Bei den Wahlen zum japanischen Oberhaus am 10. Juli 2016 haben die Parteien der regierenden Koalition von Premierminister Shinzo Abe erneut einen deutlichen Sieg errungen. Das Lager der Parteien, die eine Revision der japanischen Verfassung befürworten, verfügt nun im Unterhaus und im Oberhaus über eine Zweidrittelmehrheit und könnte zum ersten Mal seit 1947 eine Verfassungsänderung initiieren.

Das Interesse der Bevölkerung an Wahlen und Politik erwies sich auch an diesem Sonntag als gering. Nachdem die Wahlbeteiligung bereits bei den Unterhauswahlen der Jahre 2012 und 2014 mit 59 Prozent bzw. 53 Prozent historische Tiefstände erreicht hatte, blieb auch dieses Mal fast die Hälfte der Wahlberechtigten der Wahl fern. Trotz weit verbreiteter Klagen über die Wirtschaftslage und schlechte Indikatoren ist der Wunsch nach einem Politikwechsel offenbar nur schwach ausgeprägt. In Umfragen vor der Wahl bestätigten mehr als 70 Prozent der Befragten, dass sie selbst keine finanziellen Probleme hätten, während sich nur 24 Prozent kritisch über ihre wirtschaftliche Lage äußerten. Für viele der Unterprivilegierten bietet die Opposition allerdings keine Alternative zur Politik der aktuellen Regierung. Das mag teilweise daran liegen, dass die Oppositionsparteien wenig Gelegenheit hatten, sich im Wahlkampf zu profilieren. Da eine hohe Wahlbeteiligung eher der Opposition zugute kommt, war die politische Apathie im Vorfeld der Wahl von der rechtsgerichteten Regierung Shinzo Abes bewusst geschürt worden. Es gab nur eine einzige offizielle Debatte der Parteivorsitzenden und nur wenige Auftritte der politischen Führungspersönlichkeiten in Fernsehsendungen. Die Hauptnachrichtensendung des staatlichen Senders NHK, seit Jahren unter wachsender Kontrolle der Regierung, verzichtete zwei Tage vor der Wahl vollständig auf Berichterstattung darüber.

Da eine hohe Wahlbeteiligung eher der Opposition zugute kommt, war die politische Apathie im Vorfeld der Wahl von der rechtsgerichteten Regierung Shinzo Abes bewusst geschürt worden.

Den Oberhauswahlen wird im Vergleich zu Unterhauswahlen weniger Beachtung geschenkt, da das Unterhaus als Zentrum der Gesetzgebung betrachtet wird. In diesem Jahr kam der Wahl allerdings große Bedeutung zu, da es um die Zweidrittelmehrheit für die Regierung Abe und seine Liberaldemokratische Partei (LDP) ging. Eine Zweidrittelmehrheit ist notwendig, um eine Revision der Verfassung einzuleiten, die dann in einer Volksabstimmung bestätigt werden muss. Im Unterhaus verfügt die Regierungskoalition bereits über die notwendige Zahl an Sitzen, seit dem 10. Juli 2016 nun auch im Oberhaus, wenn man unabhängige Abgeordnete hinzurechnet, die eine Verfassungsrevision befürworten. Die LDP gewann sechs Sitze hinzu und ist nun mit 121 Abgeordneten im Oberhaus vertreten (Gesamtzahl der Sitze: 240). Die Komeito, Koalitionspartner der LDP, konnte ebenfalls Gewinne verbuchen und verfügt nun über 24 Sitze. Dazu kommen noch mehr als 15 Sitze von kleinen Parteien, die ebenfalls eine Verfassungsrevision befürworten. Die oppositionelle Demokratische Partei verlor demgegenüber Sitze und verfügt nurmehr über 49 (ein Verlust von elf Sitzen). Während die Kommunistische Partei leichte Zugewinne verbuchen konnte (jetzt 14 Sitze), ist die japanische Sozialdemokratie als organisierte Kraft seit der Wahl kaum mehr existent: Die Sozialdemokratische Partei konnte nur zwei ihrer drei Mandate verteidigen und verfügt nur noch über insgesamt vier Sitze in Ober- und Unterhaus.

Angesichts der neuen Machtverhältnisse wird die LDP unter Shinzo Abe zweifellos in den kommenden Jahren ihr Ziel der Verfassungsrevision forcieren. Die Forderung steht bereits seit Jahrzehnten im Programm der Partei und wurde erstmals von Shinzo Abes Großvater Nobusuke Kishi, einem Premierminister in den späten 1950er Jahren, besonders nachdrücklich forciert, wenn auch damals noch ohne Erfolg. Vor den jüngsten Wahlen hatten führende Köpfe der LDP offiziell erklärt, eine Verfassungsänderung sei „kein Wahlkampfthema,“ allerdings ist weithin bekannt, dass der Parteivorsitzende Shinzo Abe seit Jahrzehnten die Verfassungsrevision als Kernstück der „Befreiung Japans vom Nachkriegsregime“ propagiert und Lobbygruppen unterstützt, die sich diesem Ziel verschrieben haben. Angesichts der neuen Mehrheitsverhältnisse ist von Abe und der Partei kaum Zurückhaltung zu erwarten. Schon bei der Verabschiedung der neuen Verteidigungspolitik Japans im Sommer 2014 hat die Regierung demonstriert, dass sie ihre Mehrheiten zu nutzen gedenkt, auch um unbeliebte Entscheidungen umzusetzen – und zwar ohne Rücksicht auf Kritik von der Opposition oder Großdemonstrationen der Bevölkerung. Der derzeitige stellvertretende Premierminister Taro Aso legte seiner Partei sogar einmal nahe, in Sachen Verfassungsrevision „von den Nazis (zu) lernen,“ womit er die Vermeidung intensiver Diskussionen meinte.

Was die japanische Bevölkerung konkret zu erwarten hat, wird aus einem von der LDP 2012 vorgelegten Verfassungsentwurf deutlich. Dieser beinhaltet nicht nur eine Revision des sogenannten „Pazifismus-Artikels“ (Art. 9), der Krieg als legitimes Mittel des Staates verbietet und seit langem im Zentrum der Diskussionen um eine Verfassungsrevision steht. Es geht dabei auch um eine weitgehende Einschränkung von grundlegenden Bürgerrechten und eine Verpflichtung eines jeden Bürgers zur Bewahrung von „Traditionen“ und zur Pflege „patriotischer Gefühle.“ All dies ist in der japanischen Gesellschaft heftig umstritten, wurde aber im Wahlkampf kaum thematisiert, entsprechende Diskussionen vielmehr bewusst vermieden.

Besonders problematisch am LDP-Verfassungsentwurf ist die Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung.

Besonders problematisch am LDP-Verfassungsentwurf ist die Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung. Die in den letzten Jahren immer weiter nach rechts driftende Partei betrachtet dieses Recht als Erfindung des Westens und sieht für die zukünftige Verfassung nur noch ein qualifiziertes Recht auf freie Meinungsäußerung vor. Das Recht sei nur dann gültig, wenn „das Gemeinwohl“, welches in der Verfassung natürlich nicht näher definiert wird, nicht in Mitleidenschaft gezogen ist. Kritiker des LDP-Entwurfs betonen, dass nicht nur in der Verfassung von 1947, sondern sogar in der ersten japanischen Verfassung aus dem Jahr 1889 die Meinungsfreiheit umfassender definiert gewesen sei.

Ob die Diskussion über die zukünftige Form der Verfassung weiterhin so offen geführt wird wie bisher, ist fraglich. Die LDP hat die Möglichkeiten der freien Medienberichterstattung bereits drastisch beschnitten, z.B. durch die Einführung des „Gesetzes zur Sicherung von Staatsgeheimnissen“, die Verstärkung der Kontrolle über den staatlichen Sender NHK und die zunehmende Ausübung von Druck auch auf private Medien. Japan ist aufgrund dieser Entwicklungen in internationalen Rankings der Pressefreiheit in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken, im Ranking der NGO Reporter ohne Grenzen z.B. von Platz 12 zu Zeiten der Regierung der Demokratischen Partei (2010) auf Platz 72 Anfang 2016.

All das verheißt nichts Gutes für die Zukunft der Demokratie in Japan. Ein Erwachen breiterer Teile der Bevölkerung aus der politischen Apathie erscheint angesichts der geringen Konfrontationsbereitschaft der Medien unwahrscheinlich. Die entscheidende Frage für Japans Zukunft wird letztlich sein, ob sich ausreichend Demokraten finden, die sich bedingungslos für die Bewahrung der Demokratie einsetzen.