In Südafrika finden an diesem Mittwoch Parlamentswahlen statt. Sie dürften geprägt sein von der zunehmenden Unzufriedenheit der Wählerinnen und Wähler sowie einer gewissen politischen Unsicherheit, insbesondere unter jungen Menschen. Bei der Wahl wird erstmals ein dritter Stimmzettel eingeführt, auf dem auch parteiunabhängige Kandidaten vertreten sind. Für die 400 Sitze in der Nationalversammlung tritt eine Rekordzahl von 52 Parteien an. Vor allem für junge Menschen könnte diese Wahl ein Zeichen für einen Wandel im gemeinsamen Denken über Demokratie sein und einen politischen Wandel mit mehr Engagement und Dynamik einleiten – ein Wandel, in dem das demokratische System stärker als je zuvor zur Rechenschaft gezogen wird.

Die Statistiken zur Registrierung junger Wählerinnen und Wähler in Südafrika für die bevorstehenden Wahlen zeigen einen deutlichen Anstieg im Vergleich zu den Vorjahren: In diesem Jahr machen junge Menschen etwa 42 Prozent der Wählerschaft aus, es gibt knapp zwölf Millionen registrierte Jungwähler. Zum Vergleich: Der Afrikanische Nationalkongress (ANC), die Regierungspartei seit Beginn der südafrikanischen Demokratie, sicherte sich bei der Wahl 2019 den Sieg mit insgesamt rund zehn Millionen Stimmen. Es war die Wahl mit der niedrigsten Wahlbeteiligung seit 1994. Die Einführung einer elektronischen Wählerregistrierung in Verbindung mit konzertierten Bemühungen der Unabhängigen Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) sowie von zivilgesellschaftlichen Akteuren, junge Menschen zur Registrierung zu motivieren, scheint in jüngster Zeit also beachtliche Ergebnisse erzielt zu haben.

Die vielleicht spannendste Neuheit bei dieser Wahl ist, dass unabhängige Kandidaten zugelassen sind. Nach einem richtungsweisenden Urteil des Verfassungsgerichts, das das vorherige Wahlgesetz als verfassungswidrig einstufte, weil es unabhängige Kandidaten ausschloss, können die Menschen in Südafrika erstmals Einzelpersonen direkt in die Nationalversammlung wählen. Dadurch dürfte die Vielfalt im Parlament – und ganz allgemein das demokratische Engagement – gefördert werden. Fünf unabhängige Kandidaten konkurrieren mit den politischen Parteien um die 200 Regionalsitze im Parlament. Die verbleibenden 200 Sitze werden ausschließlich von den Parteien besetzt. So soll ein starkes Fundament für eine integrativere Demokratie gelegt werden. Idealerweise entsteht damit eine stärkere Rechenschaftspflicht – statt Parteienloyalität und Klientelismus.

Diese jüngsten Entwicklungen stellen auch einen schwierigen Wandlungsprozess für die IEC dar, die systematisch unterfinanziert ist und zunehmend das Vertrauen der jungen Wählerinnen und Wähler verliert. Für den Zeitraum 2022 bis 2025 hat das nationale Finanzministerium festgelegt, dass das IEC-Budget um schwindelerregende 800 Millionen Rand (umgerechnet circa 40 Millionen Euro) gekürzt wird, wobei die Kommission allein im wichtigen aktuellen Wahljahr 240 Millionen Rand weniger ausgeben kann. Die IEC warnt, dass in der Praxis wichtige Aktivitäten wie die Umsetzung des geänderten Wahlgesetzes, die Planung weiterer Wahlreformen nach 2024, die Erprobung eines elektronischen Wahlsystems sowie die Einstellung neuer Angestellter stark beeinträchtigt würden.

Wenn die IEC nicht in der Lage ist, freie und faire Wahlen auf effiziente Weise durchzuführen, hat dies langfristige Auswirkungen auf die Wahrnehmung der Demokratie.

Wenn die IEC nicht in der Lage ist, freie und faire Wahlen auf effiziente Weise durchzuführen, hat dies langfristige Auswirkungen auf die Wahrnehmung der Demokratie, insbesondere unter jungen Menschen. Während der Ausarbeitung des sogenannten South African Youth Manifesto (eine Publikation, die sich mit der Wahrnehmung der Demokratie durch die Jugend sowie ihre Erwartungen an die bevorstehenden Wahlen befasst) hat das gemeinnützige Unternehmen Youth Lab junge Menschen nach ihrem Vertrauen in die IEC befragt. Dabei wurde herausgefunden, dass eine wachsende Zahl junger Menschen das Vertrauen in die Wahlkommission sowie den Glauben an transparente und faire Wahlen verliert. Diese Beobachtung ließ sich in allen südafrikanischen Provinzen machen.

Zwar mag es sich bei den Interviews um anekdotische Evidenz handeln. Sie deuten dennoch auf ein Missverhältnis zwischen der wichtigen Arbeit der IEC und der Art und Weise hin, wie diese Arbeit von der jungen Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Viele junge Menschen in Südafrika haben das Gefühl, die IEC sei nicht vor der grassierenden Korruption gefeit (die in allen Bereichen der Regierung herrscht). Darüber hinaus würden die Wahlergebnisse nicht die Realitäten in ihren Gemeinden widerspiegeln. Ein großes Problem besteht nun darin, dass die IEC angesichts der schwindenden Finanzmittel nicht in der Lage ist, auf solche zunehmenden Bedenken einzugehen und gleichzeitig Wähleraufklärung zu betreiben sowie einen dynamischen und komplizierten Wahlprozess zu verwalten.

Einer der anderen entscheidenden Faktoren, die bei dieser Wahl eine Rolle spielen dürften, ist das eklatante Führungsvakuum in Südafrika.

Einer der anderen entscheidenden Faktoren, die bei dieser Wahl eine Rolle spielen dürften, ist das eklatante Führungsvakuum in Südafrika. Junge Menschen wünschen sich zunehmend mehr Führungspersönlichkeiten, die sie, ihre Bedürfnisse und ihre Werte besser repräsentieren. Südafrika befindet sich an einem interessanten politischen Scheidepunkt: Die Erinnerungen und Auswirkungen der Apartheid sind einerseits noch frisch in unserem kollektiven Gedächtnis. Andererseits spielt diese für viele Erst- oder auch Zweitwähler eine eher versteckte Rolle, die erst durch die Erzählungen der älteren Generationen wieder wachgerufen oder reaktiviert wird. Das ist wohl auch nicht verwunderlich in einer Demokratie, die nun immerhin 30 Jahre alt wird.

Der politische Einfluss einer einst hochangesehenen Befreiungsbewegung ist bei der jüngeren Wählerschaft nur noch ein leises Surren im Hintergrund. Vielmehr sehnen sie sich nach einer jüngeren Führung, die das Vertrauen in die Regierung wiederherstellen und eine sichere Grundlage für Südafrikas entwicklungspolitische Zukunft schaffen kann. Auf die Frage, was ihnen beim Wort „Regierung“ in den Sinn kommt, waren die Antworten der Jugendlichen in der Studie übrigens vielsagend: Sie sei unberechenbar, alt, gierig, hinterlistig, egoistisch, bestechlich; es seien Diebe und Gangster. Die Frage nach „Demokratie“ erhielt ähnliche Reaktionen: Es fielen Schlagworte wie Rassismus, Krise, Fiktion, wankelmütig, scheiternd.

Junge Menschen sind sich der anhaltenden Auswirkungen der Apartheid bewusst.

Die jungen Menschen in Südafrika sind begierig darauf, die Politik auf einen moderneren, neuen Stand zu bringen. Eine der wichtigsten Fragen, die während der Forschungsarbeiten zum South African Youth Manifesto gestellt wurden, war, ob junge Menschen einen Präsidenten wählen würden, der jünger als 35 Jahre alt ist. Schon bei den Wahlen 2019 war die Antwort im ganzen Land ein klares „Ja“. Freilich gibt es auf dem sehr langen Wahlzettel keinen einzigen Präsidentschaftskandidaten, der unter 35 Jahre alt ist.

Junge Menschen sind sich der anhaltenden Auswirkungen der Apartheid bewusst – und erleben sie auch selbst. Sie wissen die Rolle des institutionalisierten Gedenkens zu schätzen und legen großen Wert auf eine generationenübergreifende Zusammenarbeit. Aber sie suchen auch nach Führungspersönlichkeiten, die die demografische Zusammensetzung der Wählerschaft widerspiegeln und die mit einer Vision für die Zukunft Verantwortung übernehmen können – anstatt nach Politikerinnen und Politikern, die lediglich von der Erinnerung an die Vergangenheit zehren. Angesichts einer wachsenden Zahl junger Menschen auf den Parteilisten für die Nationalversammlung wird es sicher eine aufregende, wenn auch herausfordernde Reise in Richtung Umgestaltung der politischen Führung des Landes werden. Wenn diese Reise erfolgreich verläuft, dürfte sie bedeutende Früchte tragen.

Anfang des Jahres lag die Arbeitslosenquote in der Altersgruppe der 15- bis 24-Jährigen bei katastrophalen 64 Prozent.

Endlich organisieren sich junge Menschen aktiv entlang bestimmter Themen, wobei die Arbeitslosigkeit ganz oben auf der Liste steht: Anfang des Jahres lag die Arbeitslosenquote in der Altersgruppe der 15- bis 24-Jährigen bei katastrophalen 64 Prozent. Damit rangiert Südafrika auf einem der letzten Plätze weltweit. Angesichts des Missverhältnisses zwischen Qualifikationsangebot und -nachfrage, des Mangels an Arbeitsplätzen aufgrund einer Wirtschaft ohne nennenswertes Wachstum und der steigenden Lebenshaltungskosten suchen junge Menschen verzweifelt nach einer Lösung für eine Arbeits- und Wirtschaftspolitik, die die Beschäftigung erhöht. Parteien, die in der Lage sind, überzeugend über Arbeitspolitik zu sprechen und dabei neue Ansätze mitzudenken, dürften bei den vielen arbeitslosen jungen Menschen großen Anklang finden.

Der 29. Mai 2024 wird ein entscheidender Tag für Südafrikas junge Demokratie sein. Die Jungwähler haben sich in Rekordzahlen registrieren lassen und ein deutlich größeres Interesse als in der Vergangenheit gezeigt, sich selbst und andere darüber zu informieren, wie diese Demokratie für sie funktionieren kann und sollte. Es ist eine Wahl, die entscheidende Veränderungen für eine gesunde Demokratie mit sich bringen wird, und es ist eine Wahl vor dem komplexen Hintergrund historisch gewachsener institutioneller Schwächen. Die Abstimmung in dieser Woche wird Bände über den Zustand einer Demokratie sprechen, die so hart erkämpft wurde. Die jungen Menschen werden sich am Wahltag durch die Stimmabgabe zu Wort melden. Sie verlangen und verdienen es, gehört zu werden.

Aus dem Englischen von Tim Steins