Nachdem Senegals Präsident Macky Sall Anfang Februar überraschend per Dekret die Präsidentschaftswahlen absagte, wächst in Opposition und Zivilgesellschaft der Widerstand. Mittlerweile steht ein neuer Wahltermin fest: Statt wie ursprünglich geplant am 25. Februar soll nun erst am 15. Dezember 2024 gewählt werden. 104 Abgeordnete hatten in Abwesenheit der Opposition, die nach heftigen Auseinandersetzungen von der Gendarmerie aus dem Parlament geleitet wurde, am 5. Februar ein entsprechendes Gesetz zur Verschiebung der Wahlen verabschiedet. Doch ist dies überhaupt legal? Abgeordnete der Opposition haben mittlerweile Berufung beim Verfassungsrat eingelegt.

Nicht nur die Opposition, auch renommierte Rechtsexpertinnen und -experten nennen das Geschehene einen institutionellen Staatsstreich und sehen darin eine illegitime Verlängerung des Mandats des seit 2012 regierenden Präsidenten. Die Entwicklungen sind auch auf regionaler Ebene von Bedeutung. Senegal gilt mit seiner demokratischen Tradition als verlässlicher Partner in der bereits destabilisierten Sahelzone. Nach den Militärputschen in Mali, Burkina Faso und Niger ist die Sorge groß, dass in einem weiteren Land demokratische Mechanismen ausgehebelt werden könnten.

Nach außen präsentierte Sall als Grund für die Verschiebung einen institutionellen Konflikt zwischen Parlament und Verfassungsrat. Der von den Wahlen ausgeschlossene liberale Spitzenkandidat Karim Wade (Parti démocratique sénégalais, PDS) wirft zwei Mitgliedern des Verfassungsrates – zuständig für die Prüfung und Zulassung aller Kandidatinnen und Kandidaten – Korruption vor. Ein daraufhin von der PDS im Parlament eingebrachter Untersuchungsausschuss erhielt die dafür notwendigen Stimmen. Sall sah aufgrund dieser Geschehnisse die Glaubwürdigkeit der Wahlen gefährdet und zog am Tag, an dem der Wahlkampf offiziell beginnen sollte, die Notbremse.

Hinter den Kulissen werden die Ereignisse jedoch weithin als machtpolitisches Manöver gedeutet. Das Regierungslager wolle damit einen befürchteten Sieg des Oppositionskandidaten Bassirou Dioumaye Faye verhindern, lautet der Vorwurf. Obwohl dessen Partei PASTEF bereits im Juli letzten Jahres verboten und ihr Anführer Ousmane Sonko nach verschiedenen Gerichtsverfahren inhaftiert und schließlich als Präsidentschaftskandidat ausgeschlossen wurde, lebt das politische Projekt weiter. Die Forderung einer stärkeren wirtschaftlichen und politischen Souveränität des Landes, gemischt mit anti-französischer, populistischer Rhetorik findet insbesondere bei dem jungen, urbanen Teil der Bevölkerung großen Anklang.

Demokratie und Bürgerrechte sind nicht erst mit der Verschiebung der Wahlen unter Druck geraten.

Die Erfolgsaussichten für den Regierungskandidaten und amtierenden Premierminister Amadou Ba schienen sich hingegen immer weiter zu verschlechtern. Bereits seine Nominierung hatte zu einer Reihe von Parallelkandidaturen und Dissidenzen in der Regierungskoalition geführt. Nun steht Ba im Zentrum der von Wade erhobenen Korruptionsvorwürfe. Viele hatten in den kommenden Tagen mit einem Rücktritt Bas gerechnet, doch Sall hält (zunächst) weiter an seinem Wunschnachfolger fest. Dass das Parlament den Untersuchungsausschuss jedoch mit Stimmen der Regierungskoalition einsetzte, zeugt von der internen Spaltung der Präsidentenpartei.

Der Präsident steht nach dieser Entscheidung isoliert da. Nachdem Sall lange offenließ, ob er selbst ein drittes Mal kandidieren würde, hatte er letztes Jahr seinen Verzicht verkündet und sich damit verfassungskonform verhalten (die senegalesische Verfassung erlaubt lediglich zwei aufeinanderfolgende Mandate). Obwohl er in seiner Ansprache erneut betonte, dass ein drittes Mandat für ihn nicht zur Debatte stehe, bestätigt die Verschiebung der Wahlen das Misstrauen vieler Senegalesinnen und Senegalesen. Sie glauben, dass er die Macht nicht aus den Händen geben will.

Mittlerweile haben sich nicht nur die Opposition, sondern auch zivilgesellschaftliche Organisationen, Gewerkschaften, religiöse Führer und Unternehmerverbände gegen eine Verschiebung der Wahlen positioniert. Die Proteste auf der Straße fielen im Vergleich zu früheren Ausschreitungen bislang eher gemäßigt aus, haben aber bereits jetzt drei Menschenleben gefordert. Die Regierung Salls geht rigoros gegen Demonstrierende vor und fährt schon seit Monaten einen repressiven Kurs, wie auch ein kürzlich erschienener Berichte von Human Rights Watch dokumentiert. Demonstrationsverbote, die Abschaltung mobiler Handydaten, Festnahmen sowie die Einschränkung der Versammlungs-, Meinungs- und Pressefreiheit sind nur einige der Maßnahmen.

Die Erinnerung an die 23 Toten, die im vergangenen Jahr nach der Verurteilung Sonkos in Auseinandersetzung mit den Sicherheitskräften gestorben sind, ist noch frisch. Viele derer, die damals mit demonstriert haben, sitzen immer noch ohne Verurteilung im Gefängnis. An einer weiteren Eskalation und einem Kräftemessen auf der Straße ist also niemand interessiert. Die Zivilgesellschaft testet daher andere Protestformen, wie beispielsweise die Aufforderung, sich beim Freitagsgebet weiß zu kleiden oder einen Generalstreik durchzuführen. Hinzu kommt, dass die größte staatliche Universität Cheikh Antha Diop in Dakar noch immer geschlossen ist, nachdem einige Fakultäten während der Ausschreitungen verwüstet wurden. Tausende Studierende mussten in ihre Dörfer zurückkehren und konnten ihr Studium seitdem in Präsenz nicht wiederaufnehmen. Die Rekordzahlen derer, die sich in den vergangenen Monaten mit Pirogen auf den Weg zu den kanarischen Inseln gemacht haben, kann auch in diesem Kontext politischer und ökonomischer Perspektivlosigkeit gelesen werden. Fest steht, dass Demokratie und Bürgerrechte nicht erst mit der Verschiebung der Wahlen unter Druck geraten sind.

Eine zukünftige Regierung muss auch das erodierende Vertrauen in den Staat wiederherstellen.

Entscheidend für eine Rückkehr zur demokratischen Grundordnung ist jedoch nicht nur die Abhaltung der Wahlen. Eine zukünftige Regierung muss auch das erodierende Vertrauen in den Staat wiederherstellen. Im Zentrum steht nun die Frage, ob der oberste Verfassungsrat, der wie bereits erwähnt von der Opposition angerufen wurde, zu einem unabhängigen Urteil kommt. Sollte er das Dekret zur Absage der Wahlen im Februar kippen, wäre es für Sall nicht länger möglich, den Anschein von Verfassungstreue aufrechtzuerhalten und er müsste seine Entscheidung unter großem Gesichtsverlust zurücknehmen. Dies würde für ein Funktionieren rechtsstaatlicher Institutionen sprechen und wäre damit ein gutes Zeichen für die Demokratie. In einem kürzlich gegebenen Interview hat Sall auf die Frage, ob er ein solches Urteil akzeptieren würde, jedoch lediglich gesagt, dass er das zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantworten könne.

Internationale Partner, wie die USA, die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS und die Europäische Union, haben daher nicht ohne Grund ihren Ton gegenüber der senegalesischen Regierung deutlich verschärft. Sollte Sall das Urteil ignorieren, würde der Druck von Opposition, Zivilgesellschaft, religiösen Führern und internationaler Gemeinschaft weiter zunehmen. Dass die Mitglieder des Verfassungsrats vom Präsidenten selbst ernannt werden, zeigt jedoch ein strukturelles Problem auf. Eine Entscheidung, die die Verschiebung der Wahlen zu legitimieren versucht, ist also ebenfalls möglich. Eine Frist, bis wann der Verfassungsrat Stellung beziehen muss, gibt es allerdings nicht. 

Der von Sall einberufene nationale Dialog wird weithin als Farce wahrgenommen. Doch es gibt Zeichen, dass es Sall mit einer „Befriedung“ der Situation ernst zu sein scheint. Die vor kurzem angekündigte, unmittelbar bevorstehende Generalamnestie würde die Freilassung Sonkos und seiner inhaftierten Mitstreiterinnen und Mitstreiter bedeuten. Zivilgesellschaft und Opposition hatten dies zur zentralen Bedingung für eine Teilnahme am nationalen Dialog gemacht. Dass die Regierung einen solchen Schritt plant, zeigt, unter welchem Druck sie stehen muss.

Die Amtszeit Salls sollte eigentlich am 2. April enden. Die senegalesische Verfassung sieht vor, dass der Parlamentspräsident die Funktion des Präsidenten übernimmt, wenn nach Ablauf des Mandats kein neuer Präsident gewählt ist. Ein Abtreten Salls zu diesem Datum könnte ein weiteres Zeichen der Einsicht senden. So oder so sind die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Kosten der Verschiebung bereits jetzt enorm. Es bedarf demnach weiterer Kurskorrekturen, also freier, fairer und inklusiver Wahlen zum schnellstmöglichen Zeitpunkt sowie der Wiederherstellung von Grundrechten, um das Spiel mit dem Feuer zu beenden.