nicht aus, obwohl das Beispiel des Südsudan sehr deutlich zeigt, dass dies kein Allheilmittel für stabile Verhältnisse sein muss.
Sowohl direkte Anrainerstaaten als auch andere Länder verfolgen im Sudan bedeutende politische, wirtschaftliche oder religiöse Interessen, denen im Zustand des Krieges eher entsprochen wird als in einem friedlichen, stabilen oder gar demokratischen Sudan. Auf diesem Boden wächst der vordergründige Machtkampf zweier Generäle um die Herrschaft im Land. Der Krieg erweist sich als nützlich, weil er die übergeordneten Interessen wichtiger regionaler und internationaler Akteure bedient, die alles daransetzen, seinen Fortgang zu sichern. Daran sind bisherige Friedensinitiativen gescheitert, daran scheiterten Forderungen nach Waffenstillständen, und Rufe nach ungehindertem Zugang für internationale Hilfsorganisationen verhallten ungehört. In der Zwischenzeit bleibt der Sudan ein El Dorado für transnationale Akteure der globalen Kriegswirtschaft.
Mit den Interessen der sudanesischen Bevölkerung hat dies wenig zu tun, die sich nach Jahrzehnten von Diktatur und Krise nichts anderes wünscht als Frieden und Entwicklungschancen in ihrem eigenen Land. Solange sich der Sudan im Kriegszustand befindet, können General Abdel Fattah al-Burhan und die ihn unterstützenden Netzwerke eine Diskussion um die politische Zukunft des Landes vermeiden, in der sie sich womöglich mit jenen Aktivisten auseinandersetzen müssten, die bereits den friedlichen Sturz von Omar al-Bashir zustande gebracht haben.
Die immense Positivenergie der Jahre 2018 und 2019 ist für die Menschen im Sudan auch heute noch sehr präsent. Für die Generäle der SAF ein Horrorszenario. Die Drohungen gegen sudanesische Aktivistinnen und Aktivisten für Demokratie und Menschenrechte im In- und Ausland sind kein Zufall. Sie sind Vorboten einer unvermeidbaren Auseinandersetzung zur politischen Zukunft des Sudan. Heute mag sich die SAF im Krieg mit der RSF befinden, aber das endgame im Sudan ist nicht militärisch, sondern ideologisch: Autokraten gegen Demokraten. Zwar spielen der SAF weltweite Tendenzen hin zu geschlossenen Regierungssystemen in die Hände, aber den fortbestehenden Wunsch der Menschen im Sudan nach Demokratie, Freiheit und Entwicklung können sie mit militärischen Mitteln nicht besiegen.
Zur Befriedung des Sudan gibt es für Außenstehende keine einfachen Lösungen, und in mancher Hinsicht sind auch der neuen Bundesregierung die Hände gebunden. Gleichwohl muss sie definieren, wie viele Kompromisse sie im Rahmen der angestrebten werte- und interessengeleiteten Außen- und Entwicklungspolitik im Falle des Sudan aushalten kann. Diese Diskussion ehrlich und mit offenem Visier zu führen, ist für sich genommen bereits ein positives Signal des deutschen Engagements, das Sudanesinnen und Sudanesen weltweit zu würdigen wüssten.