Das wichtigste Ergebnis der Wahl am Sonntag in Spanien ist die Wahlschlappe der radikal rechten Partei Vox. Unter der Führung von Santiago Abascal verliert die Partei im zehnten Jahr ihrer Existenz massiv an Zustimmung und mehr als ein Drittel ihrer Sitze im Parlament. Der Wahlkampf des Hasses und der Ausgrenzung, der Leugnung von Tatsachen sowie der Verleumdung von Politikern, allen voran des Ministerpräsidenten Pedro Sánchez, hat sich somit nicht ausgezahlt. Erste Erfahrungen mit politischen Entscheidungen auf regionaler und kommunaler Ebene – Zensur, die Verharmlosung geschlechterspezifischer Gewalt sowie eine rückwärtsgewandte Mobilitätspolitik – haben die Spanierinnen und Spanier hellhörig werden lassen. Mit dem Stimmenentzug für Vox zeigt sich das Land von seiner modernen und liberalen Seite und widersetzt sich dem europäischen Trend der Zugewinne und Regierungsbeteiligungen von radikal rechten Parteien.

Weil die konservative PP deutlich weniger Stimmen hinzugewonnen hat als erwartet, kann sie ihren Sieg nicht groß feiern. Mit 33 Prozent der Stimmen gewann sie 136 von 350 Sitzen – zu wenig wohl, um eine parlamentarische Mehrheit für eine stabile Regierung zu schmieden. Und das obwohl der Stimmenzuwachs auch auf Stimmen zurückgeht, die eigentlich auf die ehemalige rechtsliberale Partei Ciudadanos abgefallen wären, die bei der Wahl 2019 noch sieben Prozent der Stimmen eingefahren hatte, nun aber nicht mehr antrat. Somit fällt der Erfolg des Vorsitzenden Alberto Nunez Feijoo eher bescheiden aus. Er hatte die Wahl als ein Plebiszit gegen die progressive Regierung von Pedro Sánchez deklariert und diese trotz des beachtlichen Zuwachses von 47 Sitzen nun doch irgendwie verloren. Das sehen auch die Anhängerinnen und Anhänger seiner beiden parteiinternen Widersacher so – und positionieren Diaz Ayuso (Region Madrid) und Juanma Moreno (Andalusien) schon als mögliche Nachfolger des PP-Vorsitzenden Feijoo.

So ist die PP zwar erwartungsgemäß stärkste Partei geworden, befindet sich aber dennoch in keiner guten Verhandlungsposition. Denn im Gegensatz zu den Sozialisten fehlen ihr die potenziellen Partner im Parlament. Der Schlingerkurs Feijoos gegenüber den radikal Rechten – Koalitionen in vier Ländern/Regionen und in Hunderten von Gemeinden – hat sich nicht bewährt. Nun reicht es möglicherweise nicht einmal für eine einfache Mehrheit im Parlament und damit für eine Minderheitsregierung.

Entgegen des vorausgesagten Trends hat die sozialdemokratische PSOE unter Führung von Pedro Sánchez Wählerinnen und Wähler erneut mobilisieren und für sich gewinnen können. Mit knapp 32 Prozent der Stimmen konnte die Partei im Vergleich zur letzten Wahl 2019 sogar zwei Sitze hinzugewinnen. Bei einer positiven Bilanz der Minderheits-Koalitionsregierung, vor allem im Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik, war das Image des sozialistischen Ministerpräsidenten eine der größten Hürden. Nicht nur bei den Gegnern galt er als unnahbar, arrogant und machtbesessen. Hier gelang es Pedro Sánchez, das Blatt zu wenden: Wie nie zuvor nutzte er populäre TV-Formate und zeigte seine menschliche, bisweilen verletzliche wie auch humorvolle Seite. Die Charme-Offensive gelang – vor allem auch auf den sozialen Medien wie TikTok. Selbst degradierende Spötteleien wie ein Social-Media-Bild des „Perro Sánchez“ (des „Hundes Sanchez“) konnten mit Sarkasmus und Humor neuinterpretiert werden und steigerten in der Folge seinen Beliebtheitsgrad. In einem gemeinsamen TV-Auftritt kurz vor dem Wahltermin konnten die Protagonisten einer progressiven Koalitionsregierung – Vizepräsidentin Yolanda Diaz (Bündnis Sumar) und Pedro Sánchez – ihren gegenseitigen Respekt und den vertrauensvollen Umgang sehr plastisch machen. Damit haben sie für eine Neuauflage des progressiven Bündnisses werben und die Aufmerksamkeit auf eine insgesamt sehr positive Regierungsbilanz lenken können.

Jedoch hegt keine der beiden großen Parteien Intentionen in Richtung einer großen Koalition.

Die Frage der Regierungsbildung bleibt vorerst jedoch noch offen. Nach der Konstituierung des Parlaments am 17. August werden zunächst die Wahlen für die Vorstände im Parlament stattfinden. König Felipe VI. wird dann mit den Parteien im Parlament sprechen und entscheiden, wen er mit der Regierungsbildung beauftragt. Für die parlamentarische Bestätigung einer Regierung braucht es im ersten Wahlgang die absolute, im zweiten die einfache Mehrheit. Sollte innerhalb von rund 50 Tagen kein Vorschlag eine ausreichende Mehrheit finden, werden Neuwahlen ausgerufen, die wiederum innerhalb von rund 50 Tagen stattfinden müssen. Dann würde in Spanien gegen Ende des Jahres erneut gewählt werden – bis dahin bliebe die Regierung Pedro Sánchez als geschäftsführende Regierung im Amt und auch in der Verantwortung für die EU-Ratspräsidentschaft bis zum Ende des Jahres 2023.

Komplexität gehört zum plurinationalen Spanien dazu. Gesellschaft und politische Akteure müssen mit der nicht einfachen Situation umgehen können. Stabilisierend wirkt, dass auch 2023 zwei große Volksparteien jeweils mehr als ein Drittel der Parlamentssitze auf sich vereinen. Jedoch hegt keine der beiden großen Parteien Intentionen in Richtung einer großen Koalition – dieses Szenario ist undenkbar wegen einer stark polarisierenden Kultur beziehungsweise der entsprechenden Inszenierung der parteipolitischen Profile. So können regierungsfähige Koalitionen jeweils nur am rechten oder linken Rand geschmiedet werden – was vielen gemäßigten Spanierinnen und Spaniern ein Dorn im Auge ist.

Weiterhin braucht es für parlamentarische Mehrheiten dann auch die kleinen, regionalen Parteien, die mit großem Selbstbewusstsein agieren und ihre parlamentarische Unterstützung für die Regierungsbildung von deftigen Zugeständnissen abhängig machen. Dies polarisiert die öffentliche Meinung weiter und wird vom politischen Gegner gern angeprangert. Regierungs- und Parteichef Pedro Sánchez zeigte sich in der ersten Sitzung des Präsidiums der PSOE am Montag nach der Wahl zuversichtlich, dass sich der Wille von elf Millionen Wählerinnen und Wählern umsetzen lässt, die für eine progressive Regierung gestimmt haben, und dass das demokratische Prozedere eine Regierungsbildung ohne erneuten Urnengang möglich macht.

In den vergangenen vier Jahren haben die Sozialisten unter der Führung von Pedro Sánchez gezeigt, dass sie mit der besonderen Komplexität umzugehen und Verhandlungen zum Wohle des gesamten Landes zu führen wissen. So stehen die Chancen gut, dass es auch dieses Mal zu konstruktiven Verhandlungen kommt. Die Spanierinnen und Spanier haben sich jedenfalls für gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritt, nicht für Rückschritt ausgesprochen.