Auffallend still war es in Europa, als Bulgariens Premier Boiko Borissov seine konservative GERB-Partei im März 2017 in eine Koalition mit dem rechtsextremen Parteienbündnis „Vereinigte Patrioten“ führte. „Der Wähler habe nun mal so entschieden“ kommentierte Borissov damals. Die Kollegen aus der Europäischen Volkspartei schwiegen. Auch in anderen Ländern Europas stellt man sich die Frage, ob ein Pakt mit rechten Parteien bald notwendig sein wird, um konservative Regierungen zu stabilisieren. Das kleine Bulgarien am Rande Europas scheint als Testlabor gerade recht. Doch die von Borissov angestrebte Stabilität wankt nun: Die unkontrollierten Vorstöße des Koalitionspartners haben eine Protestwelle losgetreten, die die Regierung in Bedrängnis bringt.

Die Patrioten habe man unter Kontrolle, wurde Borissov nach seiner Regierungsbildung im März 2017 intern zitiert. So ganz hat der Premier aber wohl selbst nicht dran geglaubt und ließ die Erfüllung der vierjährigen Amtszeit eigens als Ziel im Koalitionsvertrag festschreiben.

Tatsächlich schienen sich die „Vereinigten Patrioten“ schon kurz nach der Wahl politisch erschöpft zu haben: Der geforderte Grenzzaun zur Abwehr von Flüchtlingen – gebaut. Und mit dem „EU-Türkei-Deal“ nahm die Zahl der Geflüchteten in Bulgarien derart ab, dass selbst der standhafteste Rechtsextreme nicht mehr von einer Überflutung sprechen konnte. Nur etwa 1500 Geflüchtete sind schätzungsweise noch im Land. Die „Patrioten“, die über Fremdenfeindlichkeit hinaus kaum ein zusammenhängendes Programm haben, waren auf gelegentliche verbale Ausfälle gegen die bulgarische Roma-Minderheit und ihre internen Querelen zurückgeworfen. Im Parlament winkten sie die GERB-Initiativen mit durch. Während Borissovs Domestizierungsplan aufzugehen schien, sanken jedoch auch die Umfragewerte des Junior-Partners: Von den neun Prozent des Wahlergebnisses waren bald kaum mehr fünf übrig. Dass ein Bündnis, das von der Provokation lebt, nicht derart in politischem Alltag eingehegt werden kann, hätte auch Borissov absehen können.

Ein knappes Jahr nach der Wahl gelang den Patrioten der erste politische Coup – gegen die eigene Regierung.

Warnungen hatte es im Vorfeld genug gegeben: Insbesondere Valeri Simeonov, Vorsitzender einer der Bündnisparteien, wurde wegen Hassrede gerichtlich verurteilt, nachdem er 2014 Roma als „menschenähnliche Wesen“ bezeichnet hatte. Sein Wahlprogramm forderte überdies die Einrichtung von Roma-Reservaten, die „Touristenattraktionen“ sein könnten. Auf Parteimitglieder angesprochen, die auf Bildern in sozialen Medien den Hitlergruß zeigten, kommentierte Simeonov, er können selbst nicht dafür garantieren, dass er bei einem Besuch in Buchenwald in den 70er Jahren nicht auch „lustige Bilder“ gemacht habe. Simeonovs Ruf hat greifbare Konsequenzen: Seine Ernennung zum Vorsitzenden des Rates zur Integration von Minderheiten 2017 hat das Gremium faktisch lahmgelegt – die Verbände wollen nicht mit ihm arbeiten.

Explosive Statements waren auch von anderen Vertretern der Patrioten bekannt. Krasimir Karakachanov konstatierte noch 2008 im Parlament einen bulgarischen Gebietsanspruch auf Mazedonien. Heute ist Karakachanov Verteidigungsminister und gilt als der gemäßigte Spitzenpolitiker der Patrioten. Volen Siderov, ebenfalls Patrioten-Spitzenpolitiker, drang 2007 mit 50 Mitgliedern seiner Partei in die Redaktion der Zeitung „168 Chasa“ ein, die einen Artikel über die mögliche Verwicklung Siderovs in eine Spendenaffäre veröffentlicht hatte. Siderov machte überdies wiederholt Schlagzeilen mit rassistischen und antisemitischen Pöbeleien.

Im Vorfeld der Wahlen organisierten die Vereinigten Patrioten Grenzblockaden, um in der Türkei lebende, muslimische Wähler an der Stimmabgabe zu hindern. Hinzu kommen die internen Streitigkeiten der rechten Bündnisparteien, die sich auch untereinander kaum trauen und immer wieder über Kreuz liegen.

Ein knappes Jahr nach der Wahl gelang den Patrioten der erste politische Coup – gegen die eigene Regierung. Überraschend verkündeten sie im Dezember 2017, die zur Ratifizierung vorlegte „Istanbul-Konvention“ gegen häusliche Gewalt nicht unterstützen zu wollen. Was folgte, war eine beispiellose homophobe und misogyne Kampagne gegen die Konvention, mit der Bulgarien vermeintlich dekadente westeuropäische Konzepte wie die „Ehe für alle“ und das „dritte Geschlecht“ untergeschoben werden sollten. Dass die Bulgarischen Sozialisten auf denselben Zug aufsprangen heizte die Debatte zusätzlich an und besiegelte das Schicksal der Konvention.

Die Provokation bis zur Schmerzgrenze ist institutionelle Logik, denn ohne sie verschwinden die „Patrioten“ aus dem Sichtfeld der Öffentlichkeit. Die Regierungsbeteiligung wirkt dabei wie ein Verstärker.

Borissov entzog sich der direkten Konfrontation, indem er die Konvention dem Obersten Gericht zur Prüfung vorlegte. Dieses beschied deren Unvereinbarkeit mit der bulgarischen Verfassung. Der gesellschaftliche Schaden ist groß, nicht nur beim Kampf gegen häusliche Gewalt. Auch darüber hinaus sind geschlechterspezifische Themen eine derart heiße Kartoffel, dass keine Partei sie mehr politisch anfassen möchte. Der Begriff „Gender“ – in Bulgarien ein Synonym für „Perverser“.

Borissov steht überdies einigermaßen blamiert vor seinen europäischen Partnern da: Bulgariens Weigerung gefährdet auch die Ratifizierung der Konvention auf EU-Ebene. Auch beim UN-Migrationspakt hatte der Premier den nationalistischen Tönen nichts entgegenzusetzen. Obgleich die Verhandlungen zum Pakt weitgehend während der bulgarischen EU-Ratspräsidentschaft unter Borissovs Ägide geführt wurden, distanzierte er sich nach dem Widerstand des Koalitionspartners (und der Opposition) – auch zum Frust seiner eigenen Minister.

Und nun dies: Seit Anfang Oktober demonstrieren die Mütter behinderter Kinder in Sofia für staatliche Unterstützung. Auf die Proteste angesprochen bezeichnete Valeri Simeonov die protestierenden Mütter als „kreischende Weiber“, welche ihre „angeblich kranken Kinder“ ohne ein Gramm mütterlichen Gefühls als Instrument ihrer rein materielle Ziele nutzten.

Das ging auch den wenig protestfreudigen Bulgaren zu weit. Es kam zu nationalen Demonstrationen, in denen nicht nur die Mütter den sofortigen Rücktritt Simeonovs forderten. Auch die sozialistische Oppositionspartei schloss sich an und kündigte an, die Parlamentssitzungen so lange zu boykottieren bis Simeonov zurückgetreten sei. 81 Prozent der Bulgaren unterstützten die Rücktrittsforderung, auch Simeonovs Bündniskollege Volen Siderov. Mehr noch: 64 Prozent gaben Premier Borissov Mitverantwortung für die Entgleisungen seines Stellvertreters und Koalitionspartners. Borissov jedoch machte kaum einen Hehl daraus, wie eng sein Handlungsspielraum ist: Zwar distanzierte er sich von Simeonovs Kommentar, dessen Rücktritt hingegen könne er nicht erzwingen – dies würde das Ende der Koalition bedeuten: „Was wollt ihr? Soll ich das Land ins Chaos stürzen? Ich beiße die Zähne zusammen und mache meinen Job.”

Nach einem Monat nationaler Proteste ist Simeonov nun mit einem sarkastischen Verweis „auf die Medienkampagne gegen ihn“ zurückgetreten. Zu spät - es kehrt keine Ruhe ein in Bulgarien. Inzwischen überziehen die Patrioten sich intern mit Rücktrittsforderungen und Kritik – und landesweit protestieren Tausende weiter: Für den Rücktritt der Regierung, gegen hohe Benzinpreise, für bessere Regierungsführung und einen höheren Lebensstandard.

Borissov wird noch eine Weile die Zähne zusammenbeißen müssen. Der Premier wirkt beschädigt und noch schlimmer: hilflos. Schon zweimal hat Borissov sein Amt in der Vergangenheit hingeschmissen - nun werden bereits die Wetten auf seinen dritten Rücktritt abgeschlossen. Die Stabilität, die er in der Koalition gesucht hat, sie war von Anfang an eine Schimäre. Nicht nur, weil die bulgarische Rechte undiszipliniert und zerstritten ist. Die Provokation bis zur Schmerzgrenze liegt in ihrer institutionellen Logik, denn ohne sie verschwinden die „Patrioten“ aus dem Sichtfeld der Öffentlichkeit. Die Regierungsbeteiligung wirkt dabei wie ein Verstärker, bestimmt und verroht den Ton der öffentlichen Debatte, zerstört das ohnehin geringe Vertrauen in staatliche Institutionen und räumt ihnen die Rolle des politischen Saboteurs ein. Borissov hat sich eine regierungsinterne Opposition zugelegt und wird nun von ihr getrieben.

Aus Bulgarien kommt ein Signal: Der Pakt mit den Rechten - bitte nicht nachmachen!