Lesen Sie diesen Artikel auch auf Englisch.
Die dauerhafteste Dynastie Afrikas wird fortgesetzt. In Togo lassen sich nach 53 Jahren nahezu uneingeschränkter Herrschaft durch die Gnassingbé-Familie keine Anzeichen erkennen, dass es zu einem Machtwechsel kommen könnte. Die Wahlen vom Wochenende haben dies bestätigt. In einer Rekordzeit von weniger als 24 Stunden hat die Wahlkommission das Ergebnis verkündet: Mit einem Stimmenanteil von 72,4 Prozent ist der bisherige Präsident bestätigt worden.
In wenigen Tagen tritt also Faure Gnassingbé, der Sohn des verstorbenen Diktators Eyadéma, seine vierte Amtszeit an. Dabei wären eigentlich nur noch deren zwei gemäß der im Mai 2019 geänderten Verfassung erlaubt. Doch bei der Verabschiedung der Reform ließ sich der Präsident ein Hintertürchen offen: Die Mandate vor der Revision wurden nicht mitgerechnet. Im Prinzip kann der Staatschef jetzt bis 2030 regieren.
Gab es eine Alternative für die 3,6 Millionen Wählerinnen und Wähler? Insgesamt sechs Gegenkandidaten hatten sich dem Wettbewerb mit dem Präsidenten gestellt. Ihre wesentlichen Wahlaussagen beschränkten sich darauf, dass sie den aktuellen Amtsinhaber ablösen und künftig mehr auf die Stimme des Volkes hören wollten. Lediglich zweien von ihnen wurden überhaupt Chancen auf ein passables Abstimmungsergebnis eingeräumt. Dem einen, Jean Pierre Fabre, konnte man zumindest nicht vorwerfen, mit der Herrscherfamilie kollaboriert zu haben. Bereits zwei Mal trat er gegen Gnassingbé an, der auch nach Meinung internationaler Beobachter nur durch Wahlfälschung als Sieger aus früheren Wahlen hervorging.
Die langsam wachsende Mittelschicht steht, solange ihr bescheidener Wohlstand nicht gefährdet erscheint, zum großen Teil loyal zur Regierung.
Der andere, Agbeyomé Kodjo, Parlamentspräsident und Premierminister während Eyadémas Regentschaft, verdankte seine Platzierung der Empfehlung des ehemaligen Erzbischofs von Lomé, der sich auch nicht zu schade war, Wahlkampfauftritte seines Schützlings mit priesterlichem Segen zu begleiten, sowie der Unterstützung einer Reihe kleinerer Parteien, die sich nicht auf Fabre als gemeinsamen Kandidaten einigen konnten.
Die stabile wirtschaftliche und soziale Situation in Togo hat dem Amtsinhaber einen Bonus verschafft. Die den Bevölkerungszuwachs übersteigenden Wachstumsraten werden begünstigt durch den höheren Umschlag des Tiefseehafens Lomé, den Anstieg der Agrarexporte und einen im Wesentlichen durch ausländische Kredite finanzierten Infrastrukturausbau. Auch wenn die Einkommensverteilung selbst im westafrikanischen Maßstab sehr ungleich ist und sich in den letzten beiden Dekaden kaum verändert hat, erntet die langsam wachsende Mittelschicht die Früchte des Wachstums. Sie steht, solange ihr bescheidener Wohlstand nicht gefährdet erscheint, zum großen Teil loyal zur Regierung. Nach Meinung vieler Togolesen reichen die Reformen noch lange nicht aus, um ihnen einen höheren Lebensstandard zu ermöglichen; man konzediert dem Präsidenten jedoch auch, er arbeite mehr als sein Vater am Wohlergehen des Volkes.
Die demokratische Fassade wurde während des zweiwöchigen Wahlkampfs aufrechterhalten: So hatten alle Kandidaten Gelegenheit, sich den Bürgerinnen und Bürgern in einstündigen Interviews des staatlichen Fernsehens vorzustellen. Ansonsten überwog die Wahlwerbung des Amtsinhabers, der seine Ambitionen auf großflächigen Plakaten und Tafeln in Stadt und Land kundtat. Viele der nicht vom Präsidenten und der ihn tragenden Partei reservierten Werbeflächen waren zuvor schon von staatlichen Institutionen wie der Sozialversicherungsbehörde gemietet worden. Die staatliche Unterstützung für die Bewerber wurde erst kurz vor der Abstimmung ausgezahlt; zu spät, um sie noch für die Wahlwerbung einzusetzen.
Nur zwei Tage vor den Wahlen wurde das eigens beschaffte elektronische „System für die sichere Erfassung der Wahlergebnisse“ von der Wahlbehörde außer Kraft gesetzt, was eine nachträgliche Veränderung der Resultate möglich machte.
Auch die Versammlungsfreiheit wurde vor den Wahlen eingeschränkt. So durfte nur noch tagsüber zwischen 11 und 18 Uhr demonstriert werden, und das lediglich auf Nebenstraßen und nicht häufiger als einmal in der Woche. Wahlveranstaltungen der oppositionellen Kandidaten wurden von der Regierung nahestehenden Präfekten oder Bürgermeistern „aus Sicherheitsgründen“ untersagt. Anhänger des Präsidenten blockierten Versammlungen seiner politischen Gegner.
Die für Vorbereitung und Durchführung der Wahlen sowie zur Feststellung des Wahlergebnisses zuständigen Institutionen waren zuvor auf Linie gebracht worden: 17 der 19 Mitglieder der angeblich unabhängigen Wahlkommission gehören zum Block des Präsidenten. 7 von 9 Richtern des Verfassungsgerichts sind Gefolgsleute des Staatschefs; die anderen zwei wurden noch nicht bestellt, weil das Gremium, das sie berufen soll, nicht existiert.
Die Forderung zivilgesellschaftlicher Organisationen, die Stimmergebnisse pro Wahlbezirk zu veröffentlichen, um wenigstens eine kursorische Kontrolle zu ermöglichen, wurde ausgerechnet vom Minister für Menschenrechte als undurchführbar abgelehnt. Nur zwei Tage vor den Wahlen wurde das eigens beschaffte elektronische „System für die sichere Erfassung der Wahlergebnisse“ von der Wahlbehörde außer Kraft gesetzt, was eine nachträgliche Veränderung der Resultate möglich machte.
Die sozialen Netzwerke wurden gesperrt, das Internet in einigen Regionen abgestellt und die Websites kritischer Medien blockiert, so dass lokale Wahlergebnisse keine Verbreitung fanden.
Viele westafrikanische Staaten beziehen mittlerweile ihre im Ausland lebenden Landsleute in die Wahlen mit ein; Togo hat bisher noch nicht einmal eine verlässliche Statistik. Von den geschätzt 9 300 in Frankreich lebenden Togolesen durften nur 28 an der Abstimmung teilnehmen; von den geschätzt 1,5 Millionen Togolesen im Ausland waren es 348, was mit Sicherheit den Wahlausgang beeinflusst hat.
Am Wahltag selbst mussten von einzelnen Beobachtern zahlreiche Manipulationsversuche festgestellt werden: Wählerlisten enthielten falsche Namen, Bürgerinnen und Bürger fanden sich nicht in den Verzeichnissen und konnten nicht wählen, Wahlurnen waren bereits vor der Stimmabgabe gefüllt worden, virtuelle Wahlbüros verkündeten imaginäre Ergebnisse. Das Haus des aussichtsreichsten Oppositionskandidaten Kodjo wurde kurz nach dem Urnengang von Polizei und Militär umstellt, so dass dieser nur noch per Telefon mit seinen Anhängern und der Presse kommunizieren konnte. Parallel dazu wurden die sozialen Netzwerke gesperrt, das Internet in einigen Regionen abgestellt und die Websites kritischer Medien blockiert, so dass lokale Wahlergebnisse keine Verbreitung fanden.
Die Sicherheitskräfte waren im Umfeld der Wahlen überall deutlich sichtbar, offiziell, um Gewaltausbrüche zu verhindern. Die bereits in normalen Zeiten bestehenden Straßensperren wurden stärker bemannt. Zusätzliche Kontrollen martialisch auftretender Militärs, die jedes Fahrzeug anhielten und überprüften, schufen darüber hinaus ein Klima der Einschüchterung. Der Präsident, gleichzeitig Chef der Streitkräfte, unterstrich dadurch, dass der breit aufgestellte Sicherheitsapparat seinen Zielen dient. Die Armee steht loyal zu ihrem Anführer, der wie ihre meisten Mitglieder der Ethnie der Kabiye angehört.
Der soziale Friede ist fragil. Er hängt davon ab, ob es dem Präsidenten gelingt, das Wirtschaftswachstum auf hohem Stand zu stabilisieren.
Die systematischen Regelverstöße und Einschränkungen dürften indes schwer zu beweisen oder zu widerlegen sein. Zwar hatten die Vereinten Nationen und die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft CEDEAO die togolesische Regierung kurz vor Beginn des Wahlkampfs aufgefordert, kurz- und längerfristige Wahlbeobachtungen zu ermöglichen. Doch für die mehr als 9 000 Wahlbüros wurden insgesamt nur 280 internationale Beobachter akkreditiert, allen voran die CEDEAO mit 79 Mitgliedern sowie die Afrikanische Union mit einer 40-köpfigen Delegation.
Auf nationaler Ebene sollten etwa 3 000 Beobachter vor allem zivilgesellschaftlicher Organisationen am Wahltag unterwegs sein; einem Großteil von ihnen wurde jedoch kurzfristig wegen der „Gefahr der Einmischung in den Wahlprozess“ die Teilnahme untersagt. Den Vorschlag der nationalen Bischofskonferenz, unter Einsatz eigener Mittel 9 000 Beobachter in die Distrikte zu entsenden, lehnte das Innenministerium wegen angeblich fehlender Neutralität und Verschwendung von Kirchengeldern ab.
So bleibt in Togo alles beim Alten. Solange es die togolesische Opposition nicht schafft, sich auf eine gemeinsame aussichtsreiche Gegenkandidatur zu verständigen, ihre Anhänger zu mobilisieren und eine überzeugende ökonomische und soziale Zukunftsoption für das bitterarme Land zu entwerfen, dürfte es Gnassingbé und seinem Clan nicht schwerfallen, die Fassade einer demokratisch legitimierten Regierung aufrechtzuerhalten und seine Macht zu zementieren. Doch der soziale Friede ist fragil. Er hängt davon ab, ob es dem Präsidenten gelingt, das Wirtschaftswachstum auf hohem Stand zu stabilisieren und sich die Gewogenheit internationaler Unterstützer seiner Entwicklungspolitik zu bewahren.