Am letzten Sonntag im Mai waren 36,6 Millionen Spanierinnen und Spanier zu den Urnen gerufen worden. Die rechtskonservative Opposition hatte in den Wochen vor der Wahl alles darangesetzt, die Regional- und Kommunalwahlen zu einem Plebiszit über die Arbeit der Regierung Sánchez zu machen. Es ging aus ihrer Sicht darum, über den „Sanchizmus“, der das Land in den vergangenen dreieinhalb Jahren an den Abgrund gebracht habe, abzustimmen. Trotz der positiven Wirt­schaftsentwicklung und einer Vielzahl von gesetzgeberischen Initiativen, die besonders der Mittelschicht und den Einkommensarmen zugutegekommen sind, hat sich diese Sichtweise erstaunlich gut verkaufen lassen. Lokale und regionale Themen, die normalerweise bei diesen Wahlen im Vordergrund stehen, haben kaum eine Rolle gespielt.

Nach den Regionalwahlen steht die rechtskonservative Partei Partido Popular (PP) als Gewinnerin da. Landesweit kam sie auf 31,5 Prozent der Stimmen und konnte so die sozialdemokratische PSOEmit 28,1 Prozent hinter sich lassen. Die PP ist in sieben der zwölf Länder, in denen am letzten Sonntag gewählt wurde, stärkste Kraft geworden. Sie wird zudem in 30 größeren Städten die Bürgermeisterin oder den Bürgermeister stellen. Auch in Andalusien, der „Herzkammer“ der spanischen Sozialisten, wo die Landesregierung schon im letzten Jahr an die PP ging, werden künftig sieben von acht größeren Städten – Almería, Cádiz, Córdoba, Granada, Huelva, Malaga und Sevilla – von der PP regiert. Alberto Núñez Feijóo, der vor einem Jahr neu ins Amt gewählte Vorsitzende der PP, sieht sich bereits als nächs­ten Ministerpräsidenten. Ihren Erfolg verdankt die PP größtenteils dem fast vollständigen Nieder­gang der rechtsliberalen Ciudadanos.

Die Ultrarechte Partei Vox blieb mit rund sieben Prozent zwar deutlich unter ihren nationalen Umfragewerten, hat jedoch ihre Präsenz in den Ländern und Kommunen deutlich ausgeweitet und konsolidiert sich als drittstärkste politische Kraft in Spanien. Ähnlich wie bei anderen ultra­rechten oder rechtspopulistischen Parteien hat Vox einen Wandel von einer sich dezidiert in der Opposition sehenden zu einer an Regierungsmacht interessierten Partei durchlaufen. Ihr Vor­sitzender Santiago Abascal hat schon in der Wahlnacht angekündigt, dass ihre Unterstützung einen Preis hat.

In fünf Ländern und Kommunen kann künftig die PP nur mit Hilfe der Ultrarechten regieren, als Koalitions­partner wie seit 2022 in Kastilien und Leon oder als von Vox tolerierte Regierung wie bisher schon in Madrid und Andalusien. Damit steht die PP, die sich unter ihrem neuen Vorsitzenden als eine moderat konservative Partei darstellen möchte, vor einer heiklen Grundsatzentscheidung und – sollte sie den Schritt zur „politischen Normalisierung“ eines ultrarechten Partners gehen – vor schwierigen Koalitionsverhandlungen.

Die Entscheidung von Pedro Sánchez wirkt wie ein politischer Befreiungsschlag.

Während die politische und mediale Öffentlichkeit gerade anfing, sich mit den Wahlergebnissen – der „blauen Welle“, dem „Tsunami“, dem „Erdrutsch“ – auseinanderzusetzen und die rechtskonservative Volkspartei mit der Organisation von Regierungsmehrheiten befasst war, gelang es Ministerpräsident Pedro Sánchez mit seiner Ankündigung der Wahlen in zwei Monaten, den Fokus auf die Frage zu legen, wem die Spanierinnen und Spanier die Regierungsverantwortung für die nächsten vier Jahre zutrauen.

Die Entscheidung von Pedro Sánchez wirkt wie ein politischer Befreiungsschlag, mit dem der Ministerpräsident erneut das Heft in die Hand nimmt. Er scheint gegen den Strom zu schwimmen und nutzt doch die Gunst der Stunde. Die oppositionelle PP hatte sich auf einen anderen Zeitplan eingestellt und wird in den nächsten Wochen intensiv damit beschäftigt sein, in den Ländern schwierige Verhandlungen mit dem einzig möglichen Koalitionspartner am rechten Rand zu führen. Die Debatte über die Legitimität von Koalitionen mit Vox und die diesbezügliche Alternativlosigkeit wird auch die nationale Debatte bestimmen und – so das Kalkül – auch die Wählerinnen und Wähler im progressiven Lager stärker mobilisieren.

Die spanische Wählerschaft ist gegenwärtig nach rechts gerückt, das zeigen die aktuellen Umfragen. Die PP hat jedoch keine Koalitionsoptionen jenseits von Vox. Das schmälert möglicherweise ihre konkreten Chancen bei den Wahlen in weniger als zwei Monaten. Wirtschaftlich steht Spanien zurzeit gut da – mit 3,2 Prozent hat Spanien eine der niedrigsten Inflationsraten in der EU, auch in dieser Hinsicht ist der Zeitpunkt für die Wahlen aus sozialdemokratischer Sicht günstig.

Links von der PSOE gibt es gegenwärtig eine fragmentierte Parteienlandschaft. Die linken Parteien haben überall erschreckend schlecht abgeschnitten. Podemos ist aus sechs Landesregierungen rausgeflogen und hat nur 18 von 49 Sitzen in den Landesparlamenten halten können. In Spanien bestraft das Wahlsystem eine fragmentierte Ausgangslage noch zusätzlich. Das Bündnis linker politischer Kräfte Sumar, das sich in den letzten Monaten mit Blick auf die nationalen Wahlen unter der Führung der Arbeitsministerin und Vizepräsidentin Yolanda Díaz 2022 formiert hat, ist durch die Niederlagen ihrer Kooperationspartner in Barcelona und Valencia geschwächt worden und sieht sich jetzt erst recht vor die Heraus­forderung gestellt, ein stabiles geeintes Bündnis zur Bündelung der linken Kräfte auf die Beine zu stellen.

Die linken Parteien haben überall erschreckend schlecht abgeschnitten.

Der vorgezogene Wahltermin pustet jedoch neuen Sauerstoff in die poli­tischen Konstellationen. Sumar und Podemos müssen sich nun schnell einigen, um die Chance auf eine pro­gressive Regierung unter der Führung der PSOE nicht zu verspielen – sie haben dafür lediglich bis zum 9. Juni Zeit, dann endet die gesetzlich festgelegte Frist von zehn Tagen. Yolanda Díaz hat als erste Maßnahme Anfang der Woche das Bündnis Sumar als Partei registrieren lassen und kann damit landesweit zur Wahl antreten. Erstmals sind auch von Podemos versöhnlichere Stimmen zu vernehmen, so dass eine Einigung nun nicht mehr völlig ausgeschlossen zu sein scheint.

Es bleibt spannend zu beobachten, wie sich die neue Linke formiert und ob sie in der Lage sein wird, überzeugende und klare Botschaften an die Wählerinnen und Wähler zu versenden. Gäbe es links von der PSOE einen verlässlicheren Partner, mit dem sich koalieren ließe, während die PP lediglich in der um­strittenen Vox einen Partner fände, sähe sich das progressive Lager in einer deutlich besseren Ausgangsposition.

Mit dem Wahltermin nach dem Beginn der spanischen EU-Ratspräsidentschaft am 1. Juli 2023 sind Unwägbarkeiten verbunden. Jedoch ist Spanien nicht das erste Land, in dem während der EU-Ratspräsidentschaft eine wichtige Wahl ansteht. So betonen die zuständigen Minister, dass die Stäbe der Ministerien für einen reibungslosen Ablauf sorgen werden. Politisch gerät die sogenannte „goldene“ Präsidentschaft – die letzte der amtierenden Kommissionspräsidentin von der Leyen vor den anstehenden Wahlen zum Europaparlament, die ihr ein gutes Sprungbrett für die Bewerbung um eine zweite Amtszeit geben sollte – allerdings nun in ein unsicheres Fahrwasser. Die Konservativen im europäischen Parlament setzen 2023 in Spanien sehr auf einen Machtwechsel . Die Europäische Volkspartei unter Manfred Weber hatte auf einen Sieg der PP gegen Ende des Jahres gesetzt, um dann auch die Wahl der Kandidatin für das Amt der Chefin der Kommission aus einer gewachsenen Stärke heraus zu definieren.

Für Spanien und Europa steht viel auf dem Spiel. Sollten die Spanier im Juli mehrheitlich rechtskonservativ wählen, wäre Spanien ein weiterer Baustein im Rechtsruck in Europa. Noch ist offen, ob Spanien sich diesem Trend widersetzen kann.