Wenn Ferdinand Marcos Junior, Präsident der Philippinen, am Dienstag in Berlin zu einem Arbeitsbesuch empfangen wird, dürfte ein Thema die Gespräche dominieren, das nicht auf der Tagesordnung zu finden ist. Der Besuch folgt auf die Einladung von Bundeskanzler Olaf Scholz bei einem Treffen 2022 in Brüssel und erfolgt genau zwei Monate nach der Visite der Außenministerin Annalena Baerbock in Manila. Während die Kommunikationsabteilung des Präsidenten zwei bilaterale Abkommen zu maritimer Handelssicherheit und dualer Ausbildung ankündigt und ein Wirtschaftsforum sich mit deutschen Investitionen im südostasiatischen Inselstaat beschäftigt, ist das unausgesprochene politische Top-Thema das Südchinesische Meer.
Marcos ist nun seit fast zwei Jahren Präsident der Philippinen und folgte auf Rodrigo Duterte, der international für seinen menschenrechtsverachtenden Krieg gegen die Drogen berüchtigt war. Die Skepsis gegenüber Marcos’ Präsidentschaft war groß: Als Sohn des früheren Diktators Ferdinand Marcos Senior, der das Land 14 Jahre unter Kriegsrecht regierte und systematisch ausraubte, war es nicht selbstverständlich, dass Marcos Juniors Regierungsstil sich nur legaler Mittel bedienen würde.
Mittlerweile wird der Präsident von den Staatsführern der Welt freundlich in Empfang genommen.
Mittlerweile wird der Präsident von den Staatsführern der Welt freundlich in Empfang genommen. Dies hat allerdings weniger mit Handel oder Berufsausbildungen zu tun, sondern liegt vielmehr an der Rolle des Landes im Konflikt der Großmächte in der Region. China erhebt maritime territoriale Ansprüche innerhalb der sogenannten „Neun-Striche-Linie“, die auch Teile der exklusiven Wirtschaftszone der Philippinen umfassen. Die aktuelle Regierung hat es sich zur Priorität gemacht, das eigene Territorium gegenüber den chinesischen Ansprüchen zu verteidigen. Die um ein Vielfaches mächtigere chinesische Küstenwache demonstriert philippinischen Fischern und der philippinischen Küstenwache jedoch immer wieder, wer am längeren Hebel sitzt. Versorgungsschiffe für die philippinischen Soldaten auf dem Außenposten Sierra Madre – ein verrottetes Kriegsschiff, dass 1997 auf Grund gesetzt wurde – werden regelmäßig von chinesischen Schiffen drangsaliert und mit Wasserkanonen angegriffen. Auch wenn Peking das Urteil nicht anerkennt, der ständige Schiedsgerichtshof in Den Haag hat 2016 die Gebietsansprüche der Philippinen eindeutig bestätigt und die historisch begründeten Ansprüche Chinas zurückgewiesen.
Nun geht es hier aber nicht nur um die Verfechtung territorialer Ansprüche des Inselstaates auf das ressourcenreiche Meeresgebiet. Sondern es geht vielmehr um die Verteidigung der oft beschworenen regelbasierten internationalen Ordnung und im Speziellen für das Exportland Deutschland um die Sicherung der Freiheit der Schifffahrt. Durch das Südchinesische Meer geht geschätzt ein Drittel des globalen Schiffsverkehrs.
Die USA und die Philippinen verpflichten sich seit 1951 zur gegenseitigen Unterstützung im Falle eines Angriffs.
Marcos machte zuletzt bei seinem Besuch in Australien deutlich, dass er sein Land – wie bereits im Zweiten Weltkrieg – an vorderster Front gegen Aktionen sieht, die den regionalen Frieden und die Stabilität untergraben. Namentlich nannte er China dabei nicht. Die Philippinen unterhalten bereits ein weites Netz an Sicherheitskooperationen unterschiedlicher Intensität mit den USA, Australien, Japan, Indien, Vietnam, Kanada, Frankreich und Großbritannien. Die USA und die Philippinen verpflichten sich seit 1951 zur gegenseitigen Unterstützung im Falle eines Angriffs. Marcos beeilte sich zu Beginn seiner Amtszeit, das Abkommen über Verstärkte Verteidigungszusammenarbeit (EDCA) mit den Amerikanern wieder mit Leben zu füllen, nachdem sein Vorgänger es auf die lange Bank geschoben hatte. EDCA erlaubt den USA rotierende Truppenstationierung in neun Militärbasen der Philippinen. Ob die USA tatsächlich das Leben der eigenen Soldaten zur Verteidigung Manilas riskieren würde, wird in Manila immer wieder kritisch diskutiert. Und so wächst die Nervosität in einem Land, das nur 250 Kilometer von Taiwan entfernt liegt.
Beobachter sagen, dass Marcos die Auseinandersetzung rund um das Südchinesische Meer strategisch überhöht, um als handelnder Retter der Nation den Namen seiner Familie wieder reinzuwaschen. Innenpolitisch hat der Präsident Schwierigkeiten, einen roten Faden in seinem Regierungshandeln zu definieren. Zugleich steckt er in einem Dauermachtkampf mit der Vizepräsidentin Sarah Duterte, der Tochter des ehemaligen, drakonisch regierenden Präsidenten. Deutschland ist gut beraten, sich im gemeinsamen Kampf um die Durchsetzung der internationalen Regeln nicht zum Spielball einer nationalen Agenda zu machen.
Philippinische Medien berichten über die Absichten, die Sicherheitskooperationen mit Deutschland zu erweitern.
Es gibt Anzeichen, dass die philippinischen Erwartungen an Berlin im Bereich der Sicherheitskooperationen über die von Außenministerin Baerbock versprochenen Drohnen für die Küstenwache hinausgehen. Hochrangige Stimmen aus dem philippinischen Verteidigungsministerium bestätigen, dass das Budget für einen Verteidigungsattaché in der Botschaft in Berlin freigegeben wurde. Auffällig ist außerdem, dass Präsident Marcos nicht nach Frankreich reist, obwohl das Land sein Angebot zum Verkauf von U-Booten, Kampfflugzeugen und anderen Verteidigungsgütern an die Philippinen mehrfach unterstrichen hat. Diese Anschaffungen reflektieren die Ziele des Zehn-Jahre-Plans zur Modernisierung der philippinischen Streitkräfte. Beobachter vermuten, dass der Präsident eine Stellungnahme zu den französischen Rüstungsangeboten bewusst vor dem Berliner Besuch vermeiden möchte. Auch philippinische Medien berichten über die Absichten, die Sicherheitskooperationen mit Deutschland zu erweitern, ohne Details zu nennen.
Es wäre ein Erfolg des Besuchs in Deutschland, wenn die gegenseitigen Erwartungen im Bereich der Sicherheitskooperationen aus der Grauzone herausgeholt und transparent ausdifferenziert werden würden. Außenministerin Baerbock hat bei ihrem Besuch in Manila unterstrichen, dass Deutschland zu einer friedlichen Lösung des Chinesisch-Philippinischen Konflikts beitragen möchte. Sollte Marcos verstärkte Sicherheitskooperation auf dem Sprechzettel haben, wären konkrete deutsche Angebote hilfreich, die über die moralische Unterstützung hinausgehen. Andernfalls muss man den Mut aufbringen, auszubuchstabieren, wie die Vertretung der eigenen Interessen aussieht, wenn man nur limitierte hard power-Optionen hat.
Es gibt Raum für deutsches Engagement, das den Vorstellungen beider Länder entsprechen könnte. Die Küstenwache ist eine zivile Einrichtung mit begrenzten Kapazitäten. Ein stärkeres Signal wäre, die Kooperation mit den philippinischen Streitkräften im Rahmen von Ausbildungsprogrammen zu intensivieren, die zum effektiven Überwachen und Protokollieren von Verstößen im Südchinesischen Meer führen und gleichzeitig die interne Professionalisierung und das Wissen über Einsatzrecht stärken. Dazu müsste man in Berlin bereit sein, den vermeintlich komfortablen Boden der zivilen Kooperation zu verlassen.
Die Deutsch-Philippinischen bilateralen Beziehungen feiern in diesem Jahr ihr 70-jähriges Bestehen – ein guter Zeitpunkt, um die Komponenten auf den Prüfstand zu stellen, die die Relevanz für die nächsten Dekaden sicherstellen sollen. Während die Filippinos unterstreichen, dass Deutschland als gleichgesinnter demokratischerPartner besonders wichtig ist, kann sich der Gastgeber erlauben, darauf hinzuweisen, dass die Achtung der Rechtsstaatlichkeit nicht nur auf die Regelung zwischenstaatlicher Konflikte zutrifft, sondern ebenso bedeutsame innerstaatliche Dimensionen hat.