Der andauernde Monsunregen richtet in Pakistan verheerende Schäden an. Bislang sind nach offiziellen Angaben mehr als 1 000 Menschen gestorben, rund 10 Millionen Häuser fielen den Fluten zum Opfer und mehr als 33 Millionen Menschen sind betroffen. Etwa 70 Prozent des pakistanischen Staatsgebiets ist von den extremen Niederschlägen und darauffolgenden Überflutungen gezeichnet. Ersten Berichten zufolge belaufen sich die Schäden auf mindestens 5,5 Milliarden US-Dollar. Angesichts der ohnehin angespannten wirtschaftlichen Lage in Pakistan ist das eine gigantische Summe. Betroffen von der Katastrophe sind auch die für die Nahrungsmittelproduktion bedeutenden fruchtbaren Gebiete in der südlichen Ebene Pakistans. Es droht – neben dem Verlust an Menschenleben, Wohnungen und Infrastruktur – auch die Beeinträchtigung der Ernährungssicherheit. Doch damit nicht genug, denn für den September erwartet die Regierung erneut extreme Niederschläge.
Es ist nicht die erste Monsunzeit mit katastrophalen Auswirkungen in Pakistan. Bereits 2010 und 2011 hat das südasiatische Land schwere Flutkatastrophen erlebt. Dies ist allerdings die erste schwere Naturkatastrophe, die sich in Echtzeit in den sozialen Medien abspielt. Twitter und Facebook sind voll mit dramatischen Videoaufnahmen von einstürzenden Gebäuden, Straßenzügen, die einfach weggeschwemmt werden, und dazwischen immer wieder Menschen, die verzweifelt um ihr Leben kämpfen. In der Bevölkerung wächst die Wut auf die politischen Entscheidungsträger und staatlichen Organe, die anscheinend wenig aus den vergangenen Desastern gelernt haben. Die Behörden, von der Kommune bis zur Bundesregierung in Islamabad, waren erschreckend überfordert; Vorbereitungen wurden offensichtlich nicht getroffen. Es sind vor allem die zahllosen freiwilligen Helfer vor Ort, zivilgesellschaftliche Organisationen und die große Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung, die die Not zumindest einiger Betroffener lindern.
Der Klimawandel führt in Pakistan dazu, dass weite Teile des Landes unbewohnbar sein werden.
Die Katastrophe hätte für Pakistan zu keinem schlechteren Zeitpunkt kommen können. Der im Frühjahr abgesetzte Premierminister Imran Khan und sein Nachfolger liegen im Dauerclinch. Die Wirtschaft steht unter der doppelten Belastung der abklingenden Covid-Pandemie und der durch den Krieg gegen die Ukraine massiv gestiegenen Energiepreise. In diesen Tagen wird erwartet, dass der Internationale Währungsfonds ein dringend benötigtes Rettungspaket freigibt, welches die pakistanische Wirtschaft vor dem Totalabsturz bewahren soll. Doch all diese erschwerenden Umstände sind keine Erklärung dafür, warum man nicht vorausgesehen hat, was man hätte voraussehen müssen: Extremwetter-Ereignisse nehmen seit Jahren zu und die extremen Niederschläge in diesem Jahr wurden vom staatlichen meteorologischen Dienst korrekt prognostiziert. All das nützt jedoch nichts, wenn es an einer Strategie zur Prävention und Bewältigung von Flutkatastrophen fehlt.
Der Blick sollte jetzt allerdings nicht in die Vergangenheit gerichtet werden. Der Klimawandel stellt Pakistan vor eine gigantische Herausforderung und es bleibt nicht mehr viel Zeit, sich darauf einzustellen – Pakistan gehört bereits jetzt zu den am stärksten vom Klimawandel betroffenen Ländern der Welt.
Zu den Folgen des Klimawandels in Pakistan gehören neben extremem Regen und Überflutungen auch Hitzewellen und Dürreperioden. Diese Entwicklungen können sich gegenseitig verstärken, wenn etwa Hitzewellen zu Gletscherschmelze und Sturzfluten führen oder die Meereserwärmung in der Regenzeit zu stärkerem Niederschlag führt. Laut dem IPCC-Bericht 2021 ist die Wahrscheinlichkeit eines extremen Niederschlagsereignisses, welche im Jahr 1900 noch alle zehn Jahre stattfanden, mittlerweile 1,3-mal wahrscheinlicher und dabei 6,7 Prozent intensiver. Wenn die durchschnittliche globale Temperatur um 4 Grad ansteigt, werden solche Ereignisse mit einer 2,7-mal höheren Wahrscheinlichkeit und einer zusätzlichen Intensität von 30,2 Prozent eintreten. Ähnliche Ereignisse, wie die diesjährigen Überschwemmungen würden dann alle drei bis vier Jahre mit jeweils zunehmender Intensität auftreten.
Der Klimawandel führt in Pakistan dazu, dass mittel- bis langfristig weite Teile des Landes unbewohnbar sein werden. Nicht weniger dramatisch sind die sozio-ökonomischen Folgeprobleme des Klimawandels in Pakistan: Nahrungsmittel- und Wasserunsicherheit, erzwungene Migration, Arbeitslosigkeit und Verlust der Lebensgrundlagen. Der Klimawandel ist in Pakistan ein Bedrohungsmultiplikator, der bestehende Probleme weiter verschärft. Pakistan lebt damit bereits jetzt in der neuen Normalität einer erwärmten Welt und muss, wie andere Länder in Südasien, seine Politik stärker auf die Bewältigung der Folgen des Klimawandels als auf dessen Verhinderung fokussieren.
Die Anpassung an den Klimawandel erfordert mehr als bloß ökologische oder soziale Kampagnen.
Dafür muss Pakistan vor allem das Katastrophenmanagement ganzheitlicher betrachten, denn die Anpassung an den Klimawandel erfordert mehr als bloß ökologische oder soziale Kampagnen. Sie verlangt konsequentes und langfristiges Handeln vor allem von Seiten des Staates. Die unmittelbarste Erkenntnis aus den jüngsten Überschwemmungen sollte sein, dass extreme Wetterereignisse zu einem regelmäßig wiederkehrenden Ereignis geworden sind, mit welchem gerechnet werden muss. Es braucht daher einen gesamtgesellschaftlichen Konsens über die Bedeutung der daraus folgenden Aufgaben sowie ein aufeinander abgestimmtes Handeln in allen staatlichen Ebenen, um das bestehende Durcheinander an Zuständigkeiten zu überwinden.
Konkrete Projekte, die nun schnellstmöglich angegangen werden müssen, sind die Wiederaufforstung und Einrichtung von Überschwemmungsgebieten. Perspektivisch müssen die Fehler der Vergangenheit korrigiert werden: Trotz der Zunahme von Extremwetter-Ereignissen und der Abnahme der Niederschlagsmengen wog man sich vielerorts in unmittelbarer Nähe von vorübergehend sogar ausgetrockneten Flussläufen in einem falschen Sicherheitsgefühl – einer der Hauptgründe für die verheerenden Auswirkungen der diesjährigen Flut. Beim Wiederaufbau der zerstörten Gebiete müssen bei Bau- und Infrastrukturvorhaben von Anfang an extreme Wetterereignisse mitbedacht werden. Hierzu bedarf es einer Stärkung der schwachen Verwaltungsstrukturen vor Ort sowie das konsequente Vorgehen gegen die weit verbreitete Korruption.
Großer Anpassungsbedarf besteht auch in der Landwirtschaft. Wetterbedingte Ernteausfälle beeinträchtigen die Arbeits- und Lebensbedingungen der Landbevölkerung. Das führt zu steigenden Lebensmittelpreisen, unter denen insbesondere die von Armut betroffenen Bewohner der Städte leiden. Anpassung an den Klimawandel bedeutet daher auch, die soziale Absicherung in der noch von einfacher Handarbeit und Kleinstbetrieben geprägten Agrarproduktion zu verbessern und mit technischen Hilfsmitteln Ernteausfällen vorzubeugen. Zusätzlich müssen landwirtschaftliche Flächen dort angelegt werden, wo Überflutungen weniger wahrscheinlich sind.
Tiefgreifende Veränderungen sind nur möglich, wenn Betroffene miteinbezogen werden.
Solche tiefgreifenden Veränderungen sind jedoch nur möglich, wenn die Betroffenen miteinbezogen und Lösungen gefunden werden, die von den lokalen Gemeinden akzeptiert werden. Ein Pilotprojekt der National University of Sciences and Technology in Gilgit-Baltistan zeigt, wie die Wissenschaft, staatliche Behörden und lokale Gemeinden dabei helfen können, zukünftige Katastrophen zu verhindern. Im Ishkoman-Tal etwa modellieren Wissenschaftler, welche Gefahren durch die vom Klimawandel beschleunigte Gletscherschmelze drohen. Anschließend wird gemeinsam mit den Betroffenen nach Möglichkeiten gesucht, zukünftige Katastrophen beispielsweise durch eine bessere Raumplanung zu vermeiden. Im größeren Maßstab bedeutet dies, dass Staat und Gesellschaft gemeinsam an der Anpassung an den Klimawandel arbeiten, denn die Klimakrise ist längst keine Umweltkrise mehr, sondern auch eine Ernährungskrise, Gesundheitskrise, Entwicklungskrise und Flüchtlingskrise. Wenn Pakistan diese umfassende Anpassung an die neue Normalität nicht bald gelingt, werden sich Katastrophen wie die Überschwemmungen in diesem Jahr immer wieder und immer regelmäßiger ereignen.
Eine große Herausforderung bleibt hierbei die starke Abhängigkeit Pakistans von ausländischen Hilfen und Krediten, jedoch ist nicht erst seit diesem Jahr eine gewisse Erschöpfung der Geber zu erkennen. Internationale Hilfszusagen für die Flutkatastrophe sind zögerlich, und die zugesagten Summen stehen in keinerlei Verhältnis zum Ausmaß der Katastrophe. Es ist deutlich spürbar, dass insbesondere im Westen andere Probleme als dringender wahrgenommen werden und das Interesse an der Region seit dem Abzug der westlichen Truppen aus Afghanistan nachgelassen hat. Doch gerade jetzt bräuchte Pakistan die Unterstützung des Westens, um sich an einen Klimawandel anzupassen, zu dem das Land selbst kaum beigetragen hat.