Frankreichs Menüauswahl für Sonntag, den 7. Mai, steht fest:
Vorspeise
Menü 1: „Das eigene Volk zuerst“
Menü 2: „Alle Menschen werden Brüder“
1. Gang
Menü 1: „Frexit“
Menü 2: „Führungsrolle Frankreichs in Europa“
2. Gang
Menü 1: „Protektionismus“
Menü 2: „wirtschaftliche Öffnung“.
Bei der Stichwahl der französischen Präsidentschaftswahlen stehen sich die Populistin Marine Le Pen und der „Globalist“ Emmanuel Macron gegenüber. Macron muss dabei um jeden Preis vermeiden, dass es zum Dessert „Volk gegen Elite“ gibt. Denn machen wir uns nichts vor: Die Leute auf den untersten Sprossen der sozialen Leiter murren. Und wenn Macron ihnen keine Verbesserung bringt, werden sie früher oder später doch Le Pen wählen. Scheint ausgeschlossen? Wir wissen es inzwischen besser. Auf Barack Obama folgte Donald Trump. Auf Tony Blair folgte der Brexit. Aus der ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahlen ziehe ich daher schon einmal vier Lektionen.
Lektion 1: Jeder, der für die aktuelle Situation in Frankreich für verantwortlich gehalten wird, fliegt erbarmungslos aus dem Rennen. Keiner der Ex-Präsidenten, Ex-Ministerpräsidenten oder Ex-Minister, der nicht den Mut hatte, eine eigene Bewegung zu gründen, überlebte die erste Runde. Dies ist nichts weniger als das politische Nachbeben einer aus dem Ruder gelaufenen Globalisierung, die für zunehmende Verunsicherung und Ungleichheit gesorgt hat. Oder anders ausgedrückt: Die Abfolge von Krisen (Banken, Euro, Flüchtlinge, Terror) findet nun ihren demokratischen Niederschlag. Vielleicht ist Deutschland im Herbst die Ausnahme, doch selbst dort schließt der „Outsider“ Martin Schulz – ein Sozialdemokrat wohlgemerkt – seit seinem Antritt als Kanzlerkandidat zu Angela Merkel auf.
Lektion 2: Der vermaledeite Dritte Weg, der angebliche Totengräber der europäischen Sozialdemokratie, ist überhaupt nicht tot. Im Gegenteil: Macron ist eine „Copy-Paste“-Version von Blair und Obama: Veränderung, an die man glauben kann, eine auf Werten gründende Kampagne statt Aktionismus, der Appell an Gemeinsamkeit statt Betonung der Verschiedenheit. Nur gewinnen Sozialdemokraten damit keine Wahlen mehr. Das tun andere an ihrer Stelle. Der Sieg wird heute zwischen Linksliberalen und radikalen Linken (wie Jean-Luc Mélenchon) geteilt. Ihre Wähler scheinen manchmal in anderen Welten zu leben. Der Versuch von Benoît Hamon, sich mit Forderungen wie einem bedingungslosen Grundeinkommen ins Rennen zu zwängen, scheiterte. Es ist schwierig, Brücken zu bauen, wenn man selbst ein notorischer Störer der vorherigen Regierung ist.
Lektion 3: Auch Frankreich entkommt nicht dem politischen „backlash“ gegen die Globalisierung, den wir nach Blair und Obama beobachten konnten. Mehr als die Hälfte der französischen Wähler, die weniger als 2000 Euro verdienen, wählten schließlich Mélenchon oder Le Pen. Macron hingegen holte seine Stimmen bei den Besserverdienern und den besser Ausgebildeten. Anders ausgedrückt: Am 7. Mai heißt es: die Populistin Le Pen gegen den „Globalisten“ Macron. Und genau dieser Gegensatz kann Macron – ungeachtet der für ihn hervorragenden Umfrageergebnisse – möglicherweise doch noch die Präsidentschaft kosten.
Macron muss zeigen, dass sein Patriotismus den französischen Wohlstand mit Hilfe der Europäischen Union sichert.
Aus genau diesem Grund muss er den „Verlierern der Globalisierung“ ein sehr gutes politisches Angebot machen. Er muss die Wählerinnen und Wähler von Le Pen und Mélenchon davon überzeugen, dass seine Veränderungen auch im Norden und Osten von Paris soziale Verbesserungen bringen. Er muss zeigen, dass sein Patriotismus den französischen Wohlstand mit Hilfe der Europäischen Union sichert, während der Nationalismus von Le Pen Frankreich Zwietracht und Verarmung bringen wird. Er muss den Widerstand dieser Wähler gegen die EU überwinden, indem er zeigt, dass sich diese Union – auch durch sein Zutun – durchaus reformieren kann. Die Solidaritätsbekundungen und die Vereinnahmung durch die gesamte europäische Elite kommt also sehr ungelegen. Macron konnte gerade so den ersten Platz erobern, weil er – anders als die europäische Elite – nicht für die heutige Malaise verantwortlich gemacht wird.
Ohne eine soziale Reform der EU heißt Macrons Nachfolgerin Marine Le Pen.
Lektion 4: Wenn Macron nicht für die dringend erforderlichen Reformen in Europa sorgt, wird er auch in Frankreich scheitern. Er kann sich, was die Vereinnahmung seines Erfolgs durch die europäischen Liberalen und Konservativen angeht, also besser vorsehen. Denn es ist genau dieses liberal-konservative Europa, das die Verlierer der Globalisierung noch weiter ins Abseits geschoben hat und die Wähler in die Arme der europafeindlichen Parteien treibt. Es ist das Europa, das Bankenkrisen auf sie abwälzt, neue Jobs und Investitionen blockiert, Löhne senkt und die Flüchtlingskrise im Chaos versanden lässt. Seit dem Brexit gewinnt das proeuropäische Lager eine Wahl nach der anderen, doch es muss dieses Mandat auch nutzen. Der Erfolg des „Antipopulismus“ in den Niederlanden und Frankreich darf nicht zum Freibrief für einen Status quo in Europa werden. Ohne eine soziale Reform der EU heißt Macrons Nachfolgerin Marine Le Pen.
Macron ist der Kandidat der letzten Chance für Europa und die Eurozone. Es ist richtig, dass er Frankreichs sozial-ökonomische Schieflage korrigieren und das Land aus den roten Zahlen holen will, dass er mehr Jobs schaffen will. Dies muss Frankreich in die Lage versetzen, Deutschland in die Augen schauen und von einer fortschrittlichen Reform der EU überzeugen zu können. Die Denkarbeit für diese Reformen ist bereits gemacht, unter anderem von Leuten aus der Mannschaft von Macron. Hoffentlich bleibt er, wenn er an der Macht ist, seinen intellektuellen Wurzeln treu und findet den politischen Mut, auf dieser Grundlage Europa wieder in die Spur zu bringen und die Populisten zurück an den Rand der politischen Debatte zu drängen.
Dieser Artikel ist eine Übersetzung aus dem Flämischen. Er erschien zuerst in der belgischen Zeitschrift Knack.




