Zwei Monate nachdem militante Hamas-Kämpfer am 7. Oktober vom Gazastreifen aus einen noch nie dagewesenen Angriff auf Israel gestartet haben, ist Thailand in ein Kreuzfeuer geraten, wie es das Land noch nie erlebt hat. In den vergangenen Jahrzehnten hat Thailand bei militärischen Zusammenstößen an der Grenze zu Kambodscha und Laos immer wieder zahlreiche Opfer zu beklagen gehabt; der malaiisch-muslimische ethnonationalistische Aufstand im tiefen Süden des Landes hat sogar mehr als 7 000 Menschenleben gefordert. Doch noch nie sind so viele Thais in einem Krieg anderer umgekommen wie bei den Hamas-Attacken: Mindestens 39 thailändische Menschen starben, 32 weitere wurden als Geiseln genommen.

Die neu gewählte thailändische Regierung unter Premierminister Srettha Thavisin und Außenminister Parnpree Bahiddha-Nukara hätte sich deutlich intensiver für die ermordeten thailändischen Arbeiterinnen und Arbeiter in Israel einsetzen müssen. Die erste Reaktion des Premiers bestand zwar darin, den „Terrorakt der Hamas kategorisch zu verurteilen“, doch kurz darauf schwächte das thailändische Außenministerium die Aussage ab, sodass der Angriff vom 7. Oktober als „bedauerlicher Vorfall“ bezeichnet wurde und „alle beteiligten Parteien dazu aufgerufen werden, sich jeglicher Handlungen zu enthalten, die die Spannungen weiter eskalieren lassen“. Ebenso schloss man sich dem Großteil der internationalen Gemeinschaft an, die „jegliche Gewaltanwendung und wahllose Angriffe“ aller Seiten verurteilt.

Die neu gewählte thailändische Regierung hätte sich deutlich intensiver für die ermordeten thailändischen Arbeiterinnen und Arbeiter in Israel einsetzen müssen.

Rein diplomatisch wäre dies sicherlich der richtige Ansatz – wenn es nicht direkt zu thailändischen Todesopfern gekommen wäre. Doch angesichts der Ermordung thailändischer Staatsangehöriger durch die Hamas war die offizielle Position Thailands eher zahnlos und schwach. Die Hamas müsste klipp und klar kritisiert und verurteilt werden, dafür dass sie Thailänderinnen und Thailänder grundlos tötet und ihre politischen Ziele – die nichts mit Thailand und seiner Bevölkerung zu tun haben – mit blankem Terror verfolgt. Die Regierung Srettha hätte insbesondere eine klare Trennlinie ziehen und einen Unterschied machen können zwischen der politischen Organisation Hamas, für die Terrorangriffe offenbar ein legitimes Mittel sind, und der Sache sowie der Notlage des palästinensischen Volkes, das ein Recht auf Selbstbestimmung und einen vollwertigen eigenen Staat hat.

Die lauwarme Reaktion der thailändischen Führung hing offenbar mit Verhandlungen hinter den Kulissen zusammen, um die Freilassung der 32 von der Hamas gefangen gehaltenen Thais zu erreichen. Muslimische Führer in Thailand, angeführt vom Sprecher des Repräsentantenhauses, Wan Muhamad Noor Matha, öffneten unabhängig von den offiziellen diplomatischen Bemühungen der thailändischen Regierung Hintertürkanäle zu Katar und dem Iran, um die thailändischen Geiseln nach Hause zu holen. Im Zuge des einwöchigen Waffenstillstands und der gegenseitigen Freilassung von Geiseln und Gefangenen wurden kürzlich 23 thailändische Menschen von der Hamas freigelassen und nach Israel zurückgebracht. 17 von ihnen haben es bereits nach Hause geschafft, die anderen sechs warten noch auf das medizinische Okay, bevor sie ebenfalls in die Heimat reisen können. Neun weitere sind immer noch in Geiselhaft. Unter den freigelassenen nicht-israelischen Geiseln lag die Zahl der Thais höher als die der anderen Nationalitäten. Es scheint also, dass die Hintergrund-Gespräche zumindest begrenzte Ergebnisse gebracht haben. Bei den freigelassenen thailändischen Arbeiterinnen und Arbeitern handelte es sich hauptsächlich um Männer im arbeitsfähigen Alter, im Gegensatz zu den freigelassenen Israelis, die überwiegend Frauen und Kinder waren.

Es ist aus zwei Gründen schwierig, die thailändische Vorgehensweise als uneingeschränkten Erfolg zu bezeichnen.

Es ist aus zwei Gründen schwierig, die thailändische Vorgehensweise als uneingeschränkten Erfolg zu bezeichnen. Nicht nur, dass die thailändische Regierung den militanten Hamas-Kämpfern von vornherein freie Hand ließ, sondern die von Thailands Muslimen angestrengten Bemühungen waren auch auf den guten Willen von vermittelnden Ländern wie dem Iran angewiesen, der selbst staatlich geförderte und nicht-staatliche terroristische Organisationen unterstützt. Außerdem mussten die thailändischen Unterhändler bei den Hamas-Tätern um Verständnis und Gnade werben, damit thailändische Arbeiterinnen und Arbeiter freigelassen werden, die gar nicht erst hätten entführt werden dürfen.

Fairerweise muss man sagen, dass die Regierung von Srettha entschlossen und aufrichtig handelte, um die thailändischen Arbeiterinnen und Arbeiter nach Hause zu holen. Rückführungsflüge wurden umgehend organisiert und finanzielle Entschädigungspakete wurden schnell geschnürt. Dennoch entschied sich weniger als ein Drittel der geschätzt 30 000 Thais, die vor dem 7. Oktober in Israel gearbeitet hatten, für die Rückkehr. Die Mehrheit blieb trotz des Krieges lieber in Israel, wo die Löhne attraktiver und die Arbeitsbedingungen zumindest akzeptabel sind.

Weniger als ein Drittel der geschätzt 30 000 Thais, die vor dem 7. Oktober in Israel gearbeitet hatten, entschied sich für die Rückkehr.

Als Thailands Beziehungen zu Saudi-Arabien vor drei Jahrzehnten bis zur Normalisierung im vergangenen Jahr auf Eis gelegt wurden, waren thailändische Arbeiterinnen und Arbeiter, die traditionell auf den Märkten des Nahen Ostens Arbeit suchten, relativ eingeschränkt. Geschlossen wurde die Lücke von Israel, das zum beliebtesten Ziel für thailändische Arbeitskräfte in der Region wurde, auch dank eines Regierungsabkommens, das es thailändischen Arbeiterinnen und Arbeitern, vor allem aus dem landwirtschaftlich geprägten Nordosten des Landes, relativ einfach ermöglicht, ihre Arbeitskraft auf israelischen Farmen einzusetzen. Die Deals zwischen israelischen Bauern und thailändischen Landarbeitern wurden so gut angenommen, dass das Abkommen bald ausgeweitet wurde. Die Migrantenzahlen stiegen, und im Oktober 2023 arbeiteten rund 30 000 Thais in Israel.

Dass gerade thailändische Arbeitskräfte ins Visier der Hamas gerieten, lässt sich geografisch erklären: Israels Agrarsektor ist hauptsächlich im Süden des Landes angesiedelt, in unmittelbarer Nähe zum Gazastreifen. Zurückgekehrte Thais berichten außerdem, militante Hamas-Kämpfer hätten gewusst, dass thailändische Arbeiterinnen und Arbeiter vor Ort waren und es bewusst auf sie abgesehen – aus Wut darüber, dass Thais die israelische Wirtschaft unterstützen und Arbeit übernehmen, die früher von Palästinenserinnen und Palästinensern verrichtet wurde.

Die thailändische Regierung muss die 39 Todesopfer endlich anerkennen und offiziell würdigen.

Dass so viele thailändische Arbeitskräfte trotz der offensichtlichen Risiken Israel dem eigenen Heimatland vorziehen, deutet auf die wirtschaftliche Ungleichheit in Thailand selbst hin. Abgesehen davon, dass die Hamas nicht namentlich für die Tötung von Thailändern verurteilt wurde, hat die Regierung Srettha die thailändischen Rückkehrer auch nicht gebührend gewürdigt – weil sie „lediglich“ Landarbeiter aus den ärmeren Schichten sind. Einige Familien von gefangenen thailändischen Arbeitern wurden lange im Unklaren gelassen und hatten größte Schwierigkeiten, über die Regierung und die Botschaften etwas über den Verbleib ihrer Angehörigen zu erfahren. Die thailändische Regierung muss die 39 Todesopfer endlich anerkennen und offiziell würdigen. Diese Menschen hatten in Israel gearbeitet und Geld in ihre Heimat zurückgeführt, um ihre Familien zu ernähren und somit auch zur thailändischen Wirtschaft beigetragen.

Insgesamt sind die meisten Thailänder immer noch schockiert und bestürzt darüber, wie und warum thailändische Arbeiterinnen und Arbeiter so wahllos getötet und als Geiseln gefangen genommen werden konnten. Thailand war in den Kriegen im Nahen Osten bisher nur ein Zuschauer gewesen. Trotz der wiederhergestellten Beziehungen zu Saudi-Arabien und anderen Arbeitsmärkten im Nahen Osten wird Israel aufgrund seiner Arbeitsbedingungen und relativ guten Löhne weiterhin thailändische Arbeitskräfte anziehen – während die Arbeitsmöglichkeiten in Thailand begrenzt bleiben und die Einkommensungleichheit weiter zunimmt.

Die thailändische Regierung ist daher in zweifacher Hinsicht gefordert: Zum einen muss sie für bessere Arbeitsplätze im eigenen Land sorgen und zum anderen die legitimen Anliegen der Palästinenser unterstützen, ohne sich von den illegitimen Militanten unter ihnen einschüchtern zu lassen. Diese Verbrecher haben Thailänderinnen und Thailänder getötet und gefangen genommen und werden dafür vermutlich nicht zur Rechenschaft gezogen.

Aus dem Englischen von Tim Steins