Die internationale Gemeinschaft hat mit einer Mischung aus Schock, Wut und Angst auf den Einmarsch der russischen Truppen am 24. Februar in die Ukraine reagiert und debattiert die Auswirkungen dieser Invasion auf die internationale Sicherheit. Das subsaharische Afrika, das lange als Randfigur in der Weltpolitik gesehen wurde, ist da keine Ausnahme.
Weltweite Aufmerksamkeit erzielte die Rede des kenianischen Botschafters vor dem VN-Sicherheitsrat, in der er die russische Aggression mit eindringlichen Worten verurteilte. Seitdem haben sowohl Senegals Präsident Macky Sall, der derzeit den Vorsitz in der Afrikanischen Union (AU) innehat, als auch der Vorsitzende der AU-Kommission, der Tschader Moussa Faki, die russische Invasion scharf zurückgewiesen. Sie forderten Russland dazu auf, „das Völkerrecht, die territoriale Integrität und die nationale Unabhängigkeit der Ukraine zu respektieren“.
Abgesehen von den Stellungnahmen aus Kenia und der AU ist die Reaktion auf dem Kontinent jedoch kaum als einhellig zu bezeichnen. Möglicherweise aus Angst davor, Russland gegen sich aufzubringen, entschieden sich einige Länder dafür, Stillschweigen zu bewahren. Immerhin 28 afrikanische Staaten unterstützten die am 2. März von der UN-Generalversammlung verabschiedete Resolution, mit der der Angriff Russlands auf die Ukraine verurteilt wurde, 17 enthielten sich der Stimme. Eritrea stimmte als einziges afrikanisches Land dagegen.
Möglicherweise aus Angst davor, Russland gegen sich aufzubringen, entschieden sich die viele Länder dafür, Stillschweigen zu bewahren.
Der krasse Meinungsgegensatz in Afrika wird durch die Tatsache veranschaulicht, dass sich Kenias Nachbarland Uganda im selben Moment, in dem Kenia scharfe Worte gegen die russische Invasion fand, der Stimme enthielt. Angeblich aufgrund seiner „Blockfreiheit“ in globalen Angelegenheiten. Wobei der Kommandant der ugandischen Armee Muhoozi Kainerugaba, der Sohn des ugandischen Präsidenten Yoweri Museveni, zeitgleich per Twitter seine nachdrückliche Unterstützung für Russlands Einmarsch in der Ukraine zum Ausdruck brachte.
Die Rollen haben sich verschoben. Ein Kontinent, der lange Zeit als Synonym für sinnlose bewaffnete Konflikte galt, der daran gewöhnt war, mit herablassender Rhetorik bedacht zu werden und das Ziel von Konfliktlösungsstrategien zu sein, findet sich nun in der Rolle des „Friedensstifters“ wieder vis-à-vis dem ihm zivilisatorisch „Überlegenen“ – Europa.
Westliche Journalisten und Wissenschaftlerinnen folgten lange Zeit analytischen Narrativen, die Konflikte mit Ethnizität und anderen urzeitlichen Identitätsfaktoren erklärten, die man mit „kulturell zurückgebliebenen“ Regionen wie Subsahara-Afrika oder der arabischen Welt assoziierte. Nun tun sie sich schwer damit, das Blutvergießen, die Zerstörung und Vertreibung in der Ukraine zu erklären.
Die gegenwärtige Situation sollte eine düstere Mahnung sein, dass Konflikte im Wesentlichen durch Habgier, Opportunismus und andere materialistische Bestrebungen angetrieben werden – und nicht von Identität, Kultur oder atavistischen Faktoren.
Die gegenwärtige Situation sollte eine düstere Mahnung sein, dass Konflikte im Wesentlichen durch Habgier, Opportunismus und andere materialistische Bestrebungen angetrieben werden – und nicht von Identität, Kultur oder atavistischen Faktoren. Das subsaharische Afrika hat schon viel widerwärtige Kriegstreiberei und politische Führungsfiguren erlebt, die auf militärische Mittel zurückgriffen, um ihre persönliche Machtstellung auszubauen. Aber nur wenige von ihnen haben die internationale Meinung so arrogant missachtet, wie Wladimir Putin es tut.
Berichte über afrikanische Studierende, die bei ihrem Fluchtversuch aus der Ukraine aufgrund ihrer Hautfarbe an der Einreise in Nachbarländer gehindert werden, sind ein deutlicher Hinweis, dass Rassismus in einem Großteil Europas und der westlichen Welt auch Jahrhunderte nach dem Ende der Sklaverei noch immer greifbare Realität ist. Dass die AU in ihrer Erklärung vom 28. Februar ausschließlich den Rassismus gegen afrikanische Menschen verurteilte, obwohl auch arabische Menschen und Flüchtende anderer Nationalitäten davon betroffen waren, weist auf die geo-provinzielle Linse hin, durch die viele den russisch-ukrainischen Krieg betrachten. Und sie deutet auf eine anhaltende Balkanisierung hin, die in einer Ära vermeintlich zunehmender Globalisierung auf ethnischer Identität basiert.
Afrika ist eine große, aus 54 Ländern bestehende geografische Masse. Jeder Versuch, die Erfahrungen dieser Länder über einen Kamm zu scheren, ist unweigerlich mit analytischer Unrichtigkeit behaftet. Und doch: In vielen Ländern des Kontinents hat Russland weniger geopolitische Spuren hinterlassen als die anderen vier ständigen Mitglieder im UN-Sicherheitsrat. Auch wenn die Vereinigten Staaten und China von vielen als die wichtigsten Akteure in Afrika wahrgenommen werden, nutzen ehemalige Kolonialmächte wie Großbritannien und Frankreich weiterhin historische, sprachliche und kulturelle Beziehungen für einen – zugebenermaßen schwindenden – Einfluss aus. Russland muss sich mit den Resten begnügen.
In vielen Ländern des Kontinents hat Russland weniger geopolitische Spuren hinterlassen als die anderen vier ständigen Mitglieder im UN-Sicherheitsrat.
Nachdem viele der afrikanischen Regime, die von der Sowjetunion unterstützt wurden, im Laufe der Jahre abgelöst wurden, ist Russlands – auf Kalter-Krieg-Nostalgie beruhender – Anspruch auf Ruhm verblasst. Moskau musste neue Beziehungen entwickeln, die auf Zusammenarbeit in den Bereichen Sicherheit, Handel und Investitionsbeziehungen sowie auf politischer Geschlossenheit – vor allem im VN-Sicherheitsrat – fußten. Einige afrikanische Länder sind wichtige Importeure von russischen Agrarerzeugnissen wie Weizen. In erster Linie bestehen die Handelsbeziehungen jedoch aus afrikanischen Exporten nach Russland – was Afrika im Vergleich zu Europa weit weniger abhängig von Russland macht. Die russische Invasion in die Ukraine und die weltweiten Reaktionen darauf stellen sowohl in wirtschaftlicher als auch geopolitischer Hinsicht eine viel größere Gefahr für Europa als für das subsaharische Afrika dar.
Dreierlei wesentliche Konsequenzen zeichnen sich für Afrikas zukünftige Außenbeziehungen ab. Erstens: Der derzeitige Krieg ist ein weiterer Beleg dafür, dass heutige Konflikte – sowohl zwischen- als auch innerstaatliche – weitgehend von materiellen Faktoren angetrieben werden, die nur gelegentlich von Identitätspolitik überdeckt werden.
Zweitens: Die starke Reaktion der NATO und der EU zur Unterstützung der Ukraine, die weder der einen noch der anderen Organisation angehört, bestärkt die in Afrika seit langem gehegte Anschauung, dass regionale Krisen am besten von regionalen Akteuren in der Nachbarschaft des Konflikts gelöst werden sollten. Politiker im subsaharischen Afrika hatten diese Losung insbesondere im Vorfeld der von der NATO geführten militärischen Kampagne zum Sturz des früheren libyschen Staatsoberhaupts Muammar al-Gaddafi immer wieder ausgegeben. Was für den Fall der Ukraine bedeutet, europäische Lösungen für europäische Probleme zu finden, sollte künftig auch dazu führen, dass die AU sowie subregionale Organisationen wie die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS und die nordostafrikanische zwischenstaatliche Entwicklungsbehörde IGAD auf weniger Gegenwehr stoßen, wenn sie darauf bestehen, bei der Konfliktlösung in ihrer Region die Führung zu übernehmen. Gleichzeitig sollten sie wichtige Lektionen aus dem schnellen Handeln der NATO zum Schutz der „eigenen Bündnispartner“ lernen.
Internationale Reaktionen auf politische und wirtschaftliche Herausforderungen werden – auch in einer Welt, die in ihrer Ausrichtung vermeintlich multilateral ist – eher durch geostrategische Kalküle als durch menschenfreundliche Wertvorstellungen bestimmt.
Und drittens erinnert der russische Krieg gegen die Ukraine daran, dass die internationalen Reaktionen auf politische und wirtschaftliche Herausforderungen – auch in einer Welt, die in ihrer Ausrichtung vermeintlich multilateral ist – eher durch geostrategische Kalküle als durch menschenfreundliche Wertvorstellungen bestimmt werden. Die politische und mediale Aufmerksamkeit, die der Ukraine während der Invasion zuteilwird, übersteigt bei weitem die Aufmerksamkeit, die ähnlichen Konflikten in Subsahara-Afrika und anderen Teilen der Welt eingeräumt wird. Das zeigt, dass dies tatsächlich eine Welt ist, in der jeder Kontinent und jede Unterregion für sich alleine dasteht.
Aus dem Englischen von Ina Goertz
* Die hier zum Ausdruck gebrachten Ansichten spiegeln ausschließlich die Meinung der Autorin wider und nicht die anderer Menschen, Institutionen oder Organisationen, mit denen die Autorin persönlich oder beruflich in Verbindung steht. Keine der vorgebrachten Standpunkte oder Meinungen richten sich in irgendeiner Form gegen religiöse oder ethnische Gruppierungen oder Einzelpersonen.