Vielleicht war es bereits Symbolik pur: Als am 26. Juni vergangenen Jahres Panama die Einweihung neuer Schleusen an seinem legendären Kanal feierte, zelebrierte der Welthandel die erste Durchfahrt eines der neuen Supercontainerschiffe gigantischen Ausmaßes. Der Kanal, unumstrittenes Wahrzeichen US-amerikanischer Handelsdominanz seit 1914, war ein Jahrzehnt lang für fünf Milliarden US-Dollar verbreitert worden. Mit noch größerer Wucht soll er nun das Tempo des globalen Marktplatzes und seines Kapitals beschleunigen. Vom nahe gelegenen 70-stöckigen Trump Tower in Panama City, dem höchsten Gebäude Zentralamerikas mit fantastischem Blick auf die pazifische Kanaleinfahrt, war allerdings nicht zu übersehen, dass der erste einfahrende Riesentanker kein amerikanisches Schiff, sondern die M.V. COSCO Shipping Panama, ein chinesisches Containerschiff, war.
Ob dies Zufall war oder nicht, seit Juni ist in der Weltpolitik so viel passiert, dass vielerorts alte Gewissheiten längst über Bord gekippt wurden. Allen voran die, dass sich die USA in Asien wieder verstärkt engagieren werden und dass es mit Washington ein in Asien willkommenes, Maßstäbe setzendes Handelsabkommen geben werde. Personalentscheidungen und Äußerungen des kommende Woche sein Amt antretenden neuen US-Präsidenten Donald Trump lassen bislang nichts anderes vermuten. Damit, so sehen es Asiens Diplomaten, ist das Kernstück von Noch-Präsident Barack Obamas eingeleiteter „Rebalance“ Richtung Pazifik quasi ad acta gelegt. Die Rede ist vom Transpazifischen Handelsabkommen TPP.
Im Vergleich zu seinen atlantischen Wesensbrüdern TTIP und CETA erregte TPP in den sieben mühsamen Jahren seiner Verhandlung mit zwölf Pazifik-Anrainern von Chile bis Vietnam nie annähernd so viel Kritik und Ablehnung. Ziel Washingtons war es, mit einer neuen Generation von Freihandelsverträgen ein gigantisches Netzwerk zu knüpfen, das rund 40 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts regulieren sollte. Gleichzeitig machte Obama TPP zur geopolitisch aufgeladenen Kernkomponente seiner Hinwendung zu Asien: sozusagen Handel als Bollwerk gegen Chinas Hegemonie. Obamas Taktik, alles auf eine Karte zu setzen, werfen ihm seine asiatischen Kritiker heute als Sollbruchstelle seiner Außenpolitik vor.
Dass Trump kein Freund von Freihandelsverträgen ist, ist längst Allgemeinwissen.
Die offen formulierte Absicht, die pazifischen Nachbarn unter einer Art Schutzschild gegen die dräuende Unbill aus Peking zu versammeln, mag allseits Triebfeder gewesen sein, sich bei TPP auf einen Kanon gemeinsamer Werte einzulassen: unter anderem auf die Einhaltung internationaler Arbeitsstandards, die Zulassung „echter“ Gewerkschaften und die schnellere Abtretung von US-Lizenzen, zum Beispiel bei pharmazeutischen Produkten. Wer bei TPP mitmachen wollte, sollte diese Standards bereits vor dem Beitritt vorweisen können.
Und nun sind ausgerechnet die USA selbst ausgestiegen. Dass Trump kein Freund von Freihandelsverträgen ist, ist längst Allgemeinwissen. Vielmehr will er existierende Verträge, wie zum Beispiel das nordamerikanische NAFTA, kündigen und das noch nicht vom US-Kongress ratifizierte TPP am ersten Tag seiner Amtszeit gar begraben. Inwieweit und wie genau diese folgenreiche Beerdigung Teil seiner Überlegungen sind, Amerika wieder „great“ zu machen, ist nicht bekannt.
Von Tokio über Singapur bis Hanoi löste die Nachricht blankes Entsetzen aus. Allein das Versprechen des TPP hatte Asiens US-Handel bereits rasant wachsen lassen. Im Jahr 2015 erreichte er bereits rund 39 Prozent des gesamten US-Handelsvolumens. In einigen asiatischen Ländern waren bereits Arbeitsgesetzgebungen überarbeitet worden. Das sozialistisch regierte Vietnam rang sich durch, erstmals unabhängige Gewerkschaften zulassen zu wollen. Und zahlreiche Gewerkschaftsverbände hatten sich argumentativ gerüstet, um mit TPP Verbesserungen für ihre Millionen Arbeiterinnen und Arbeiter zu erkämpfen.
Ohne Frage ging TPP in den Augen vieler, was Umwelt- und Sozialstandards und ihre Durchsetzung anging, längst nicht weit genug. Asienweit herrschte allerdings Einmütigkeit darüber, dass TPP für alle Beteiligten ein vielversprechender Rahmen mit einem Wertekanon sein werde, mit dem sich arbeiten – und gegen Chinas qualitativ minderwertige Angebote angehen ließe.
Nun fassen sich Asiens Regierungschefs seit Trumps Aufschlagen auf der politischen Bühne an den Kopf. Aus pazifischer Perspektive ist kaum nachzuvollziehen, dass Trump einerseits China in seine Schranken weisen möchte, um im gleichen Atemzug die bislang einzig durchdachte und kohärente US-Strategie abzusägen, die eine ungehinderte Hegemonie Chinas in Asien verhindern sollte. Trumps TPP-Versenkung, darin sind sich Beobachter einig, wird das Vertrauen in die USA schwächen. Politiker wie Japans Shinzo Abe, Singapurs Lee Hsien Loong oder selbst die vietnamesische KP haben an der Heimatfront beachtliches politisches Kapital beim Ringen um die TPP-Abkommen investiert – und sehen sich nun im Regen stehen.
Nun fassen sich Asiens Regierungschefs seit Trumps Aufschlagen auf der politischen Bühne an den Kopf.
Zugegeben, außer Zitaten und Twitter-Fetzen ist nichts über Trumps Asien-Pläne bekannt, doch die Verunsicherung könnte größer kaum sein. Die Zeichen deuten jedenfalls eher auf Sturm: Handelskrieg mit China, Rauswurf aus den Philippinen, ein vergrätztes Australien und klassisch diktierte bilaterale Handelsverträge zugunsten der USA. Egal, ob Obamas Asien-Strategie im Kern noch gewürdigt werden oder ob es Alternativen geben wird: Für viele Analysten kommen Trumps Andeutungen schon jetzt einer Abkehr der USA von Asien gleich.
Angesichts der gewaltigen Wirkmacht die die TPP-Verträge als geopolitische Kehrtwende jenseits ihrer Paragraphen hatten, sind die Kosten ihres Einstampfens nicht zu beziffern. Längst gibt es lautstarke Forderungen der düpierten Vertragspartner, so geäußert auf dem letzten APEC-Gipfel im November in Lima, TPP nun ohne die USA durchzuziehen oder die guten Teile davon in die meist bestehenden bilateralen Freihandelsabkommen einzufügen. Oder es für bessere Zeiten einzufrieren. Oder etwas Neues zu verhandeln. Oder eben einfach Chinas Alternativ-Angebot anzunehmen.
China war jedenfalls nach Trumps Wahlsieg schnell zur Stelle mit einer erneuten Offerte. RCEP heißt sie, „Regional Comprehensive Economic Partnership agreement“. Bereits im Jahr 2011 hatte Peking sie der Region, also den zehn ASEAN-Mitgliedstaaten sowie Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland angeboten. Für asiatische Handelsnationen, allen voran Singapur, war stets klar, dass sie gerne beide Handelsabkommen gleichzeitig gehabt hätten, TPP und RCEP. Der Deal mit China als die pragmatische Antwort auf die Machtverhältnisse in Asien – und TPP für den normensetzenden Rahmen einer internationalen Ordnung – quasi als Rückversicherung gegen die neuen Regionalmacht China.
Peking bietet den Nachbarn zwar ein ehrgeiziges Abkommen an, unter dessen Schirm rund drei Milliarden Menschen Zugang zu rasant wachsenden Märkten erhalten würden. Beim Deal mit China würden für die ärmeren Nationen zudem kräftige Investitionen winken. Doch RCEP bietet, anders als TPP, keine Verabredungen zu besseren Arbeitsstandards, Schutz geistigen Eigentums und Investitionsschutz an – etwas, auf das viele ärmere Staaten, die im brutalen Wettrennen um Investitionen, Arbeitsplätze und Wachstumschancen schlechtere Aussichten haben, gerne zurückgegriffen hätten. Laut US-Berechnungen hätte ein funktionierendes TPP China zunächst beachtliche Konkurrenz und Verluste beschert – eigentlich etwas, was Handelshardlinern um Trump gefallen müsste – aber China hätte mit RCEP gute Chancen gehabt, diese Verluste durch bessere Marktzugänge in Asien wettzumachen.
Wie es aussieht, wird aus der erträumten „Ein-Pazifik-zwei-Verträge“-Zukunft für Asien erstmal eher nichts.
Wie es aussieht, wird aus der erträumten „Ein-Pazifik-zwei-Verträge“-Zukunft für Asien erstmal eher nichts. Umso beklagenswerter ist es da, dass die Europäische Union mit ihren durch Brüssel bereits in Asien verhandelten und noch zu verhandelnden bilateralen Freihandelsverträgen so völlig hinter den Erwartungen an ein modernes Handelskonzept zurückbleibt. Bindende Klauseln zum Schutz von Menschenrechten, Arbeitsnormen und Umwelt – davon will man in Brüssel trotz neuer wertebasierter Handelspolitik („Trade for all“ genannt) vorerst nichts wissen. Asiatischen Partnernationen wird ein schön klingendes Nachhaltigkeitskapitel angeboten, in dem es lediglich beim „hätte-sollte-könnte“ bleibt. So sieht eine alternative Lösung für Asiens dringende Suche nach qualitativ besseren internationalen Partnern jedenfalls nicht aus.
4 Leserbriefe
Ich bin selber vor 10 Jahren nach NZ ausgewandert.Denn in einer Globalisierten Welt muss sich auch der Arbeiter Globalisieren können . Ich verdiene wesentlich mehr hier als in Deutschland bei gleichen / höheren Lebensstandard.
Hoffen wir, dass Trump möglichst vielen die Augen öffnet und wieder Vernunft und rationale Perspektive - das gilt auch für die zu Recht kritisierte politische Elite und Medien - eine Zukunft bekommen. Vielleicht können es doch vier gute Jahre werden!