Knapp vier Jahre war Sebastian Kurz österreichischer Bundeskanzler. Wie geht es nach seinem Rücktritt für ihn weiter und wie für die österreichische Demokratie, angesichts der Wandlung der Konservativen zu einer destruktiven Kraft?

Als Sebastian Kurz im Mai 2017 Obmann der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) und im Oktober des gleichen Jahres schließlich Kanzler wurde, schien es, als wäre dies jeweils die einzig logische Wahl. Er präsentierte sich auf Grund von Umfragen als alternativlos. Dabei lief alles nach einem gut geplanten Drehbuch. Dieses Drehbuch wurde der Öffentlichkeit einige Monate später als „Projekt Ballhausplatz“ bekannt, als der damalige Spitzenkandidat und Parteichef der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), Heinz-Christian Strache, es in einer Talkshow publik machte.

Als Voraussetzung für die Übernahme des Chefpostens der ÖVP hatte sich Kurz vom Parteivorstand sieben Forderungen gewähren lassen, die ihm eine Machtfülle garantierten, die keiner seiner Vorgänger je gehabt hatte. Die Partei wurde völlig auf seine Person umgekrempelt: Kurz erhielt ein Durchgriffsrecht, freie Hand bei der Personalauswahl (bis zur Besetzung der Ministerposten) und konnte bei den Wahlen im Herbst als „Liste Kurz – Die neue Volkspartei“ antreten. Sogar die Parteifarben wurden von schwarz auf türkis geändert.

Die innerparteiliche Entdemokratisierung ging mit einer inhaltlichen Übernahme der Kernthemen der rechtsextremen FPÖ einher: Migration, Islam, „Ausländer“. Die ÖVP wurde zu Sebastian Kurz und Sebastian Kurz wurde zur ÖVP.

Die ÖVP wurde zu Sebastian Kurz und Sebastian Kurz wurde zur ÖVP.

Sebastian Kurz’ Politikstil ist geprägt von einer Logik des permanenten Wahlkampfs. Dabei geht es um die Beherrschung des „News Cycle“: Die nächsten 24 Stunden sind immer die wichtigsten, es ist entscheidend, die Schlagzeilen für den nächsten Tag zu bestimmen. Das führt zu ständigen Grenzüberschreitungen und zum Produzieren von Aufregern. Ein Skandal jagt den nächsten. Diese Strategie teilt er mit Politikern wie Trump, die Aufreger zu ihrem Kerngeschäft gemacht haben. Dazu gehört auch ein spezieller Umgang mit unabhängigen Medien und Kritikern, die als zu bekämpfende Feinde gesehen werden.

Neben den inszenierten und bewusst herbeigeführten Skandalen gibt es auch handfeste Ermittlungen der Justiz. Sebastian Kurz steht nicht nur aufgrund der aktuellen Geschehnisse in Konflikt mit dem Gesetz – wobei selbstverständlich die Unschuldsvermutung gilt. Vielmehr wurde er schon vor wenigen Wochen in einer anderen Sache vernommen. Kurz soll vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss falsch ausgesagt haben, was sein Verhältnis zu Thomas Schmid und seine Mitwirkung an dessen Bestellung zum Alleinvorstand der Österreichischen Beteiligungs AG (ÖBAG) betrifft. Dieser Thomas Schmid spielt im aktuellen Skandal wiederum eine entscheidende Rolle, hier noch als Generalsekretär im Finanzministerium. Schmid soll Teil eines Netzwerkes gewesen sein, das gefälschte Umfragen auf Steuerkosten hat erstellen lassen, um sie an eine große Boulevard-Zeitung („Österreich“) zu liefern. Diese brachte die Umfragen dann groß heraus und bekam im Gegenzug wiederum auf Kosten der Steuerzahler teure Inserate.

Es geht also um Bestechung, Bestechlichkeit und Korruption. Es sind viele Skandale, aber immer stehen dieselben Personen im Zentrum. Die österreichische politische Realität zeigt sich als eine Mischung aus Krimi und schlechtem Mafia-Film. Dieses Mal war es ein Schippchen zu viel und Sebastian Kurz musste zurücktreten bzw. „zur Seite treten“, wie er es nennt. Sein Netzwerk und seine Handlanger sitzen aber nach wie vor an den Hebeln der Macht.

Die österreichische politische Realität zeigt sich als eine Mischung aus Krimi und schlechtem Mafia-Film.

In meinem aktuellen Buch Radikalisierter Konservatismus eine Analyse beschreibe ich diese Wandlung des Konservatismus hin zu einer destruktiven und nicht mehr staatstragenden Macht. In Zeiten der multiplen Krisen sucht eine Fraktion des Konservatismus ihr Heil in der Übernahme von Strategien und Ideologieelementen der extremen Rechten. Sie sind auf Zerstörung aus. Die faktische Wahrheit wird zum Gegenstand von Diskussion und Spekulation. Es wird eine Parallelrealität aufgezogen, die immer weniger Überschneidung mit der Realität hat, wie sie sich allen anderen darbietet. Dies funktioniert, weil die Erzählungen und Darstellungen der ÖVP tatsächlich sehr wirkmächtig sind.

Die Zerstörung eines gemeinsamen Erfahrungsraums ist nichts anderes als das Abtragen des demokratischen Zusammenhalts. So übernimmt auch Kurz keinerlei Verantwortung oder bringt auch nur eine Entschuldigung über die Lippen. Vielmehr präsentiert er sich als zu Unrecht verfolgter Märtyrer. Kurz heizt damit die gesellschaftliche Stimmung und Polarisierung weiter an. Es ist nie zu viel, es gibt kein Überdrehen.

Was nun, Österreich? Es gibt drei mögliche Zukunftsszenarien.

Erstens könnten wir aktuell einen Abschied auf Raten sehen. Sebastian Kurz als gefallener Held, für den es kein Zurück mehr gibt. Entweder weil die Ermittlungen der Justiz so erdrückend werden, dass er wirklich nicht anders kann, oder weil es einen Aufstand in seiner eigenen Partei gibt. Erste Absetzbewegungen sind bereits im Gange.

Kurz präsentiert sich als zu Unrecht verfolgter Märtyrer. Er heizt damit die gesellschaftliche Stimmung und Polarisierung weiter an.

Zweitens könnte sich Sebastian Kurz in seiner Rolle als Nicht-Kanzler gefallen und stattdessen jene des Parteiobmanns und Klubchefs bekleiden. Aus dieser heraus könnte er die Regierungsarbeit, die Opposition und den Koalitionspartner nach Lust und Laune torpedieren. Der neue Kanzler, Alexander Schallenberg, zeigt sich in ersten Interviews als treuer Statthalter von Kurz und macht keinerlei Anstalten, sein Amt eigenständig oder neu auszufüllen. Er könnte zum devoten und inszenierten „Watschenkanzler“ für Kurz werden.

Drittens könnte Kurz seine Rückkehr ins Kanzleramt vorbereiten. Dieser Weg ginge jedoch nur, wenn er einer breiten Mehrheit der Bevölkerung glaubhaft macht, dass die Ermittlungen gegen ihn Teil einer linken Hexenjagd sind. Damit würde er die Ermittlungen nicht negieren oder wegwischen, sondern die Justiz als solche diskreditieren. Dann würde am Ende entweder ein Kanzler Sebastian Kurz oder eine intakte, unabhängige Justiz stehen. Dieses dritte Szenario ist nicht unbedingt das unwahrscheinlichste.