Die globale Marginalisierung Afrikas ist allseits bekannt. Sie zeigt sich am deutlichsten in den Zahlen zum Welthandel. Der Afrikanischen Union zufolge liegt der Anteil des Kontinents hier seit 2005 unverändert bei drei Prozent. Im gleichen Zeitraum wurden die afrikanischen Volkswirtschaften besonders intensiv liberalisiert. Anfang der 1980er Jahre betrug der Anteil Afrikas am Welthandel noch durchschnittlich rund sechs Prozent.

Dieser Rückgang ist nicht die einzige negative Folge einer fehlgeleiteten Handelspolitik. Die Rolle Afrikas als „Holzfäller und Wasserschöpfer“ der Welt hat sich in den letzten drei Jahrzehnten, in denen die afrikanischen Volkswirtschaften ohne jede Strategie geöffnet wurden, verfestigt. Rohstoffe dominieren nach wie vor bei den Exporten. Grundlegende Industriegüter, auch solche, die der Kontinent früher selbst produzierte, werden heute importiert. Der Zusammenbruch der Inlandsproduktion zog eine fatale Arbeitslosigkeit und anhaltend große Armut nach sich.

Im Jahr 2018 lebten 40 Prozent der afrikanischen Bevölkerung mit einem Einkommen von unter 1,90 US-Dollar pro Tag in extremer Armut. In absoluten Zahlen galten 433 Millionen Afrikaner als extrem arm. Durch die Covid-19-Pandemie hat sich diese Zahl im Jahr 2021 auf 490 Millionen erhöht. Früher wurde die große Armut in Afrika oft auf eine Politik zurückgeführt, die die afrikanischen Volkswirtschaften von den Vorteilen des internationalen Handels fernhielt. Mittlerweile haben sich die Länder Afrikas aber für ihn geöffnet.

Das Wirtschaftswachstum wurde hauptsächlich durch den Export von Rohstoffen erzielt.

In Wahrheit hat das Problem zwei andere Ursachen. Erstens hat das Wirtschaftswachstum von durchschnittlich fünf Prozent in den letzten 25 Jahren nicht ausgereicht, um die Folgen des Negativwachstums in der Vergangenheit und das derzeit hohe Bevölkerungswachstum auszugleichen. Um afrikaweit mehr und bessere Arbeitsplätze zu schaffen, werden in Zukunft höhere Wachstumsraten notwendig sein.

Die zweite Ursache betrifft die Struktur von Wachstum und Produktion. Das Wirtschaftswachstum wurde hauptsächlich durch den Export von Rohstoffen erzielt. Nach Angaben der UNCTAD, der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung, bestehen die afrikanischen Exporte zu 56 Prozent aus natürlichen Rohstoffen. So gut wie alle Industriegüter werden dagegen importiert. Die afrikanischen Länder sind auch Netto-Lebensmittelimporteure. Dies erklärt, warum sich die Handelsbilanz weiter verschlechtert und warum Arbeitslosigkeit und Armut nicht einzudämmen sind.

Afrika hat einen riesigen Binnenmarkt, der schneller wächst als jeder andere auf der Welt.

Gleichzeitig hat Afrika enormes Potenzial. Der Kontinent besitzt einige der weltweit größten Mineralvorkommen. Er hat Platz, um eine Vielzahl von Technologien des 21. Jahrhunderts aufzunehmen, einschließlich digitaler Technologien, die Produktivität und Wohlstand steigern. Vor allem aber hat Afrika einen riesigen Binnenmarkt, der schneller wächst als jeder andere auf der Welt. Es beherbergt mehr als 16 Prozent der Weltbevölkerung und hat ein Bruttoinlandsprodukt von insgesamt 2,1 Billionen US-Dollar. Die Bevölkerung ist jung und sehnt sich nach einem höheren Lebensstandard.

Auf dieses Potenzial stützt sich die Afrikanische Freihandelszone (African Continental Free Trade Area, AfCFTA) beim Umbau der Produktions- und Handelsstruktur. Sie strebt einen kontinentalen Binnenmarkt für Waren und Dienstleistungen an und soll den Kontinent für den freien Verkehr von Unternehmen, Personen und Investitionen öffnen. Das Abkommen wurde 2018 von 54 Mitgliedsstaaten unterzeichnet, 30 haben inzwischen ihre Ratifizierungsurkunde bei der Kommission der Afrikanischen Union hinterlegt. Im Januar 2021 hat der Handel zu AfCFTA-Bedingungen begonnen.

Mit der Harmonisierung und Koordination der Handelsliberalisierung und der Handelserleichterungen zwischen den bestehenden Regionalen Wirtschaftsgemeinschaften (RECs), wie zum Beispiel der Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten (ECOWAS), soll die AfCFTA die Wettbewerbsfähigkeit Afrikas auf Industrie- und Unternehmensebene durch Massenfertigung, einen kontinentweiten Marktzugang und verbesserte Mittelallokation steigern. Übergeordnetes Ziel ist es, den Trend der Marginalisierung Afrikas im Welthandel umzukehren und durch den Ausbau des innerafrikanischen Handels Wachstum und Entwicklung voranzutreiben.

Ziel der Freihandelszone ist es, durch den Ausbau des innerafrikanischen Handels Wachstum und Entwicklung voranzutreiben.

Die AfCFTA stellt auf kontinentaler Ebene sicherlich den mit Abstand ehrgeizigsten Versuch dar, eine Zollunion herzustellen, handelspolitische Maßnahmen zu harmonisieren und die Handelsbeziehungen zwischen den afrikanischen Ländern zu stärken. Die Freihandelszone bietet dem Kontinent die Möglichkeit, Restriktionen zu umgehen, die sich durch die unausgewogenen WTO-Regeln ebenso ergeben wie durch neu entstehende große regionale Freihandelsabkommen wie die Transpazifische Partnerschaft (TPP).

Es gibt allerdings noch viel zu tun, und das wird in der afrikaweiten Euphorie über das kontinentale Abkommen gern übersehen. Auch wenn die AfCFTA die bisher ehrgeizigste Initiative ist, so ist dies keineswegs der erste Versuch, den Handel zwischen afrikanischen Ländern zu fördern. Die Regionalen Wirtschaftsgemeinschaften (RECs) unterstützen den innerafrikanischen Handel seit mehr als vier Jahrzehnten, ohne großen Erfolg. Der afrikanische Binnenhandel machte 2016 nur fünfzehn Prozent des Gesamthandels aus. Zum Vergleich: In der Europäischen Union sind es 61,7 Prozent, in der nordamerikanischen Freihandelszone NAFTA 40,3 Prozent und in der ASEAN-Region 23 Prozent.

Das Scheitern der RECs illustriert die Risiken, die mit der AfCFTA verbunden sind. Eine Gefahr besteht darin, dass man die Lehren der Geschichte nicht beherzigt, auch die der afrikanischen Geschichte. Die heutigen Giganten des internationalen Handels haben sich einst nicht etwa in Freihandelszonen, sondern hinter hohen Zollschranken entwickelt. Zahlreiche Studien belegen, dass Wirtschaftswachstum, Kapitalakkumulation und starke Produktionssysteme einer Handelsliberalisierung stets vorausgegangen sind.

Man schwimmt gegen den Strom des gesunden ökonomischen Menschenverstandes.

So betrieben etwa Frankreich und Deutschland zunächst eine Laissez-faire-Politik, ehe sie merkten, dass sie ihnen schadete, und deshalb in den 1880er Jahren umsteuerten. Großbritannien begann den Handel nach der Industrialisierung zu liberalisieren, in einer Zeit also, in der es bereits die weltweit führende Wirtschaftsnation war. Die USA betrieben ihre Industrialisierung im 19. und weiten Teilen des 20. Jahrhunderts hinter hohen Zollschranken und protektionistischen Maßnahmen. Dasselbe gilt für das ostasiatische Wirtschaftswunder: Diese Länder bauten ihre Wirtschaftsstruktur um und schufen durch Handel Arbeitsplätze, ohne jedoch den Binnenmarkt zu liberalisieren. Die aufstrebenden Unternehmen in der Region brauchten ihren Markt als Nährboden für ihre Entwicklung, damit sie auch einmal Fehler machen konnten, ehe sie sich auf dem Exportmarkt bewähren mussten.

Afrika ist somit die einzige Region, die versucht, ihre Volkswirtschaften zu industrialisieren, zu diversifizieren und gleichzeitig durch Handelsliberalisierung einen größeren Anteil am Welthandel zu erobern. So schwimmt man gegen den Strom des gesunden ökonomischen Menschenverstandes, wie er seit Jahrhunderten bekannt ist.

Afrika ist die einzige Region, die versucht, ihre Volkswirtschaften zu industrialisieren, zu diversifizieren und gleichzeitig durch Handelsliberalisierung einen größeren Anteil am Welthandel zu erobern.

Die politische Euphorie, so scheint es, blendet die praktischen wirtschaftlichen Schwierigkeiten aus, mit denen die AfCFTA konfrontiert ist. Die Staatschefs und ihre Handelsexperten kennen seit langem die Schwierigkeiten niedriger Produktionskapazitäten; sie wissen um die sich allzu ähnlichen Exportzweige der afrikanischen Länder, d.h. um deren mangelnde Komplementarität, und um die Probleme mit der Infrastruktur, die den Waren- und Personenverkehr in Afrika behindern. Die Bemühungen zur Bewältigung dieser Probleme waren bislang indes ungenügend und unkoordiniert.

Die AfCFTA kann zwar insgesamt Nettogewinne ermöglichen, doch es wird Gewinner und Verlierer geben. Einige Länder werden sich vermutlich einer vollständigen Umsetzung der Handelsregeln widersetzen, weil die Liberalisierung oft zu einer ungleichen Verteilung der Gewinne führt. Relativ moderne Volkswirtschaften wie Ägypten, Nigeria und Südafrika dürften stärker von der AfCFTA profitieren, schwächere könnten verlieren. Deshalb muss es klare und starke Mechanismen geben, mit denen die Gewinne verteilt und/oder die Verlierer kompensiert werden. So sollten etwa Programme für den Aufbau von Produktionskapazitäten in schwächeren Ländern aufgelegt werden.

Insgesamt muss die AfCFTA den Staaten genügend Spielraum geben, damit sie eine ihren Bedingungen entsprechende Politik verfolgen können, ohne die notwendige Harmonisierung zu gefährden.

Schließlich wird die ACFTA weitreichende Folgen für die Beschäftigten und ihre Gewerkschaften haben. Die AfCFTA soll das afrikanische Wachstumsmodell von seiner Abhängigkeit von Rohstoffen hin zu industrieller Produktion verändern. Das arbeitskraftintensive verarbeitende Gewerbe und sogar die intensive Landwirtschaft könnten mehr und bessere Arbeitsplätze für junge Menschen schaffen. Nichtsdestotrotz könnten, wenn auf eine hochqualifizierte Fertigung umgestellt wird, die Zahl der Arbeitsplätze und die Höhe der Löhne insbesondere im Bereich der geringqualifizierten Beschäftigung sinken. Ohne starke soziale Regelungen könnte die Zunahme der Beschäftigung für die Arbeitnehmer größere finanzielle Unsicherheit nach sich ziehen. Leider finden die Diskussionen über die AfCFTA überwiegend auf höchster politischer Ebene statt, ohne die Bürger, die Beschäftigten und ihre Organisationen zu beteiligen.

Aus dem Englischen von Anne Emmert