Oft verlässt Wladimir Putin sein Land derzeit nicht. Eine seiner seltenen Auslandsreisen führte den russischen Staatschef nun nach Nordkorea. Der Besuch war erst seine zweite Reise in das Land in den 24 Jahren seiner Amtszeit. Die Vertiefung der Beziehungen zwischen den beiden Ländern hat wiederum in den Vereinigten Staaten erhebliche Bedenken hinsichtlich ihrer möglichen Auswirkungen auf den Krieg in der Ukraine sowie die Sicherheit auf der koreanischen Halbinsel ausgelöst.
Die Annäherung zwischen Russland und Nordkorea sorgt jedoch nicht nur in den USA, sondern auch in China für gemischte Gefühle, da sie für Peking neue Unsicherheiten mit sich bringt. Obwohl das Nachbarland China die wirtschaftliche Lebensader und der offizielle „Verbündete“ Nordkoreas ist, sind die Beziehungen zwischen Peking und Pjöngjang alles andere als eng, wie die jüngsten Entwicklungen zeigen.
Nordkoreas jüngste Provokationen und seine Verurteilung der gemeinsamen Erklärung von Südkorea, Japan und China auf ihrem ersten trilateralen Treffen seit 2019, in der die Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel erwähnt wird, gelten als seltener Affront gegenüber China. Zu den bemerkenswerten Provokationen gehört, dass das Regime in Pjöngjang beschloss, ausgerechnet während einer diplomatischen Initiative, an der auch China beteiligt war, einen Aufklärungssatelliten in die Erdumlaufbahn zu schießen. Schon Jahre zuvor hatte Nordkorea es darauf angelegt, China bloßzustellen, als es von einer Basis nahe der chinesischen Grenze aus eine ballistische Rakete abfeuerte, kurz bevor im Mai 2017 in Peking der Seidenstraßengipfel begann.
Seitdem hat sich die Dynamik in der Region erheblich verändert. Nachdem die chinesisch-nordkoreanischen Beziehungen 2017 ihren Tiefpunkt erreicht hatten, begannen sie sich nach dem ersten Treffen von Xi Jinping und Kim Jong-un im März 2018 deutlich zu verbessern. Aber obwohl die beiden Staatschefs sich seitdem fünfmal getroffen haben, ist die Beziehung nach wie vor alles andere als unproblematisch. Aufgrund der Corona-Pandemie schloss Nordkorea all seine Grenzen und stellte praktisch jeden Handel ein – auch den mit seinem größten Handelspartner China. Erst im April 2024 kam es wieder zu einem hochrangigen Besuch Chinas in Nordkorea, als Zhao Leji, Chinas dritthöchster Mann im Staat, die Delegation anführte.
Für China ist und bleibt das Regime in Pjöngjang eine wichtige Pufferzone gegen die zunehmende Umzingelung durch die USA.
Der Besuch fand vor dem Hintergrund zunehmender internationaler Besorgnis über Nordkorea statt, das seine aggressive Rhetorik und seine militärischen Raketentests intensivierte. Anfang 2024 hatte Kim Jong-un einen grundlegenden Politikwandel gegenüber Südkorea angekündigt: Er schloss die Möglichkeit einer friedlichen Wiedervereinigung Koreas aus und signalisierte dabei, dass er eher für Feindschaft als für Versöhnung sei. Im Jahr 2022 hatte Nordkorea bereits eine bis dahin nie dagewesene Zahl an Raketentests durchgeführt und 2023 mit russischer Unterstützung einen militärischen Aufklärungssatelliten erfolgreich ins All geschossen.
Die Isolation Russlands vom Westen aufgrund des russischen Angriffs auf die Ukraine hat letztendlich zu einer Vertiefung der Beziehungen zwischen Moskau und Pjöngjang geführt, was auch eine stärkere militärische Zusammenarbeit der beiden Staaten beinhaltet. Es wird vermutet, dass Russland für seinen Krieg in der Ukraine große Mengen an Munition und ballistischen Raketen aus Nordkorea erhält und dem Land im Gegenzug militärische Technologie liefert, die dessen militärische Fähigkeiten stärkt. Dieses neue und enge russisch-nordkoreanische Verhältnis stellt eine ernsthafte Herausforderung für den Westen in Europa und Nordostasien dar.
Peking, ein wichtiger Partner sowohl von Pjöngjang als auch von Moskau, hat bisher darauf verzichtet, sich zu den jüngsten Entwicklungen zu äußern. Aber die chinesischen Medien haben den Schuldigen schnell ausgemacht: Sie behaupten, dass es die „feindselige“ Politik der USA sei, die Russland und Nordkorea enger zusammenrücken lasse, wodurch die Sicherheitslage in beiden Regionen unterminiert werde. In dieser Darstellung der USA als wichtigstem Verursacher von Spannungen spiegelt sich Chinas Überzeugung wider, dass Washington und nicht Pjöngjang die größte Bedrohung bzw. der größte Feind sei.
Sehr zu Chinas Entsetzen haben die USA in Reaktion auf Nordkoreas zunehmende Fähigkeiten im Atom- und Raketenbereich ihre militärische Zusammenarbeit mit Südkorea und Japan verstärkt. Peking beschuldigt Washington schon seit langem, Nordkoreas Atomprogramm als Vorwand für eine Ausweitung seiner militärischen Präsenz in der Region zu nutzen und damit die Spannungen auf der koreanischen Halbinsel zu verschärfen. Die meisten der mit Außenpolitik Beschäftigten in China glauben, dass es den USA dabei nicht so sehr um die Abschreckung Nordkoreas gehe, sondern vielmehr um die Eindämmung Chinas.
Angesichts der Tatsache, dass China sowohl in seiner regionalen als auch globalen Außenpolitik den Fokus auf seine große Rivalität mit den USA richtet, ist es sehr unwahrscheinlich, dass Peking Druck auf Nordkorea oder Russland ausüben wird, um die Konflikte in Nordostasien oder Europa zu lösen. Für China ist und bleibt das Regime in Pjöngjang eine wichtige Pufferzone gegen die zunehmende Umzingelung durch die USA und ihre Verbündeten, während Russland ein wichtiger Partner gegen eine von den USA angeführte Weltordnung ist. Allerdings könnte Pekings Entscheidung für die „Nichteinmischung“ langfristig seine eigenen strategischen Interessen untergraben. Mit seiner Zurückhaltung in Bezug auf die engeren Verbindungen zwischen Russland und Nordkorea riskiert China möglicherweise eine Verschärfung der Spannungen auf der koreanischen Halbinsel.
Mit der Hilfe Russlands wird Nordkorea vermutlich die Entwicklung seines atomaren Potenzials beschleunigen.
Mit der Hilfe Russlands wird Nordkorea vermutlich die Entwicklung seines atomaren Potenzials beschleunigen. Das könnte wiederum eine stärkere Reaktion der USA hervorrufen und im schlimmsten Fall für Peking die Bildung einer – wie die Chinesen es nennen – „asiatischen NATO“ unter Führung der USA zur Folge haben, die sich gegen China richten würde. Zudem könnte eine Stärkung Nordkoreas zu einem aggressiveren und provokativeren Verhalten des Landes führen: Es könnte seine Waffentests weiter intensivieren und – was noch bedenklicher wäre – einen siebten Atomtest durchführen. Das würde China zwangsläufig in eine Lage bringen, einer Eskalation von Konflikten ausgesetzt zu sein, die es eigentlich vermeiden möchte.
Der internationale Druck auf China, vor allem vonseiten der USA, eine härtere Position gegen das Regime in Pjöngjang einzunehmen, würde sicherlich steigen. Man erinnere sich daran, wie unter der Trump-Regierung die Spannungen auf der koreanischen Halbinsel die bilateralen Unstimmigkeiten verschärften und sich auf andere Bereiche der Beziehungen zwischen China und den USA ausweiteten. Im Jahr 2017 verwob sich die vermeintliche Untätigkeit Chinas gegenüber Nordkorea mit den Bedenken der USA über die chinesischen Handelspraktiken, was letztlich zu einem Handelskrieg und Sanktionen führte, die bis heute Bestand haben.
Chinas langjährige strategische Priorität, die Stabilität aufrechtzuerhalten, statt eine Denuklearisierung anzustreben, hat es Nordkorea ermöglicht, sein Atomprogramm so weit auszubauen, dass es sehr schwierig sein wird, diese Entwicklung aufzuhalten. Offiziell hielt China immer an den drei Grundsätzen „kein Krieg, keine Instabilität und keine Atomwaffen“ fest, worin sich die Prioritätensetzung in Bezug auf die koreanische Halbinsel widerspiegelt. Mittlerweile ist jedoch offensichtlich, dass es unmöglich ist, gleichzeitig alle drei Ziele zu verfolgen, da die beiden ersten letztlich das dritte Ziel unterminieren und umgekehrt.
Peking ist sich sehr wohl darüber im Klaren, dass ohne eine Denuklearisierung kein Frieden und keine nachhaltige Stabilität auf der koreanischen Halbinsel und in Nordostasien erreichbar sind. In dieser Hinsicht hat die Ausweitung der Beziehungen zwischen Pjöngjang und Moskau das Dilemma Chinas intensiviert.
Der chinesischen Führung bereitet vor allem die trilaterale Kooperation zwischen Japan, Südkorea und den USA große Sorgen.
Da die Weltpolitik gerade verstärkt als Kampf zwischen Demokratie und Autoritarismus wahrgenommen wird, besteht die Tendenz, die engeren Bindungen zwischen Russland und Nordkorea als Teil der Bildung einer trilateralen Achse mit China zu sehen, die darauf ausgerichtet ist, den USA, Japan und Südkorea etwas entgegenzusetzen. Peking hat dieses Narrativ als eine Wiederbelebung der „Mentalität des Kalten Krieges“ und der „Blockpolitik“ angeprangert und die USA beschuldigt, die Region entlang ideologischer Linien spalten zu wollen, um eine antichinesische Front aufzubauen.
Der chinesischen Führung bereitet vor allem die zunehmende trilaterale Kooperation zwischen Japan, Südkorea und den USA große Sorgen. Statt sich seine Nachbarn zu Feinden zu machen, hat China vielmehr das Interesse, seine Beziehungen zu Seoul und Tokio zu verbessern, um Reibungen zu reduzieren und dem Einfluss der USA entgegenzuwirken. Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Handel werden als maßgebliche Faktoren für die Ankurbelung der wirtschaftlichen Erholung Chinas nach der Pandemie und für die Aufrechterhaltung von Frieden und Stabilität in der Region erachtet. Nordkorea ist dabei jedoch ein schwieriges Problem und seine provokativen Aktionen sind ein Störfaktor in Chinas Bemühungen um ein kooperativeres Klima in Nordostasien.
Trotz Pekings wirtschaftlicher und diplomatischer Unterstützung für Pjöngjang sind die beiden Länder alles andere als enge Freunde. Allein die Tatsache, dass Kim Jong-un seine erste Auslandsreise nach der Pandemie nach Moskau und nicht nach Peking unternahm, weckt Zweifel an den guten Beziehungen zwischen China und Nordkorea. Hinzu kommt, dass sich Nordkorea um eine Verbesserung seiner Beziehungen zum Iran bemüht, um sich einerseits weiter aus seiner Isolation zu befreien und seine strategischen Partnerschaften zu diversifizieren, aber auch um seine Zusammenarbeit im Bereich nuklearer und ballistischer Raketen zu stärken. Diese neue Dynamik erschwert es China ganz erheblich, für ein Gleichgewicht in der Region zu sorgen.
Aus dem Englischen von Ina Görtz