Seit dem 31. Januar 2020 ist Großbritannien raus aus der EU. Das sogenannte Rücknahmeabkommen sieht eine Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 2020 vor, um die langfristigen Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich (UK) und der Europäischen Union neu zu verhandeln. Die Übergangsfrist hätte bis spätestens 30. Juni 2020 über den 31. Dezember 2020 hinaus verlängert werden müssen, um enormen Schaden für England und die EU abzuwenden. Nun steht ein No-Deal Brexit, also ein Ausscheiden des UK ohne Abkommen bevor.

Zum Jahreswechsel wird England wieder durch Zoll-Außengrenzen vom Rest der EU abgeschottet sein. Politiker und Unternehmerverbände in beiden Lagern warnen seit Jahren vor den gravierenden ökonomischen, sozialen und kulturellen Nachteilen, die diese Entscheidung mit sich bringt. Die schwerwiegenden Auswirkungen des Brexits, gerade auch auf Großbritannien selbst, das von allen europäischen Staaten zudem am schwersten unter der Corona-Krise leidet, werden dadurch noch verstärkt.

Obwohl dem Vereinigten Königreich bereits eine zweite Corona-Welle droht, ist der britische Premierminister Boris Johnson wild entschlossen, die EU Ende 2020 zu verlassen, unabhängig von den Kosten. Bereits im April 2020 sank das monatliche Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 20,4 Prozent. Dies war der größte Rückgang, den Großbritannien jemals erlebt hat, fast zehnmal so hoch wie die bisher schwerste Rezession vor Covid-19. Unter diesen Umständen ist es fraglich, ob sich das Vereinigte Königreich nach dem Brexit ohne die bewährte Zusammenarbeit mit der EU am eigenen Schopf aus der Coronakrise herausziehen kann.

Man würde erwarten, dass London mehr denn je daran interessiert sein müsste, in den kommenden Jahren von einem möglichen gemeinsamen Rettungspaket für die EU zu profitieren, sowohl hinsichtlich der wirtschaftlichen als auch der gesundheitlichen Folgen der Pandemie. Dies gilt umso mehr angesichts der zusätzlichen Brexit-bedingten steigenden Arbeitslosigkeit. Johnson scheint sich jedoch nicht darum zu kümmern. Und angesichts der ideologischen Aufladung des Themas Brexit ist es ebenfalls fraglich, ob diejenigen, die ihn gewählt haben, jetzt anders handeln würden. Tatsächlich wagten einige Politiker bereits die Vermutung, daß die britische Regierung einen chaotischen No-Deal-Austritt aus der EU provozieren könnte, um von ihrem Scheitern in der Covid-19-Krise abzulenken.

Unter diesen Umständen ist es fraglich, ob sich das Vereinigte Königreich nach dem Brexit ohne die bewährte Zusammenarbeit mit der EU am eigenen Schopf aus der Coronakrise herausziehen kann.

Es ist offen, ob sich Großbritanniens fromme Wünsche hinsichtlich der Ersetzung des EU-Binnenmarkts durch erweiterte Verbindungen zu seinen früheren Commonwealth-Märkten, vor allem zum US-Markt, realisieren lassen. Bereits London selbst war diesbezüglich eher vorsichtig. Anfang März wurde geschätzt, dass ein verstärkter bilateraler Handel mit den USA allenfalls zu einer bescheidenen Steigerung des Wohlstand führen würde: Das eigene Bruttoinlandsprodukt könnte um 0,07 Prozent bis 0,16 Prozent steigen, dies jedoch erst nach etwa 15 Jahren!

Außerdem sind die USA nach der EU nur der zweitgrößte britische Handelspartner. Ganz davon abgesehen, hat sich die britische Regierung bisher vehement gegen amerikanische Wünsche, wie eine vollständige Öffnung der Landwirtschaft für amerikanische Investoren und den Zugang zum National Health Service NHS für US-amerikanische Pharmahersteller, gewehrt. Ob Londons Ambitionen hinsichtlich der Öffnung der afrikanischen Märkte vielversprechender sein werden, ist noch zweifelhafter, da die verbleibende EU-27 keineswegs untätig bleibt und eine eigene Afrika-Agenda in der Schublade hat.  

Die doppelten Auswirkungen von Brexit und Corona auf die Wirtschaft und Gesellschaft Großbritanniens sind bereits schwer genug. Für die 19 afrikanischen Mitgliedstaaten des insgesamt 54 Länder umfassenden Commonwealth of Nations sind sie jedoch noch ungleich bedrohlicher. Ob Großbritannien, wie großmäulig angekündigt, die zusätzliche Macht haben wird, seinen ehemaligen afrikanischen Kolonien zu helfen, nicht nur die Folgen eines No-Deal-Brexits sondern auch noch die Auswirkungen der Coronapandemie zu bewältigen, ist fraglich. Denn Länder wie Südafrika, Nigeria, Ghana und Kenia zählen mit zu den am stärksten betroffenen in Afrika. Nach Schätzungen der Weltbank wird die Pandemie die Region insgesamt zwischen 37 und 79 Milliarden US-Dollar kosten.

Südafrika gilt als das am stärksten sowohl vom Brexit als auch von Corona betroffene Land Sub-Sahara Afrikas. Diejenigen, die am meisten darunter leiden würden, sind Südafrikas Arme (80 Prozent der Bevölkerung), die im informellen Sektor oft als Tagelöhner ihr Auskommen suchen. Sie laufen am ehesten das Risiko, sich anzustecken. Trotzdem übersteigen die Sorgen, wegen der wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie sich und ihre Familien nicht mehr ernähren zu können, die Ängste vor der Krankheit selbst. Wegen der kombinierten Auswirkungen von Brexit und Corona droht der südafrikanischen Wirtschaft, die besonders exportabhängig ist, der Kollaps. Insbesondere deren Motor, die Automobilindustrie, aber auch Bergbau und die landwirtschaftliche Exportindustrie haben wegen des weltweiten Rückgangs der Nachfrage zu leiden. Post-Brexit wären südafrikanische Autoexporte mit zehn Prozent Zöllen nicht mehr wettbewerbsfähig und die globale Lieferkette in der Automobilproduktion würde im Falle eines No-Deal Brexits nachhaltig gestört.

Die doppelten Auswirkungen von Brexit und Corona auf die Wirtschaft und Gesellschaft Großbritanniens sind bereits schwer genug. Für die 19 afrikanischen Mitgliedstaaten des Commonwealth of Nations sind sie jedoch noch ungleich bedrohlicher.

In Nigeria, dem bevölkerungsreichsten Land des Kontinents, begann die Pandemie relativ spät und mäßig, obwohl die meisten Menschen auch hier in absoluter Armut leben. Letztere sahen Corona am Anfang als eine aus Europa eingeschleppte Plage, die nur die Reichen und die Elite betrifft, sozusagen als Strafe Gottes für die jahrzehntelange Plünderung des Landes. Die Armen erhofften sich dagegen Rettung vor dem Virus. Sie wurden jedoch bald eines Besseren belehrt. Die wirtschaftlichen Aktivitäten, gerade auch im informellen Sektor, wurden im Rahmen der Corona-Ausstiegsbeschränkungen reduziert. Produktion, Handel und Konsum gingen zurück, viele der begehrten Arbeitsplätze im formellen Sektor gingen verloren und die Beschäftigten im dominierenden informellen Sektor verloren ihre Einnahmen.

Trotzdem teilten Staatspräsident Buhari und viele Nigerianer zu Beginn die Hybris vieler Briten, dass sie weniger anfällig für die Pandemie seien. Außerdem setzten sie Hoffnung auf die versprochenen hochfliegenden Post-Brexit-Pläne eines neuen Handelsabkommens mit Großbritannien, mit rosigen Aussichten für einen „entfesselten“ Handel innerhalb des Commonwealth. Auf dem Investitionsgipfel zwischen Großbritannien und Afrika im Januar 2020 kündigte London Investitionen in Höhe von über 150 Milliarden britischen Pfund für Projekte zur Verbesserung der physischen Infrastruktur Nigerias an. Ob allerdings die britische Wirtschaft diese Summen angesichts der gewaltigen Ausgaben zur Bewältigung der Coronakrise im eigenen Land noch aufbringen kann, steht in den Sternen.

Die wirtschaftlichen Auswirkungen des Brexit auf Ghana werden am gravierendsten im Außenhandel, bei den ausländischen Direktinvestitionen und bei den Rücküberweisungen der Migranten zu spüren sein. Darüber hinaus müsste das im August 2016 von Ghana unterzeichnete Interim-Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPA), das die Ausfuhr von Waren in die EU, einschließlich des Vereinigten Königreichs, quotenfrei und ohne Zahlung von Zöllen ermöglicht, im Falle eines No-Deal Brexits von London neu ausgehandelt werden. Die drohende Rezession der britischen Wirtschaft aufgrund der kombinierten Auswirkungen von Brexit und Coroana wird auch zu einem erheblichen Rückgang der britischen Investitionen in Ghana führen.

In Kenia war die Sterblichkeitsrate bei Covid-19 viel niedriger als bei der SARS-Pandemie von 2003, aber die Übertragung des Covid-19-Virus war signifikant höher, einschließlich einer signifikanten Gesamtzahl an Todesopfern. Viele Kenianer sahen den Austritt Großbritanniens aus der EU eigentlich als Segen an. Sie hofften, dass britische Investoren nach dem Brexit nach lukrativen Anlagen in wachstumsstarken Ländern wie Ghana suchen würden. Dies ist jedoch angesichts der immensen Ausgaben, die Großbritannien nun zur Bewältigung der Coronakrise im eigenen Land braucht, auf absehbare Zeit illusorisch. London muss jetzt mindestens 700 Handelsabkommen mit 27 Nationen neu verhandeln. Dass Kenia dabei vorrangig behandelt wird, ist unwahrscheinlich. Kenianische Beobachter warnten jedoch bereits davor, dass ein gefährlicher Doppelschlag die kenianischen Exporteure treffen würde, wenn die britische Wirtschaft infolge eines schlecht geplanten Brexits zusammenbrechen würde.

Es steht außer Zweifel, dass sich die hochfliegenden Post-Brexit Pläne Johnsons angesichts der Zuspitzung der Coronakrise weder in Großbritannien noch in seinen ehemaligen afrikanischen Kolonien realisieren lassen. Die Britische Regierung wird sich am ehesten selbst in den Fuß schießen. Diejenigen, die am meisten unter den kombinierten Auswirkungen der Coronapandemie und des Brexits in England und in Afrika (und vermutlich weltweit) leiden müssen, werden allerdings wieder einmal die Armen und Verletzlichen sein.