Es kam überraschend. Als am 16. Juni der vierteljährliche Bericht zur Situation der Multinationalen integrierten Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali (MINUSMA) in New York vorgestellt wurde, erwartete man eigentlich nicht viel Neues. In der letzten Sitzung vor der jährlich anstehenden Mandatsverlängerung ergriff als Letzter der malische Außenminister Abdoulaye Diop das Wort. Sein Redebeitrag folgte zunächst den bereits bekannten Positionen der malischen Übergangsregierung: Unzufriedenheit mit der Mission, Kritik an Frankreich und Parameter für die Zusammenarbeit. Am Ende seines Redebeitrags kam der Schock: Mali verlange das Ende von MINUSMA und zwar sans delai – also sofort.

Expertinnen und Experten hatten erwartet, dass Mali die anstehenden Mandatsverhandlungen nutzen würde, sich neu zu positionieren. Die Forderung eines Abzugs kam jedoch für viele wie aus dem Nichts. Zwei Wochen später kam der UN-Sicherheitsrat zusammen, um über das Thema abzustimmen. Nach langen Verhandlungen einigte man sich darauf, das Mandat auslaufen zu lassen. Die Friedensmission soll nun bis Ende Dezember 2023 abgewickelt werden.

Der abrupte Abzug ist eine Herkulesaufgabe. Über 13 000 Blauhelme müssen das Land verlassen, zusammen mit 3 000 zivilen Mitarbeitern. Bis Ende September kann die Mission dabei noch einzelne Aufgaben aus ihrem vorherigen Mandat wahrnehmen, vor allem die Absicherung der unmittelbaren Umgebung ihrer Lager und die Begleitung von Transport-Kolonnen. Die letzten drei Monate sind lediglich für den Abzug vorgesehen. Nach 2024 wird nur noch ein Kernteam der UN vor Ort sein, um die letzten Materialien der Mission aus dem Land zu bringen, „Liquidierung“ im UN-Jargon

Einhergehend mit dem Abzug muss ein Transfer der Leistungen der MINUSMA auf den malischen Staat und andere UN-Organisationen im Land stattfinden. Die Idee dahinter ist, dass vor allem die zivilen Leistungen (unter anderem humanitäre Hilfe, Transport von Regierungsmitgliedern sowie Bauleistungen) und Projekte, die durch die Mission geleistet werden, weiterhin zur Verfügung stehen. Angesichts begrenzter Ressourcen – und des fehlenden Willens – auf der malischen Seite ist jedoch fragwürdig, wie dies gelingen kann.

Der abrupte Abzug ist eine Herkulesaufgabe.

Der Abzug wird eine Lücke hinterlassen, die nicht allein von malischen Akteuren gefüllt werden kann. Außer russischer Hilfe, auf die nicht zu zählen ist, wird die malische Regierung vorerst wohl keine Unterstützung annehmen. Die folgenden vier Aspekte werden insbesondere betroffen sein:

Erstens, das Friedensabkommen von 2015 zwischen bewaffneten Gruppen im Norden und der Regierung in Bamako wurde nur durch das Einwirken der internationalen Gemeinschaft und allen voran der MINUSMA am Leben erhalten. Ohne die Mission ist der Friedensprozess aller Wahrscheinlichkeit nach nicht lebensfähig. Zwar haben beide Seiten verlauten lassen, sie seien an der Fortführung des Friedensprozesses interessiert, unklar ist jedoch, wie dies gelingen kann. Ein Bruch des Friedensabkommens und ein erneutes Aufflammen des Konflikts sind nicht ausgeschlossen. Bereits jetzt mehren sich die Meldungen über Zwischenfälle im Norden des Landes.

Zweitens, es ist anzunehmen, dass vor allem im Norden und an Schlüsselstellen im Zentrum die Unsicherheit weiter zunehmen wird. Die regionalen Ableger von al-Qaida sowie des Islamischen Staats werden die Gelegenheit des MINUSMA-Abzugs nutzen, mehr Gebiete einzunehmen. Bereits jetzt ist eine verstärkte Aktivität in einigen Regionen des Landes wahrnehmbar. Eine Verschlechterung der Sicherheitslage nach Abzug von MINUSMA ist daher zu erwarten. Die Hauptstadt wird aller Wahrscheinlichkeit nach auch in Zukunft der sicherste Ort bleiben, ihre Umgebung hingegen wird unsicherer werden.

Drittens, ein Abzug der Mission wird sich negativ auf die bereits fragile Ökonomie des Landes auswirken. Die Mission ist nach dem Staat der größte Arbeitgeber im Land. Die knapp 3 000 zivilen Angestellten der Mission beschäftigen Personal, mieten Wohnungen an und bringen Devisen ins Land. Am drastischsten werden diese Auswirkungen voraussichtlich die Regionen um die großen Militärbasen in Gao, Timbuktu und Mopti treffen. Seit der Ankündigung des deutschen Abzugs gibt es Gespräche zwischen Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Verbänden in Gao, wie die Folgen aufgefangen werden könnten.

Ein Bruch des Friedensabkommens und ein erneutes Aufflammen des Konflikts sind nicht ausgeschlossen.

Viertens, die MINUSMA sichert einen Großteil der nach wie vor wichtigen humanitären Arbeit im Land ab. Ohne die Mission wird es deutlich schwieriger sein, Entwicklungsprojekte durchzuführen und humanitäre Hilfe zu leisten. Ohne die große Aufmerksamkeit durch die Blauhelmmission sowie die Debatten in den europäischen Hauptstädten über Mandate und Entsendungen kann das Land schnell aus dem globalen Fokus geraten, was einen Rückgang humanitärer Hilfe von außen mit sich bringen könnte. Die humanitäre Lage im Land droht somit sich weiter zu verschärfen. Diese Punkte betreffen jedoch nicht nur Mali allein, sondern auch die umliegenden Staaten. Mit der prekären sicherheitspolitischen Situation in Burkina Faso und – seit jüngstem – mit der Krise im Niger steht noch mehr auf dem Spiel.

Bereits im Mai dieses Jahres beschloss der Bundestag das Ende der militärischen Beteiligung an MINUSMA. Ursprünglich bis Frühjahr 2024 geplant, muss der deutsche Abzug nun bis Ende des Jahres durchgeführt werden. Dies ist logistisch herausfordernd, sollte aber machbar sein. Entscheidend für die erfolgreiche Abwicklung ist für Deutschland dabei die Situation im Nachbarland Niger, da über Niamey ein Großteil des Abtransports stattfinden soll. Aufgrund der momentan volatilen Lage und der geschlossenen Luftgrenzen muss der Abzug anderweitig bewerkstelligt werden, möglicherweise über den Nachbarstaat Senegal oder mit kleineren Maschinen direkt aus dem Camp in Gao.  

Militärisches Engagement ist nicht die einzige Zusammenarbeit mit Mali. Seit den 1960er Jahren ist die deutsche Entwicklungszusammenarbeit im Land vertreten. Diese Arbeit wird mit Abzug von MINUSMA vorausichtlich schwieriger und gleichzeitig noch notwendiger werden. Ein Dilemma, denn bereits jetzt ist es mit großem Risiko verbunden, sich in den Regionen aufzuhalten. Ohne die Unterstützung und Absicherung durch die UN wird die Arbeit noch herausfordernder. 

Die Reaktionen der malischen Bevölkerung auf den Abzug sind gemischt. Die Propaganda der Übergangsregierung wirkt. Viele, vor allem in der Hauptstadt, geben der MINUSMA eine (Mit-)Schuld an der prekären Sicherheitssituation im Land. Auf der anderen Seite sehen viele Menschen, was die MINUSMA dem Land tatsächlich gebracht hat. In der jährlich von der FES Mali durchgeführten Bevölkerungsbefragung Mali-Mètre lässt sich klar erkennen, dass die Einstellung der MINUSMA gegenüber dort positiver ist, wo sie präsenter ist. In den Städten Timbuktu, Gao und Mopti sowie vielen kleineren Ortschaften im Land stellt die Mission seit einer Dekade einen essenziellen Akteur und Arbeitgeber dar. Viele Menschen sind besorgt darüber, was passiert, wenn die Mission das Land verlässt. In privaten Gesprächen wird daher immer wieder auch Unmut darüber geäußert, dass die Regierung diese Entscheidung ohne Konsolidierung der Bevölkerung getroffen hat.

Viele Menschen sind besorgt darüber, was passiert, wenn die Mission das Land verlässt.

Auch nach dem Abzug von MINUSMA wird Mali internationaler Unterstützung bedürfen. Die Kooperation mit der Übergangsregierung, die weiterhin ein schwieriger Partner ist, ist zwar nicht leicht, aber notwendig, um der Bevölkerung beizustehen. Auch wenn sich die Situation in Mali mit dem Abzug von MINUSMA zuspitzen wird, sind gewisse Grundannahmen gleich geblieben. Und auch in der Bevölkerung gibt es laut Umfragen klare Präferenzen bezüglich des weiteren Vorgehens. Die Mehrheit befürwortet einerseits Dialoge mit bewaffneten Gruppen und andererseits ein robustes Vorgehen gegen Terroristen.

Bedingung für eine langfristige Stabilisierung des Landes wird der Dialog mit bestimmten bewaffneten Gruppen sein. Dies werden vor allem solche sein, die sich zwar dem al-Qaida Netzwerk angeschlossen haben, aber vor allem nationale oder lokale Ziele verfolgen und in Mali fest verankert sind. Dialogpartner können hingegen nicht Vertreter des Islamischen Staats sein, der sich zunehmend ausbreitet. Letzterer zeigt sich kompromisslos und einer harten islamistischen Ideologie verschrieben, während al-Qaida näher an der Bevölkerung ist und nicht immer dogmatisch auftritt. Die momentane Regierung lehnt jedoch jede Art von Dialog mit besagten Gruppen ab und setzt allein auf militärische Lösungen.

Unterstützung für Mali braucht jedoch auch eine robuste Komponente. Die malische Armee kann, selbst mit Unterstützung durch Wagner-Truppen, dschihadistischen Gruppen nur wenig entgegensetzen. Sie kann ihr Staatsgebiet nicht stabilisieren und die Zivilbevölkerung nicht schützen. Sie verschlimmert die Sicherheitslage sogar, weil Menschenrechtsverstöße seitens der Armee die Rekrutierung durch die Dschihadisten erleichtert. Eine robuste Komponente sollte daher idealerweise aus der afrikanischen Sicherheitsarchitektur kommen. Deutschland, Europa und westliche Staaten sollten darauf hinwirken, dass das malische Regime militärische Unterstützung in diesem Sinne in Erwägung zieht und finanzielle Unterstützung hierzu anbieten.

Mit Blick auf die momentane Stimmung im Land ist derzeit nicht zu erwarten, dass die malische Übergangsregierung auf einen Kurs des Dialogs setzt, sondern eher einen harten, militärischen Kurs bevorzugt. Dies kann sich jedoch ändern. Entsprechend gilt es, im Land selbst für die Vorteile von multilateralem, internationalem Engagement zu sensibilisieren und sich offen für die Unterstützung von regionalen oder kontinentalen Initiativen einzusetzen. Zeitgleich müssen für langfristige Stabilität entsprechende Akteure in der (Zivil-)Gesellschaft aufgebaut werden.