Die Menschheit ist derzeit mit mehreren Krisen gleichzeitig konfrontiert, die von der anhaltenden Covid-19-Pandemie bis hin zu den sich verschärfenden Herausforderungen des Klimawandels reichen. Auf den Wirtschaftseinbruch durch die Pandemie folgte ein Aufschwung, der zu einem starken Anstieg der Energiepreise führte. Zudem startete Russland vor den Augen der ganzen Welt eine militärische Invasion in der Ukraine. Die daraufhin von den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union verhängten Wirtschaftssanktionen gegen Russland sowie die Reduzierung der Gasimporte haben die Energiekrise weiter verschärft.
Der japanische Premierminister Fumio Kishida nutzte die Besorgnis in der Bevölkerung angesichts der Krise aus, um eine Rückkehr zur Kernkraft anzukündigen. Auch wenn noch unklar ist, was das genau bedeutet, wurde seine Politik bisher in der breiten Öffentlichkeit nicht sonderlich kritisiert. Vor dem Hintergrund der Kontroversen, die in Japan seit der Nuklearkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011 geführt werden, fällt es jedoch schwer zu glauben, dass das Land wieder auf Kernenergie setzen wird.
Am 24. August erklärte Premierminister Kishida auf der zweiten Sitzung der von ihm ausgerichteten Global Green Transformation Conference, dass neben der Wiederaufnahme des Betriebs bestehender Kernkraftwerke „jede Option auf dem Tisch“ liege. Dies schließe die Idee ein, neue, hochmoderne Reaktoren zu entwickeln – ein Vorschlag, der im ursprünglichen Sechsten Energiestrategieplan vom Oktober 2021 noch nicht enthalten war.
Deutschland hingegen ist aufgrund des russischen Einmarsches in die Ukraine mit einer Energiekrise konfrontiert und hält trotzdem an seinem Kurs zum Ausstieg aus der Kernenergie fest. Die deutsche Umweltministerin Steffi Lemke hielt am 22. September im Deutschen Bundestag eine Rede, in der sie drei Gründe nannte, warum Deutschland den Ausstieg aus der Kernenergie nicht stoppen wird: Erstens ist ihre Nutzung riskant, wie Tschernobyl, Fukushima und andere Katastrophen gezeigt haben. Zweitens sind Atomkraftwerke teuer und sorgen für hochgiftige Hinterlassenschaften, mit denen künftige Generationen fertig werden müssen. Und drittens können sie zu Kriegszielen werden, wie Russland in der Ukraine bewiesen hat. Lemke betonte: „Es ist verantwortungslos, wenn Sie mit dieser Hochrisikotechnologie umgehen, als wäre es eine Kaffeemaschine, die Sie ab und zu mal an- und ausknipsen, neu mit Wasser befüllen, einen neuen Filter reinmachen und sie dann wieder anschalten.“ Sie warnte all jene vor den Folgen einer Rückkehr zur Kernkraft, die angesichts der Energiekrise derzeit ins Wanken geraten.
Es gibt keinen rationalen Grund, Kernkraft weiter zu unterstützen.
Japan, das einen der schlimmsten Atomunfälle der Weltgeschichte erlebt hat, kehrt nun scheinbar ohne Reue zu einer Pro-Atomkraft-Haltung zurück. Deutschland hingegen hat auf der Grundlage einer ethischen Bewertung beschlossen, die Kernkraftwerke angesichts der vergangenen Unfälle abzuschaffen. Das Land hat den Ausstieg aus der Kernkraft kontinuierlich vorangetrieben und ist weltweit ein Vorbild bezüglich der Umstellung auf erneuerbare Energien.
Es gibt keinen rationalen Grund, Kernkraft weiter zu unterstützen. Kernkraftwerke sind nicht sicher vor Erdbeben und Tsunamis, sie gefährden die Anwohner und es gibt derzeit keinen Plan für eine sichere Endlagerung des vorhandenen Atommülls – ganz zu schweigen von den Abfällen, die entstehen, wenn die Reaktoren nicht umgehend stillgelegt, sondern wieder hochgefahren werden.
Vor allem aber helfen Kernkraftwerke nicht bei den oft angeführten Stromengpässen. Stromknappheit ist ein Problem, das mit einem Ungleichgewicht an Angebot und Nachfrage während der Spitzenzeiten der maximalen Nachfrage zusammenhängt. Daher hilft die Wiederinbetriebnahme von Kernkraftwerken im Grundlastbetrieb nicht bei akuten Engpässen. Durch eine einfache Senkung der Spitzennachfrage um 0,5 Prozent im Jahresmittel aber würde die maximale Nachfrage um etwa zehn Prozent sinken (das entspricht etwa 5 Millionen kW im Versorgungsgebiet der Tokyo Electric Power Company, TEPCO).
Der effektivste Weg, dies zu erreichen, sind Energiesparmaßnahmen und der Einsatz von Speicherbatterien. Die Regierung sollte den Ausbau von sogenannten Demand-Side-Response-Systemen und nachfrageseitigen Speicherbatterien vorantreiben.
Um den Klimawandel zu bekämpfen, braucht es mittel- bis langfristige sowie dauerhafte Lösungen. Aus diesem Grund ist der richtige Weg, Energie einzusparen, verbunden mit einem Umstieg auf erneuerbare Energien. Japans Kernkraftwerke sind bereits recht alt und müssen in naher Zukunft in großem Umfang stillgelegt werden. Selbst wenn neue Kernkraftwerke gebaut werden sollten (wie es in Europa und den Vereinigten Staaten der Fall war), wird es aufgrund der hohen Kosten und der Verzögerungen beim Bau fast unmöglich sein, sich auf sie als Energielieferanten zu verlassen.
Kernkraftwerke sind anfällig für den Klimawandel.
Darüber hinaus sind Kernkraftwerke selbst anfällig für den Klimawandel. Hohe Temperaturen, Stürme und Überschwemmungen zwingen zu unvorhergesehenen Abschaltungen über lange Zeiträume, wie dies derzeit in Frankreich der Fall ist.
Gegenwärtig herrscht weltweit große Begeisterung für kleine modulare Kernkraftreaktoren (Small Modular Reactors, SMR) und Reaktoren der nächsten Generation. Diese Begeisterung ist jedoch unbegründet. Während selbst die bereits in Betrieb genommenen großen Kernkraftwerke im Vereinigten Königreich, in Frankreich, Finnland und anderen Ländern unter hohen Kosten und Bauverzögerungen leiden, werden SMR und Reaktoren der nächsten Generation noch höhere Kosten verursachen. Kostensenkungen durch Massenproduktion sind nicht zu erwarten, da es sich um verschiedene Reaktortypen handelt und die Nachfrage nach ihnen gering ist.
Zudem fallen auch bei diesen Reaktortypen nukleare Abfälle an, die ein wesentlicher Bestandteil der Energieerzeugung durch Kernkraft sind – und eines ihrer grundlegendsten Probleme. Da man davon ausgeht, dass eine große Anzahl von SMR an einem Ort aufgestellt wird, besteht die Möglichkeit einer Kettenreaktion, wie sie im Kernkraftwerk Fukushima Nr. 1 mit seinen vier Reaktoren aufgetreten ist. Mit anderen Worten: Kleine Kernkraftwerke sind eindeutig eine Fehlinvestition und ihre Entwicklung sollte sofort gestoppt werden.
Zumal Wissenschaftlerinnen im Juli zu dem Schluss gekommen sind, dass es wirtschaftlich machbar ist, bis zum Jahr 2050 weltweit 100 Prozent des Energieverbrauchs durch erneuerbare Energien zu decken. Während dieses Ziel traditionell als langfristig betrachtet wurde, besteht ein wissenschaftlicher Konsens darüber, dass es unerwartet schnell und kostengünstig erreicht werden kann. Darauf sollte in Zukunft der Fokus liegen statt auf dem Bau neuer Kernkraftwerke. Kurzfristig sind Stromsparen und Spitzenverschiebung durch den Einsatz von Speicherbatterien, deren Kosten rapide sinken, immer noch wirksame Maßnahmen.
Wenn zudem die unerschöpfliche und reichlich vorhandene Solarenergie, die weder Treibhausgase noch Radioaktivität freisetzt, vor Ort und im eigenen Land produziert werden kann, ist es nicht mehr notwendig, neue Kernkraftwerke zu entwickeln, geschweige denn bestehende wieder in Betrieb zu nehmen. Auch Japan sollte alle Anstrengungen unternehmen, um in naher Zukunft 100 Prozent erneuerbare Energie zu erreichen.
Aus dem Englischen von Lucie Kretschmer