Häufig werden die bi- und multilateralen Beziehungen in Südasien aus indischer Perspektive betrachtet, dem bei weitem größten, bevölkerungsreichsten und sich schnell entwickelnden Land – das zudem den Anspruch hat, Wortführer des Globalen Südens zu werden. Allerdings spielt Pakistan auch eine wichtige Rolle, und zwar nicht nur als direkter Nachbar Afghanistans, weshalb das Land häufig nur im Zusammenhang mit dem dortigen Konflikt in den Nachrichten auftaucht. Sondern auch aufgrund seiner Rolle als historischer Widersacher Indiens, als erste muslimische Nuklearmacht und darüber hinaus als direkter Nachbar und enger Verbündeter Chinas. Pakistan ist in seinen außenpolitischen Beziehungen besonders herausgefordert, die Balance zwischen den sogenannten „großen Zwei“ – USA und China – zu halten. Abgesehen von seiner Rolle in der großen Geopolitik, die sich in der Region abspielt, ist Islamabad auch Teil einer politisch bunten Nachbarschaft mit geringer regionaler Integration und viel Potenzial für Umbruch.
Einher mit den pakistanischen Wahlen im Februar ging die Hoffnung auf etwas Stabilität im politisch chronisch instabilen „Land der Reinen“ (so die Übersetzung des Namens), das unter einer schweren Finanzkrise, hoher Inflation, steigender Armut und Arbeitslosigkeit, dem Klimawandel und zunehmend unter terroristischen Anschlägen leidet. Doch der Urnengang konnte in Pakistan nicht für die seit Langem erhoffte Stabilität sorgen. Eigentlich hatte die Partei des ehemaligen und nun inhaftierten Premierministers Imran Khan, die Bewegung für Gerechtigkeit (Tehrik-e Insaf, PTI), am meisten Stimmen bekommen. Jedoch durfte diese nicht als Partei antreten, ihre Kandidatinnen und Kandidaten traten stattdessen als Unabhängige an. Sie stellen nun die größte Gruppe der Abgeordneten im Parlament. Nach nationalen und internationalen Medienberichten kam es zu großen Unstimmigkeiten beim Wahlergebnis. Zu einer Regierungsbildung reicht es deshalb nicht.
Die Dynastien der Sharifs und Bhutto-Zardaris sind also weiterhin an der Macht.
Neuer Premier ist Shebaz Sharif, der kleine Bruder des dreimaligen Premiers Nawaz, der einer Minderheitsregierung vorsteht. Seine konservative PML-N ist dafür offiziell eine Partnerschaft mit der Pakistanischen Volkspartei (PPP) und sechs kleinen weiteren Parteien eingegangen, die aber nur über eine knappe Mehrheit verfügt. Präsident von Pakistan ist seit April Asif Ali Zardari von der PPP, der Witwer der 2007 ermordeten ehemaligen Premierministerin Benazir Bhutto. Die Dynastien der Sharifs und Bhutto-Zardaris sind also weiterhin an der Macht.
International gab es verhältnismäßig wenig beziehungsweise zurückhaltende Kritik am umstrittenen pakistanischen Wahlausgang. Nach zwei Jahren Krise ohne Ende – dem Misstrauensvotum gegen den damaligen Premier Imran Khan, gewalttätigen Unruhen und einer Übergangsregierung – gibt es wohl einen internationalen Wunsch nach Stabilität in Pakistan. Der chinesische Präsident beglückwünschte die neue Regierung umgehend. Die USA, die EU und Großbritannien mahnten zwar Untersuchungen des Wahlergebnisses an, erklärten aber zugleich, dass sie mit der nächsten Regierung zusammenarbeiten würden. In Pakistan erklärt man sich diese Zurückhaltung damit, dass deren Fokus eher auf der Ukraine und auf dem Israel-Gaza-Krieg liege.
Es lohnt sich, Pakistan aus dem Gesamtkontext der Region Südasien zu betrachten.
Es lohnt sich, Pakistan im Gesamtkontext der Region Südasien zu betrachten. Insgesamt leben dort fast zwei Milliarden Menschen, also etwa ein Viertel der Weltbevölkerung – Tendenz steigend. Dies hat wichtige geopolitische und geoökonomische Bedeutung, insbesondere bei Themen wie Nahrungsmittelsicherheit, Klimawandel oder Migration. Allerdings ist es um die Zusammenarbeit und das Vertrauen in der Region schlecht bestellt. Die Beziehungen zwischen den beiden Atommächten und bevölkerungsreichsten Staaten Pakistan und Indien sind weiterhin unterkühlt. Vor allem aus jeweils innenpolitischen Gründen liegen die diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen quasi auf Eis. Beide Seiten stellen Vorbedingungen für die Wiederaufnahme normaler bilateraler Beziehungen, welche die jeweils andere Seite nicht erfüllen will.
Das pakistanisch-afghanische Verhältnis wird immer angespannter: Fast eine halbe Million nicht registrierter afghanischer Flüchtlinge wurden Ende des vergangenen Jahres aus Pakistan abgeschoben beziehungsweise verließen aus Furcht das Land. Zudem haben Anschläge in Pakistan in den letzten Monaten zugenommen, weil seit der Übernahme Afghanistans durch die De-facto-Regierung der Taliban im August 2021 die pakistanischen Taliban angeblich Rückzugsräume in Afghanistan nutzen, um von dort aus Ziele in Pakistan anzugreifen. Im Sommer 2023 trafen Anschläge unter anderem die Hafenbehörde von Gwadar am Arabischen Meer und chinesische Ingenieure, die an einem Staudamm in Khyber Pashtunkha, der Grenzprovinz zu Afghanistan, arbeiteten. China stellte daraufhin die Arbeit an einigen Projekten in Pakistan ein – ein Rückschlag für die Regierung in Islamabad, die versucht, Investitionen ins Land zu holen.
Angesichts der sich verschlechternden Sicherheitslage ist Islamabad sichtlich frustriert über Kabul. Nach einem kürzlichen Angriff auf die Armee in Khyber Pashtunkha setzte Pakistan seine Luftwaffe gegen Ziele in Afghanistan ein, was wiederum eine scharfe Reaktion der Taliban hervorgerufen hat. Routinemäßig kommt es nun zu grenzüberschreitendem gegenseitigem Beschuss. Islamabad hat massive Schwierigkeiten, die Sicherheitslage in den Griff zu bekommen.
Auch die Beziehungen zwischen Pakistan und Iran sind angespannt: Um die vergangene Jahreswende herum beschossen beide Länder wechselseitig angeblich militante Gruppierungen auf der jeweils anderen Seite der Grenze. Im Januar 2024 versicherten sich die beiden Außenminister, die Souveränität des jeweiligen Nachbarstaates zu achten. Sie äußerten zugleich ihre Sorge, dass infolge des Israel-Gaza-Krieges und der jüngsten gegenseitigen militärischen Angriffe zwischen Iran und Israel die Spannungen in der Region noch weiter zunehmen könnten.
Gänzlich abgekühlt haben sich die Beziehungen zwischen Pakistan und Bangladesch, seitdem die Awami-Liga-Regierung in Dhaka 2008 die Zügel in die Hand genommen hat. Diplomatische Schlagabtausche rufen einmal mehr die bitteren Erinnerungen an den Krieg und die Abspaltung Bangladeschs von Pakistan im Jahr 1971 wach, die auch nach mehr als 50 Jahren noch immer traumatisch nachwirken. Ursprünglich war Bangladesch nach der Teilung des ehemaligen Britisch-Indien im Jahr 1947 zunächst Teil Pakistans. Jedoch entwickelte sich eine starke separatistische Bewegung im Ostteil Pakistans, dem heutigen Bangladesch; mit viel Gewalt versuchte der Westteil, Pakistan, die Bewegung zu unterdrücken. Nach dem Eingreifen Indiens wurde Bangladesch schließlich unabhängig. Bangladesch erwartet bis heute eine Entschuldigung Pakistans für das damalige Vorgehen. Nur gelegentliche offizielle Begegnungen auf mittlerer Ebene halten einen Gesprächskanal zwischen den beiden Staaten offen.
Südasien gehört zu den wirtschaftlich und sicherheitspolitisch am wenigsten integrierten Regionen der Welt.
Nicht besser als bei den bilateralen Beziehungen zwischen Pakistan und seinen Nachbarländern sieht es auch bei der multilateralen Zusammenarbeit in Südasien aus. Im Jahr 1985 entstand die Südasiatischen Vereinigung für Regionale Kooperation (SAARC), eine Regionalorganisation, welche die regionale und wirtschaftliche Integration zwischen ihren Mitgliedstaaten Afghanistan, Bangladesch, Bhutan, Indien, Malediven, Nepal, Pakistan und Sri Lanka fördern soll. Obwohl fast ein Viertel der Menschheit in der Region lebt, gehört Südasien zu den wirtschaftlich und sicherheitspolitisch am wenigsten integrierten Regionen der Welt. Der Hauptgrund dafür ist die anhaltende Rivalität zwischen Pakistan und Indien. Die SAARC ist deren Geisel. Das letzte Gipfeltreffen dieser Vereinigung liegt fast zehn Jahre zurück.
In letzter Zeit wurde die indisch-pakistanische Feindseligkeit durch die Einmischung der Großmächte China und USA in Südasien ergänzt, was sie zunehmend zu einem Austragungsplatz für Großmachtkonfrontation macht. Die „großen Zwei“ sind in einen wirtschaftlichen Wettbewerb getreten, finanzieren Infrastrukturprojekte zur Konnektivität und zeigen militärische Präsenz. Zudem stehen China und Indien in Konkurrenz, was die Führung des sogenannten Globalen Südens angeht. Indien sieht sich dabei in einer Liga mit China. Dies birgt die Gefahr, die Region in gegensätzliche Machtblöcke aufzuteilen, die Nullsummenspiele betreiben – was die Chancen für eine wirtschaftliche Integration in Südasien weiter schmälern könnte.
Das Kräftemessen zwischen den USA und China hat auch Pakistan ins Zentrum ihrer geopolitischen Strategien gerückt.
Das Kräftemessen zwischen den USA und China hat auch Pakistan ins Zentrum ihrer geopolitischen Strategien gerückt. Beide Supermächte konkurrieren um Einfluss, wenn auch mit unterschiedlicher Zielrichtung. Diese Situation hat ein komplexes Umfeld geschaffen, in dem Pakistan sich inmitten der Rivalität der Großmächte wiederfindet. Pakistans langjährige strategische Partnerschaft mit China im wirtschaftlichen und infrastrukturellen Bereich und seine historisch turbulenten sicherheitspolitischen Beziehungen zu den USA machen es für Islamabad sowohl unmöglich als auch unerwünscht, sich eindeutig einem der beiden entstehenden globalen Blöcke anzuschließen.
Diese komplexe Dynamik spiegelt sich in Pakistans Nationaler Sicherheitspolitik 2022–2026 wider, in der ausdrücklich die pragmatische Absicht bekundet wird, sich nicht in die Blockpolitik einzugliedern, neutral zu bleiben und sich – ohne eindeutige West- oder Nordostbindung (aus pakistanischer Perspektive) – nicht in die Rivalitäten der Supermächte zu verstricken. Dieser Ansatz zielt nicht nur auf die Aufrechterhaltung freundschaftlicher Beziehungen zu beiden Supermächten ab, sondern auch darauf, möglicherweise als Vermittler fungieren zu können, um Differenzen zwischen den USA und China zu überbrücken.
Durch die Aufrechterhaltung ausgewogener Beziehungen sowohl zu den USA als auch zu China ist Pakistan bestrebt, seine einzigartige Position zu seinem Vorteil zu nutzen, obwohl sein geopolitischer Einfluss relativ gering ist. Ob Pakistan in der Lage sein wird, entsprechend zu navigieren, bleibt abzuwarten. Für Islamabad bedeutet das einen Balanceakt zwischen dem Engagement Chinas in seinem Land, der Zusammenarbeit mit den USA und einer abwägenden Politik gegenüber dem großen Nachbarn Indien, das gerade einen neuen – oder auch altbekannten – Präsidenten wählt. Von einer Hoffnung auf eine bessere Integration und Kooperation in Südasien ist zugleich im „Land der Reinen“ wenig zu spüren.