Der philippinische Präsident Ferdinand Marcos Jr. hat das neue Jahr mit einem mit Spannung erwarteten Staatsbesuch in Peking begonnen. Dort traf er mit hochrangigen chinesischen Politikern zusammen, darunter Premier Li Keqiang und der mächtige Staatspräsident Xi Jinping. Laut offiziellen Verlautbarungen war die Reise sehr erfolgreich: Der neue philippinische Präsident habe Investitionszusagen im Umfang von 22,8 MilliardenUS-Dollar erhalten sowie 14 Abkommen in allen wichtigen Bereichen der bilateralen Zusammenarbeit mit China abgeschlossen.

Der auf den ersten Blick schöne Schein trügt jedoch. Tatsächlich gelang es Marcos Jr. nicht, Peking auch nur ein einziges größeres Zugeständnis in weiterhin offenen Fragen abzuringen, allen voran in Bezug auf die Territorialkonflikte im Südchinesischen Meer und die bisher unerfüllten chinesischen Zusagen für Infrastrukturinvestitionen in den Philippinen. All diese Probleme bestanden bereits während der Präsidentschaft von Rodrigo Duterte (2016–2022), der Peking – auf Kosten der westlichen Partner – gern hofierte.

Anstatt die Annäherungsversuche des Ex-Präsidenten zu erwidern, machte China meist leere Versprechungen. Dadurch wuchs das Misstrauen der philippinischen Bevölkerung gegenüber der asiatischen Supermacht. Statt in eine „Schuldenfalle“ sind die Philippinen unter Duterte in eine chinesische „Versprechensfalle“ getappt. Duterte zeigte sich sehr nachgiebig bei den maritimen Ansprüchen seines Landes und drohte stattdessen wiederholt den westlichen Verbündeten – alles, um in Peking gut anzukommen. Wenn die chinesische Führung Marcos Jr. nun erneut nichts Substanzielles anbietet, dürften die Philippinen ihre Beziehungen zum Westen wieder stärken. Sollte China seine aggressive Expansionspolitik im Südchinesischen Meer fortsetzen, werden sich die Philippinen gezwungen sehen, ihre militärische Zusammenarbeit mit ihren traditionellen Verbündeten weiter zu vertiefen.

Der einzige Sohn des ehemaligen philippinischen Diktators hatte im vergangenen Jahr bereits ein halbes Dutzend Kurztrips ins Ausland unternommen. Sein erster hochrangiger Staatsbesuch in Peking vom 3. bis 5. Januar war jedoch seine erste wirklich groß angelegte Reise nach Übersee. Für Februar ist ein Staatsbesuch in Tokio geplant sowie wahrscheinlich ein weiterer im Weißen Haus in Washington im Laufe des Jahres. Damit ist Marcos Jr. nach Rodrigo Duterte erst der zweite philippinische Staatschef der Gegenwart, der sich für seinen Antrittsbesuch für China und nicht für traditionelle Verbündete wie die Vereinigten Staaten entschieden hat.

Oberflächlich betrachtet scheint Marcos Jr. ein idealer Partner für China zu sein.

Oberflächlich betrachtet scheint Marcos Jr. ein idealer Partner für China zu sein. Die meisten Beobachter gingen bisher davon aus, dass er die pro-chinesische Außenpolitik seines Vorgängers fortsetzen würde, sobald er an der Macht ist. Dafür spricht zunächst einmal seine persönliche Geschichte: Vor seinem Antrittsbesuch in Peking verwiesMarcos Jr. wiederholt auf seine vorherigen Begegnungen mit führenden chinesischen Politikern als potenzielle Grundlage für stärkere bilaterale Beziehungen. Mitte der 1970er Jahre hatte er, damals als Quasi-Thronfolger, seine Eltern bei diplomatischen Besuchen nach China begleitet, wo er unter anderem Mao Tse-tung traf. Sein Vater Marcos Sr., der die Philippinen mit eiserner Hand regierte, war damals einer der ersten Verbündeten der USA, der formelle diplomatische Beziehungen mit dem maoistischen China aufnahm.

Als Gouverneur der nordwestlichen Provinz Ilocos Norte unterhielt Marcos Jr. auch nach der Vertreibung seiner Familie aus dem Malacañan-Palast gute wirtschaftliche und diplomatische Beziehungen zu Peking. Auch als Präsidentschaftskandidat unterstützte er mehrfach die peking-freundliche Außenpolitik des damaligen scheidenden Präsidenten Rodrigo Duterte. Nach seinem Wahlsieg führte Marcos Jr. dann ein ausführliches Telefongespräch mit seinem chinesischen Amtskollegen Xi Jinping, in dem er versprach, dafür zu sorgen, dass die bilateralen Beziehungen eine neue Stufe erreichen werden.

Angesichts der vielfältigen wirtschaftlichen Probleme im eigenen Land, insbesondere im Bereich Infrastruktur, hat der philippinische Präsident China wiederholt als einen wichtigen Entwicklungspartner bezeichnet. Um den Erfolg seiner Reise nach Peking zu gewährleisten, hatte Marcos Jr. auch die ehemalige Präsidentin Gloria Macapagal Arroyo, seine angebliche „Geheimwaffe“, zur Unterstützung gewonnen. Während ihrer Präsidentschaft (2001–2010) hatte Arroyo eine neue Ära der strategischen Zusammenarbeit mit China eingeleitet, die in mehreren großen Infrastrukturprojekten und einem gemeinsamen Energieforschungsprojekt im Südchinesischen Meer gipfelte.

Obwohl all diese Deals später für Kontroversen sorgten sowie verfassungsrechtliche Fragen aufwarfen und politische Krisen auslösten, war Arroyo weiterhin eine wichtige Verbindungsperson zwischen diversen philippinischen Präsidenten und der chinesischen Führung. Nicht zuletzt verschafft der Aufbau enger Beziehungen zu China auch illiberalen philippinischen Präsidenten wie Marcos Jr. ein erhebliches Druckmittel gegenüber dem Westen, insbesondere bezüglich etwaigen Meinungsverschiedenheiten bei Themen wie Menschenrechte und Demokratie. China zieht es seinerseits ohnehin vor, sich mit autoritär-populistischen Führern zu arrangieren, die sich nicht unbedingt an westliche politische Werte gebunden fühlen. Die philippinische Marcos-Dynastie, die sich im vergangenen Jahrhundert vor allem durch ihren ausgeprägten autoritären Populismus auszeichnete, galt für Peking daher stets als natürliche Verbündete.

Was die Konflikte im Südchinesischen Meer angeht, hat China ebenfalls keine nennenswerten Zugeständnisse gemacht.

Bei genauer Betrachtung des Staatsbesuchs von Marcos Jr. in Peking wird jedoch deutlich, dass es keinen nennenswerten Durchbruch in den bilateralen Beziehungen gegeben hat: Laut ihrer recht langen gemeinsamen Erklärung konnten die beiden Seiten kaum eine Einigung für auch nur ein einziges großes Infrastrukturprojekt erzielen. Ebenso konnte nicht geklärt werden, wie es mit mehreren chinesischen Projekten in den Philippinen weitergehen soll, die im vergangenen Jahr von den philippinischen Behörden aufgrund von Bedenken wegen mangelnder Finanzierung und hoher Zinssätze ausgesetzt wurden.

Im Jahr 2016 hatte China den Philippinen Investitionen in Höhe von 24 MilliardenUS-Dollar angeboten, wovon mindestens ein Drittel für umfangreiche staatliche Infrastrukturprojekte verwendet werden sollte. Vollständig umgesetzt wurde jedoch keins der Großprojekte. Die meisten existieren nur auf dem Papier. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass die 22 MilliardenUS-Dollar, die Marcos Jr. Anfang Januar nun angeboten wurden, zum Teil nur eine neu verpackte Version dessen sind, was Duterte bereits vor mehr als sechs Jahren versprochen wurde.

Was die Konflikte im Südchinesischen Meer angeht, hat China ebenfalls keine nennenswerten Zugeständnisse gemacht, außer das vage Versprechen, die Schikanierung philippinischer Fischer, die in den umstrittenen Gebieten unterwegs sind, zu reduzieren. Derweil zeigen Studien, dass der illegale Fischfang durch chinesische Schiffe in der ausschließlichen Wirtschaftszone der Philippinen den Staat jährlich 650 MillionenUS-Dollar kostet. Kurz vor Marcos’ Antrittsbesuch in Peking reichte Manila mehrere Beschwerden gegen Chinas Aktivitäten und sein aggressives Verhalten im von den Philippinen beanspruchten Gebiet der Spratly-Inseln ein. Da es ihm offensichtlich nicht gelang, konkrete Zugeständnisse in Bezug auf die Seestreitigkeiten zu erreichen, pries Marcos Jr. recht blauäugig die bestehenden „Hotlines“ zwischen den zuständigen Behörden beider Seiten. Diese Institutionen und Vereinbarungen haben es jedoch schon unter der Duterte-Regierung nicht vermocht, Konflikte und Vorfälle in den Seegebieten zwischen den Philippinen und China zu verhindern.

Da China sich weigert, Zugeständnisse zu machen, wird die Regierung Marcos Jr. wahrscheinlich die Verteidigungszusammenarbeit mit den USA weiter ausbauen, unter anderem in Form von gemeinsamen Militärübungen und indem sie dem Pentagon Zugang zu wichtigen philippinischen Stützpunkten in direkter Reichweite des chinesischen Meeres und Taiwans gewährt. Darüber hinaus muss sich Marcos Jr. mit immer lauteren Forderungen der philippinischen Öffentlichkeit nach einer stärkeren Verteidigungszusammenarbeit mit den traditionellen Verbündeten auseinandersetzen. China hingegen wird weitgehend misstraut. Letztendlich hat der Antrittsbesuch des philippinischen Präsidenten in Peking trotz seiner großspurigen diplomatischen Erklärungen vor allem eins aufgezeigt: die Grenzen der Zusammenarbeit mit der asiatischen Supermacht.

Aus dem Englischen von Tim Steins