Folgt auf den Vater der Sohn und auf den Vater die Tochter? Wenn am Montag die philippinischen Präsidentschaftswahlen stattfinden, wollen das Team Ferdinand „Bong Bong“ Marcos Jr. und Sara Duterte-Carpio in die Fußstapfen ihrer Väter treten und die Macht ihrer Familien festigen. Marcos Jr. will das Erbe seines Vaters Ferdinand Marcos antreten, des Langzeitdiktators, der die Philippinen von 1965 bis 1986 regierte und dabei zur persönlichen Bereicherung in Milliardenhöhe ausbeutete. Duterte-Carpio hingegen ist die Tochter des amtierenden Präsidenten Rodrigo Duterte und könnte als Vizepräsidentin unter Marcos Jr. die noch junge Familiendynastie festigen.
Sollte das Duo Marcos Jr./Duterte am Montag gewählt werden, dürfte es jedenfalls kaum zu einem Bruch mit der Politik des jetzigen Präsidenten kommen. Dessen politisches Erbe wiegt schwer: Als Außenseiter in den Präsidentschaftswahlkampf 2016 gestartet, gelang dem damaligen Bürgermeister der zweitgrößten Stadt des Landes Davao City jedoch die Überraschung, als er mit 39 Prozent der Stimmen gewählt wurde. Duterte hatte versprochen, Korruption und Kriminalität zu bekämpfen, den Inselstaat innerhalb von sechs Monaten drogenfrei zu machen und das Land zu dezentralisieren. Mit seinem populistischen Auftreten und autoritären Politikstil gerierte er sich als starker Führer, wonach sich Teile der philippinischen Bevölkerung sehnten. Durch den ausgerufenen „Krieg gegen die Drogen“ geriet Duterte in die Kritik von Menschenrechtsorganisationen und der internationalen Gemeinschaft. Im Laufe der Kampagne wurden nach offiziellen Angaben über 6 000 Drogendealer und -abhängige durch Polizei und Vigilantenschwadrone getötet. Die Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen zu den sogenannten „extralegalen Tötungen“ liegen mit rund 30 000 Opfern deutlich höher. Gegen Kritiker der Kampagne, wie beispielsweise die Senatorin und ehemalige Vorsitzende der Kommission für Menschenrechte Leila de Lima, wurde rigoros vorgegangen: De Lima wurde 2017 unter fadenscheinigen Begründungen festgenommen und ist bis heute inhaftiert. Wegen der schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen hat der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag Ermittlungen gegen Duterte eingeleitet.
Mit seinem populistischen Auftreten und autoritären Politikstil gerierte sich Duterte als starker Führer, nach dem sich Teile der philippinischen Bevölkerung gesehnt hatten.
In seine Amtszeit fiel auch die Ausrufung des Kriegsrechts auf der Insel Mindanao, als es islamistischen Terrorgruppen gelungen war, die Stadt Marawi unter Kontrolle zu bringen. Bei der Rückeroberung durch philippinische Streitkräfte starben mehr als 1 000 Menschen, eine halbe Million Einwohner und Einwohnerinnen wurde vertrieben. Außenpolitisch vollzog Duterte in seiner Präsidentschaft eine Annährung an China, womit er die frühere Kolonial- und Schutzmacht USA brüskierte. Zudem sorgte er dafür, dass der einstige Diktator Marcos postum auf dem Heldenfriedhof beigesetzt wurde.
Mit Einsetzen der COVID-19-Pandemie verhängte Duterte einen der striktesten und längsten Lockdowns der Welt, wodurch die schwierige Lage der Armen und Mittellosen weiter verschärft wurde. Im Schatten der Pandemie ließ Duterte regierungskritische Medienanstalten schließen und ein umstrittenes Anti-Terrorismus-Gesetz verabschieden. Red Tagging – Brandmarkung als Rote – wird seine Strategie genannt, seine Kritikerinnen als „Kommunisten“ und „Terroristen“ zu diffamieren und zum Abschuss freizugeben. Der Pandemie war es letztendlich geschuldet, dass Dutertes angekündigtes Vorhaben einer Verfassungsreform, durch welche er die Wahlzeitbeschränkung abschaffen wollte, nicht umgesetzt wurde. Bis zuletzt hatte Duterte trotz – oder vielleicht auch wegen – seiner vulgären rhetorischen Entgleisungen und des autoritären politischen Kurses ausgesprochen hohe Zustimmungswerte in der Bevölkerung.
Der Vorsprung von Marcos Jr. mag auch an der Beliebtheit seiner running mate als Vizepräsidentin liegen: Sara Duterte-Carpio.
Nun will also Marcos Jr. Dutertes Nachfolger werden. Dabei ist es einer Besonderheit des philippinischen Wahlsystems geschuldet, dass er schon einmal gegen seine stärkste Gegenkandidatin angetreten ist. Präsident und Vizepräsident werden unabhängig voneinander für sechs Jahre gewählt. Damit ist es möglich, dass Kandidatinnen und Kandidaten aus unterschiedlichen Lagern die Posten einnehmen. Nach Ablauf der Amtszeit ist keine Wiederwahl für dasselbe Amt möglich.
Marcos Jr. trifft so nun erneut auf Leni Robredo, gegen die er bei der Kandidatur zum Amt des Vizepräsidenten 2016 verlor. Marcos Jr. klagte mehrfach gegen das Wahlergebnis, unterlag aber in allen Instanzen. Nun geht es zwischen den beiden um die Präsidentschaft. Bis zuletzt lag Marcos Jr. in Umfragen deutlich vor der derzeitigen Vizepräsidentin (56 zu 24 Prozent). Die weiteren acht Kandidaten sind weit abgeschlagen. Der Vorsprung von Marcos Jr. mag auch an der Beliebtheit seiner running mate als Vizepräsidentin liegen: Sara Duterte-Carpio, die ihrem Vater bereits im Amt als Bürgermeisterin von Davao City nachfolgte.
Bemerkenswerterweise beteiligte sich das Duo im Wahlkampf nicht an Fernsehduellen, in denen alle anderen Kandidaten Rede und Antwort standen. Zuletzt hatte Marcos Jr. auch ein direktes TV-Duell mit Robredo abgelehnt. Politische Kommentatoren unterstellen „Bong Bong“ Marcos als Leitmotiv seiner Kandidatur, den Familiennamen wieder reinwaschen zu wollen. Als treibende Kraft im Hintergrund wird Imelda Marcos vermutet, die Witwe des früheren Diktators. Es ist zu befürchten, dass bei einem Sieg von Marcos Jr. weiter Geschichtsrevisionismus betrieben wird und die Verbrechen unter der Regentschaft seines Vaters zunehmend verharmlost werden. Konkrete politische Ziele, die über Allgemeinplätze hinausgehen, ließ Marcos im Wahlkampf nicht erkennen.
Sollte Duterte-Carpio die Wahl zur Vizepräsidentin gelingen, wäre die heute 43-Jährige in einer idealen Ausgangssituation für eine Präsidentschaftskandidatur im Jahre 2028.
Ähnliche Motive lassen sich auch Duterte-Carpio unterstellen. Sollte ihr die Wahl zur Vizepräsidentin gelingen, würde sie eine neue politische Dynastie im Land etablieren. Außerdem wäre die heute 43-Jährige in einer idealen Ausgangssituation für eine Präsidentschaftskandidatur im Jahre 2028.
Leni Robredo hingegen verkörpert die letzte Hoffnung der demokratisch- und menschenrechtsorientierten Wählerschaft. Bereits als Vizepräsidentin war sie in den vergangenen sechs Jahren quasi die Oppositionsführerin. Robredo tritt als unabhängige Kandidatin an, ist aber seit Jahren das Gesicht der Liberal Party in den Philippinen. Vor ihrer politischen Karriere war sie als Menschenrechtsanwältin aktiv. Trotz des deutlichen Abstands zu Marcos Jr. in den Umfragen gab es in den letzten Wochen eine leise Hoffnung für einen Überraschungssieg Robredos: So konnte Robredo in geringem Maße in Umfragen hinzugewinnen, während Marcos leicht verlor. Dies mag mit der massiven Mobilisierung von Anhängern und Anhängerinnen der Robredo-Kampagne zusammenhängen, die zu zehntausenden zu ihren Wahlkampfveranstaltungen pilgerten. Außerdem liegt Robredo bei den Auswertungen der Zahlen von Google Trends vor „Bong Bong“ Marcos. Es bleibt also spannend bis zum Schluss.
Für Akbayan – eine Partei, die unter anderem auch aus dem Widerstand gegen die Marcos-Diktatur entstand – steht nicht weniger als der Fortbestand auf dem Spiel.
Neben dem Präsidenten und dessen Vize wird bei den Wahlen auch über Sitze im Senat und im Repräsentantenhaus entschieden. Für progressive Parteien geht es dabei um viel. Die sozialdemokratische Partei Akbayan Citizens’ Action Party unterstützte von Anfang an die Kampagne von Leni Robredo; Parteimitglieder sind auch Teil des Kampagnenstabs. Für Akbayan – eine Partei, die unter anderem auch aus dem Widerstand gegen die Marcos-Diktatur entstand – steht nicht weniger als der Fortbestand auf dem Spiel: Sollte keiner ihrer Kandidaten und Kandidatinnen ins Repräsentantenhaus einziehen, wäre das die zweite Wahl in Folge, wodurch die Partei für zukünftige Wahlen disqualifiziert wäre. Auch die derzeitige Akbayan-Senatorin Risa Hontiveros kämpft im Rahmen der Robredo-Kampagne um den Wiedereinzug in den Senat. Zuletzt ließen die Umfragewerte eine Wiederwahl als möglich erscheinen. Allerdings wäre sie wohl die einzige Oppositionspolitikerin im Senat, da sich die anderen aussichtsreichen Kandidaten bereits zu Marcos Jr. bekannt haben.
Die Parteien sind auch deshalb in einer schwierigen Position, weil sie bei der Wahl eine untergeordnete Rolle spielen. Nur 63 der 304 Sitze im Repräsentantenhaus werden über Parteilisten besetzt. Die Wahlen sind damit hochgradig personalisiert, weshalb öffentliche Bekanntheit ein zentrales Kriterium für eine Kandidatur ist; politische Programme haben kaum eine Bedeutung. Kandidatinnen für politische Ämter stammen häufig entweder aus einer der etablierten Familiendynastien oder haben anderweitig Bekanntheit erlangt, beispielsweise als Schauspieler, Sportlerinnen, Models oder TV-Moderatoren.
Auch die Lage der Gewerkschaften im Land ist schwierig: Die große Mehrheit der konservativen, rechten und unternehmerfreundlichen Gewerkschaften unterstützt die Kandidatur von „Bong Bong“ Marcos. Das progressive Gewerkschaftslager ist hingegen gespalten in Anhänger von Leni Robredo und des Kandidatentandems Leody de Guzman und Walden Bello von der Partido Lakas ng Masa (PLM), die explizit eine gewerkschaftsorientierte Agenda verfolgen, jedoch wenig Aussicht auf einen Wahlerfolg haben.
Mit dem favorisierten Duo Marcos Jr. und Duterte-Carpio stehen die Philippinen wohl vor einer Fortführung der derzeitigen Politik. Für progressive Parteien, Gewerkschaften und Arbeitnehmerinnen verheißt das nichts Gutes.