Die mazedonische Bevölkerung hat am Sonntag drei Fragen in einer Frage beantwortet: „Sind Sie für die Mitgliedschaft in EU und NATO durch die Annahme des Abkommens zwischen der Republik Mazedonien und der Republik Griechenland?“ Das Referendum ermöglichte es der Bevölkerung also darüber abzustimmen, ob sie mit der Änderung des Namens und in der Folge mit der Annäherung an EU und NATO einverstanden sind. 91,61 Prozent der Stimmen wurden dafür abgegeben, 5,64 Prozent dagegen. Die Wahlbeteiligung blieb mit 36,87 Prozent allerdings deutlich unter dem symbolischen Quorum von 50 Prozent. Die Gegner des Abkommens boykottierten das Referendum weitestgehend. Allerdings lag dem Quorum die Annahme zugrunde, dass 1,8 Millionen. Wahlberechtigte in Mazedonien und dem Ausland abstimmen könnten. Diese Zahl ist veraltet und verzerrt. Es ist davon auszugehen, dass etwa 50 Prozent der tatsächlich heute in Mazedonien wohnhaften Wahlberechtigten abgestimmt haben. Und zwar mit „ja“.
Das Referendum in Mazedonien ist weder gescheitert noch war es erfolgreich. Es war konsultativ. Das Ergebnis: Diejenigen, die die Möglichkeit zur demokratischen Stimmabgabe genutzt haben, sind in überwältigender Mehrheit für die Annahme des Abkommens mit Griechenland und damit für die Mitgliedschaft in NATO und EU. Die Gegner des Abkommens haben das Referendum boykottiert. Premier Zoran Zaev lässt sich davon nicht in seinem Reformkurs aufhalten – und tut gut daran. Jetzt liegt der Ball beim Parlament.
Es muss nun bis Jahresende über die Verfassungsänderung abstimmen. Der Vorsitzende der größten Oppositionspartei VMRO-DPNME, Hristijan Mickoski, dankte nach Schließung der Wahllokale der Boykott-Bewegung #bojkotiram. Seit Monaten wettert die Bewegung gegen das Abkommen mit Griechenland. Öffentlichkeitswirksam rief sie zum Boykott des Referendums auf. Das ist demokratisch bedenklich und strategisch unklug.
Die sozialdemokratische Regierung um Zaev verfolgte mit dem Referendum vor allem ein Ziel: Der Opposition eine gesichtswahrende Möglichkeit zu geben, im Parlament für die Verfassungsänderung zu stimmen. VMRO hatte den Griechenlandkompromiss lautstark als Verrat kritisiert und verkündet, selbst ein besseres Abkommen abschließen zu können. Das Referendum sollte den Abgeordneten die Möglichkeit geben, „Volkes Stimme“ zu folgen, auch wenn sie persönlich das Abkommen ablehnen. Damit könnten sie gesichtswahrend den Weg frei machen für EU-Beitrittsverhandlungen und in die NATO, so das Kalkül der Regierung.
Die populistischen und nationalistischen Kräfte jubeln über einen Pyrrhussieg.
Denn nur mit dem Abkommen mit Griechenland hat Mazedonien eine Chance, EU-Beitrittsverhandlungen zu eröffnen. Nur mit der darin vereinbarten Namensänderung ist ein NATO-Beitritt möglich. Die zahlreichen internationalen Besuche der vergangenen Wochen in Skopje zeigten, dass die EU den proeuropäischen Kurs begrüßt. Die Bevölkerung sollte sehen, welche Chancen für sie in EU- und NATO-Perspektive liegen: Wirtschaftlicher Aufschwung im Land, mehr Arbeitsplätze, bessere Zukunftsaussichten für junge Menschen sowie eine Stärkung des Rechtsstaats. Dass nun die populistischen und nationalistischen Kräfte jubeln über einen Pyrrhussieg – ein nicht-erfülltes Quorum in einem konsultativen Referendum, das auf veralteten Wahlregistern basiert – verhöhnt nicht nur die Anstrengungen der Regierung und der Reformkräfte, das Land anschlussfähig an die Europäische Union zu machen. Es ist auch ein Schlag ins Gesicht für all die internationalen Akteure, die sich um Stabilität und Fortschritt auf dem Balkan bemühen. Und es ignoriert, dass 670 000 Menschen abgestimmt haben und dass auch deren Stimmen zählen müssen, selbst wenn viele Bürgerinnen und Bürger ihr Wahlrecht nicht genutzt haben.
Die Parteiführung der Konservativen in Mazedonien brüskiert mit ihrer Haltung die unzähligen hochrangigen internationalen Besucher, unter ihnen wichtige Vertreter_innen der eigenen Parteienfamilie wie Angela Merkel, Österreichs Kanzler Sebastian Kurz oder EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn. Die Konservativen haben kein Interesse daran, die historische Gelegenheit zu nutzen. Auch Präsident Gjorge Ivanov hatte das Referendum boykottiert und in spalterischer Rhethorik seit Wochen gegen die Namensänderung und gegen den inklusiven „überethnischen“ Politikstil der Regierung Stimmung gemacht.
Es gilt nun, an die pro-europäischen Reformkräfte innerhalb der Opposition zu appellieren. Denn die hohe internationale Aufmerksamkeit für Mazedonien hat auch damit zu tun, dass die EU selbst einen erfolgreichen Reformprozess auf dem Balkan braucht. Die Region ist migrationspolitisch wichtig. Der westliche Balkan ist geografisch eine Insel in der EU. Diese langfristig anzubinden und friedliche Demokratisierung zu fördern, liegt im Interesse aller europäischen Staaten. Die jetzige mazedonische Regierung ist ein glaubwürdiger Partner, dessen Reformprozess Unterstützung verlangt. Zaev und die mazedonischen Sozialdemokraten symbolisieren derzeit das einzig verlässliche Zukunftsticket, das der westliche Balkan hat: Programmatische Politik entlang von Werten, nicht entlang ethnischer Linien und nationalistischer Kämpfe; mutige Entscheidungen jenseits der eigenen Karriere und glaubhafter Reformwille.
Es ist kein Zufall, dass zwei links-orientierte Regierungen Hoffnung auf die Überwindung alter Streitigkeiten machen.
Gerade der Wille zu Reformen muss nun durch klare und schnelle Signale in zentralen Politikfeldern belegt werden. Besonders die Reformen im Justizwesen und der Geheimdienste liegen im Fokus der Europäischen Union. Für die Menschen spürbar werden sie allerdings erst später sein. Die Regierung ist daher gut beraten, sich neben diesen wichtigen und für die politische und wirtschaftliche Stabilität zentralen Bereichen auch um Alltägliches zu kümmern. Die hohe Luftverschmutzung in Skopje, die Erneuerung der Straßen, die Müllentsorgung und das unterfinanzierte und segregierte Bildungswesen – all dies sind Bereiche, in denen die Menschen Verbesserungen erwarten. Aber ohne die Beilegung des Namensstreits und die dafür nötige Verfassungsänderung wird der Reformprozess nicht möglich sein[CD1] . Es ist kein Zufall, dass es ausgerechnet zwei links-orientierte Regierungen sind, die mit dem Namensabkommen Hoffnung auf ein Überwinden alter Streitigkeiten machen. Sollte Zaevs Regierung der Durchbruch gelingen, liegt der Ball im Feld Griechenlands. Dann müsste die Regierung dort Wort halten und das Abkommen ratifizieren.
Das klare Bekenntnis demokratischer Kräfte in Mazedonien sollte auch in den anderen EU-Mitgliedsstaaten anerkannt werden. Im Juni müssen der Europäische Rat und damit die Mitgliedsstaaten entscheiden, ob ein Datum für den Beginn der Beitrittsverhandlungen Mazedoniens festgelegt wird. Es ist auch eine Entscheidung darüber, ob progressive Politik der Westbalkan-Inseln durch die EU belohnt wird. Wenn die EU die Gelegenheit verpasst, könnten die Verbindungen gekappt werden. Andere Mächte stehen längst bereit. Sie haben die strategische Relevanz der Region erkannt.